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Kaum noch öffentlicher Diskurs möglich
Auch Umwelt- und Naturschutz leben vom öffentlichen Diskurs. Doch drängt sich insbesondere am schleswig-holsteinischen Naturschutztag zunehmend der Eindruck auf, diesen immer weiter zurückdrängen zu wollen. Die zentrale Veranstaltung des ehrenamtlichen und hauptamtlichen Naturschutzes im Land ist zur reinen Proklamation von Ansichten des behördlichen und regierungsnahen Umweltschutzes degeneriert.
Waren das noch Zeiten! 1994 gestaltete die damalige Akademie für Natur und Umwelt des Landes Schleswig-Holstein, heute in der Nachfolge das Bildungszentrum für Natur, Umwelt und ländliche Räume (BNUR), erstmals die Naturschutztage im Land zwischen den Meeren. Im Fokus stand dabei immer die gemeinsame Kommunikation von Interessierten und Verantwortlichen, kamen sie auch aus so unterschiedlichen Bereichen wie „ehren- und hauptamtlicher Naturschutz, Politik und Wissenschaft“, die den jeweils als Tagungsmotto platzierten Themenschwerpunkt unterstützt durch Vorträge aus den Blickwinkeln von „Medien, Psychologie, Kommunikations- und Politikwissenschaften, Behörden und Verbänden“ diskutieren konnten, wie es der Tagungsband 1 im Jahr 1994 formulierte. Den Naturschutztag 1996 besuchten wegen der thematischen Brisanz und der Teilnahme des ersten grünen Umweltministers Rainder Steenblock bereits fast 300 Teilnehmer*innen: Das Thema war damals wie heute aktuell, denn im Fokus standen Kontroversen und Lösungsmöglichkeiten zwischen „Naturschutz und Landwirtschaft“.
Diskussion und Ergebnisfindung
Es gab wie heute ein Grußwort u.a. des Ministers, gefolgt von teils anspruchsvollen Fachvorträgen. Im Jahr 1996 wurden - wie auf den anderen Naturschutztagen - die vorgetragenen Thesen in sechs Arbeitsgruppen diskutiert und deren Ergebnisse in einer ausführlichen, gebundenen schriftlichen Dokumentation der damals noch zweitägigen Naturschutztage zusammengefasst. Ein Blick in die Texte offenbart noch heute, wie weit man in der Diskussion und Bewertung der Praxis der Landwirtschaft und daraus folgend auch erster Lösungsvorstellungen schon damals war. Bei der Art der Ergebnisfindung bediente man sich auch neuerer Diskussionsformen wie „open space“, bei der man, wenn das Thema der AG, aber ggf. auch die Art der Kommunikationsführung selbst nicht gefielen, einfach aufstehen und sich einer anderen Diskussionsrunde anschließen konnte.
Verkündungsnaturschutz
Und heute? Am 24. Oktober 2019 fand der bislang letzte Naturschutztag in den Holstenhallen in Neumünster statt. Als Thema gesetzt – auch vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte sicher gut getroffen: Eine „Zukunft trotz Klimawandels“. Mit über 700 Teilnehmer*innen war es der größte schleswig-holsteinische Naturschutztag. Doch von den inspirierenden Zeiten des Aufbruchs mit starkem Idealismus und Methodenmix bei großem Diskussionseifer war wenig geblieben. Der Naturschutztag stellt sich heute nur noch als eine Aneinanderreihung von Vorträgen mit grober thematischer Klammer dar – eher an eine überlange Vorlesungsreihe mit besonderem Pausenprogramm erinnernd.
Dabei in manchen Bereichen sicher auch Erkenntnis gewinnend. Nachfragen und Diskussionen von weiterhin kontrovers bleibenden Aspekten und die Erarbeitung von zukunftsgerichteten Perspektiven und Forderungen waren jedoch nicht mehr vorgesehen. Geradezu provokant in diesem Jahr waren die Ausführungen des - extra aus Berlin eingeladen - WWF-„Klimachefs“ Michael Schäfer, der ohne Diskussions- und Widerspruchsmöglichkeit seine bundesweit stark kontroversen Thesen zur Windenergieplanung dem Publikum verkünden konnte. Diese weichen von den Grundpositionen des verbandlichen Naturschutzes in Schleswig-Holstein deutlich ab. Ihre Umsetzung würde den Klimawandel kaum bremsen, die Bemühungen zum Schutz der Biodiversität nicht nur bezogen auf windkraftsensible Arten jedoch erheblich zurückwerfen.
Dass die mitgliederstärksten Umwelt- und Naturschutzverbände NABU und BUND diese Position bundes- und landesweit explizit ablehnen und diese selbst innerhalb des WWF stark umstritten ist – wen interessiert es? Noch deutlicher kann man die Ignoranz gegenüber - oder die Ablehnung – der Arbeit der in Schleswig-Holstein engagierten Umweltverbände wie die des NABU, der sich gerade in diese Diskussion auf Landes- und Bundesebene mit hohem Engagement eingebracht hat, nicht kundtun.
Dass im heute einseitig mit Personen aus der Umweltverwaltung des Landes besetzten Gremium, das über die thematische Auswahl und Gestaltung des Naturschutztages berät, seit längerem keine Vertreter der Umweltverbände mehr vertreten sind, erklärt diese zunehmende Ödnis in der Diskussionskultur dabei nur ansatzweise. Schließlich gab es - entgegen der Grundausrichtung der Veranstaltung - an einem einzigen Vortragspunkt doch die Möglichkeit zum Statement aus dem Teilnehmer*innenkreis: Als am frühen Nachmittag zwei junge Vertreter*innen von „Fridays for Future“ kurz auftraten (um dann wieder schnell zur Schule zu entschwinden), wurden tatsächlich kurze Nachfragen ermöglicht: Es wäre sicher auch peinlich gewesen, einer diskussionsbereiten Jugend allein das Bild eines antiquierten, eindimensionalen Frontalunterrichtes zu bieten.
Der zu Recht sehr gelobte deutsche Naturschutztag im September 2018 in Kiel bot da immerhin die Möglichkeit, in den thematischen Vortragsrunden deutlich kritische Aspekte einzubringen – was etwa bei der überaus denkwürdigen Diskussion der zum Schutz von Schweinswalen und Meeresenten nur sehr zweifelhaft beitragenden Freiwilligen Vereinbarung in Schleswig-Holstein seitens der Teilnehmer*innen intensiv genutzt wurde.
Immerhin ist der Geist einer offenen Beteiligung nicht vollständig tot, das Handwerkszeug seitens des mit der Organisation betrauten BNUR noch vorhanden. Der vom Bauernverband angestoßene Dialogprozess „Zukunft der Landwirtschaft in Schleswig-Holstein“ ermöglicht den Austausch in Arbeitsgruppen und bietet in einer abschließenden Podiumsdiskussion die stark genutzte Möglichkeit, jeweils mit einer wechselnden Person aus dem Teilnehmer*innenkreis zeitweise ebendort an der Diskussion teilzunehmen. Ein ‚Dialogprozess‘ wird auch ohne solche Elemente nicht auskommen.
Neue Perspektiven für den Naturschutztag!
In Diskussionen wird gerne betont, dass heute die Durchführung eines Naturschutztages nach dem ursprünglichen Vorbild organisatorisch und finanziell kaum mehr möglich sei. Sicher hat sich der Organisationsrahmen grundsätzlich verändert. In vielen Bereichen der Landesregierung, so auch in der Verwaltung und beim BNUR, sind Personal und Finanzmittel gekürzt worden.
Dass ein mehr diskussionsorientierter Tag schon wegen der Teilnehmer*innenzahl grundsätzlich nicht möglich sei, ist schlicht vorgeschoben. Letzte Bundesparteitage der SPD bringen es auf rd. 600 Delegierte, der der CDU auf 1.000. Zudem wären stärkere Diskussionsanteile nach jedem Vortrag – auch nach den Ministerworten! – ohne gesteigerten personellen wie finanziellen Aufwand natürlich möglich.
In die Naturschutztage muss sich zukünftig der verbandliche Umwelt- und Naturschutz im Land wieder verstärkt einbringen können, um auch das eigene Gewicht zu betonen: So etwa durch die Möglichkeit, die Sicht der Verbände der Darstellung des Ministers gegenüberzustellen. Auf dem Deutschen Naturschutztag 2018 in Kiel (Teilnehmer*innen: 1.300) war dies gegeben. Auch bei früheren Naturschutztagen trug der DNR und ein Vertreter der Naturschutzverbände seine Sichtweise vor. Eine Veranstaltung, die „den Naturschutz“ abbilden will, ist ohne solche Elemente schlicht unvollständig und nicht repräsentativ.
Die Möglichkeit der Diskussion überall zu schaffen, muss also wieder gelebte Praxis werden. Reine Verkündungsveranstaltungen des staatlichen Naturschutzes sind ein Rückschritt – schließlich könnte man sich angesichts des auch im Ehrenamt engen Zeitkontingentes eine Teilnahme zunehmend schenken und schlicht die Präsentationen der Vorträge abrufen, ohne persönlich einen größeren Informationsverlust zu erleiden. Und man kann nur hoffen, dass der Anspruch der Veranstalter über ein schlichtes „Bekannte-sehen-und-diskutieren“ als einziges Argument für eine Teilnahme am Naturschutztag hinaus geht – denn dieses Bedürfnis wird heute schon auf dem sehr gut besuchten, gestalterisch und stimmungsmäßig gelungenen Sommerfest der Stiftung Naturschutz in Molfsee besser erfüllt.
NABU Schleswig-Holstein
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ILu, akt. 2. Februar 2020