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Stellungnahme des NABU Schleswig-Holstein zu "10 Punkte für den Ausbau der Windenergie" von Organisationen der Energiewirtschaft und des Umweltschutzes
Grundsätzliche Anmerkungen
Das Papier, veröffentlicht am 3. September 2019, stellt zehn Forderungen zur Beschleunigung des Ausbaus der Windenergie (WE) an Land. Es soll gemäß seinem Vorspann aufzeigen, "wie die Hemmnisse für den Windausbau an Land abgebaut und die Flächenverfügbarkeit für den weiteren Ausbau erhöht werden können" und damit der Vorbereitung des 'Windgipfels' von Bundesregierung und Verbänden dienen. Verfasst worden ist es von "Energiewirtschaft, Maschinen- und Anlagenbau und Umweltverbänden", darunter auf Seiten der WE-Branche BWE, von den Umweltorganisationen Greenpeace, WWF und DUH. NABU und BUND gehören nicht zu den Unterzeichnern.
Weshalb Umweltorganisationen wie der WWF dieses Papier unterzeichnet haben, ist dem NABU Schleswig-Holstein nicht verständlich. Denn der Forderungskatalog kollidiert in mehreren Punkten erheblich mit dem naturschutzfachlichen Anforderungsprofil bzgl. WE-Ausbau und greift zudem die bisherige rechtliche Stellung des Artenschutzes gegenüber der Windkraft an. Das ist mit den Positionen des NABU Schleswig-Holstein, aber auch der Fachbehörden in Schleswig-Holstein, zum Verhältnis Windkraft / Artenschutzbelange nicht vereinbar.
Außerdem ist zu bemängeln, dass sich die unterzeichnenden Naturschutzorganisationen erneut der Linie der WE-Branche unterordnen, nach der dem Klimawandel fast ausschließlich mit dem Ausbau regenerativer Energieerzeugung (und hier durch WE), also der Substituierung fossiler Brennstoffe, zu begegnen sei. So heißt es im Vorspann: "Die Windenergie an Land bleibt weiterhin das Zug- und Lastpferd der Energiewende." Dass tatsächlich aber der Suffizienz, d.h. der drastischen Reduzierung energiezehrender technischer Prozesse die tragende Rolle bei Energiewende und Klimaschutz zukommen muss, wird in diesem Papier - und in den meisten anderen Deklarationen dieser Art - mit keinem Wort erwähnt. Damit wird der Öffentlichkeit ein bequemes, weil gut zu 'verdauendes' Bild des zu praktizierenden Klimaschutzes vermittelt, das als Leitlinie das Erreichen selbst des 2-Grad-Zieles jedoch unmöglich werden lässt. Diese eingeschränkte Sichtweise mag für die WE-Wirtschaft legitim sein; sie will schließlich mit WE Geld verdienen. Umweltorganisationen allerdings muss abverlangt werden können, über den Tellerrand hinaus zu blicken.
Anmerkungen zu den „zehn Punkten“
- Zu Punkt 1 - "Bund-Länder-Strategie zur Ausweisung von Flächen für die Windenergienutzung entwickeln"
Der Absatz ist zu schwammig formuliert. Am Anfang sollte die klare Forderung nach Planungshoheit der Länder und raumplanerischer Präzisierung in der Regionalplanung stehen. Die kommunale Planungshoheit sollte bei WE ausgeschlossen werden. - Zu Punkt 3 - "Keine pauschalen Abstandsregelungen"
Auch wenn die Kritik an "pauschalen Abstandsregelungen" sich in diesem Absatz bei-spielhaft auf Regelungen zugunsten der Belange von Anwohnern bezieht, so ist sie doch so pauschal formuliert worden, dass sie indirekt auch die zugunsten des Artenschutzes aufgestellten Abstandsregelungen infrage stellt. Das steht unserer Auffassung von der Bedeutung genereller Mindestabstände (Tabubereiche) zu Objekten des Naturschutzes, hier insbesondere windkraftsensible Vögel und Fledermäuse sowie deren Lebensräume, absolut entgegen. - Zu Punkt 5 - "Naturschutzrechtliche Vorgaben standardisieren"
Diese Forderung hält der NABU SCHLESWIG-HOLSTEIN für notwendig, allerdings in einem anderen Sinn, als es der BWE (und auch dieses Papier) wohl meint. Denn zu dieser Forderung gehört zuvorderst, die artspezifischen Empfehlungen der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (LAG VSW) zu den potenziellen Beeinträchtigungsbereichen als Tabubereiche und zu den Prüfbereichen (Helgoländer Papier) ohne Wenn und Aber anzuerkennen (auch bzgl. Rotmilan!). Dass dieser Punkt in dem Papier nicht enthalten ist, sondern sogar die kritischen Formulierungen des BWE zum Helgoländer Papier indirekt wiedergegeben werden, nach denen "unter Einbezug relevanter Interessenverbände" (womit der BWE auch sich selber meint) "anerkannte Qualitätsmaßstäbe auf wissenschaftlicher Basis festgelegt werden müssen" (was der BWE der LAG VSW, auf die hier angespielt wird, abspricht), ist unserer Ansicht nach ein schwerer Fehler der beteiligten Umweltorganisationen. Zudem fehlt die Forderung, bzgl. WE schnellstens tragfähige Schutzkonzepte für Fledermäuse und Mäusebussard (und ggf. weitere Vogelarten) zu entwickeln, die in verbindliche, standardisierte Ausschluss- und Abstands-regelungen münden müssen (z.B. Vergrößerung der Waldabstände). Außerdem gehört zu "standardisierten Vorgaben", dass LSGe und Natura 2000-Gebiete generell von WKA frei zu halten sind. Auch das fehlt in diesem Papier. Die Forderung: "Die bestmögliche Umsetzung der naturschutzrechtlichen Anforderungen bedarf der Akzeptanz aller Beteiligten" impliziert faktisch einen Vetoanspruch der WE-Branche, den sie gerade in Bezug auf naturschutzbezogene Ausschluss- und Abstandsregelungen fahrungsgemäß auch nutzen wird. Das darf der Naturschutz im Hinblick auf die fachlichen Erfordernisse, aber auch bzgl. der Nationalen Biodiversitätsstrategie und des europäischen Naturschutzrechts keinesfalls hinnehmen. - Zu Punkt 6 - "Online-Artenschutzportal jetzt einrichten"
Dies ist eine grundsätzlich sinnvolle Forderung. Ob nun online oder anderweitig abgreifbar, in Schleswig-Holstein liegen "qualitätsgesicherte Rohdaten" zumindest für die als besonders windkraftsensibel geltenden Vogelarten bereits vor, müssen jedoch fortlaufend aktualisiert werden (Rotmilan). Dies gilt allerdings nicht für windkraftgefährdete Fledermausarten, für die nicht einmal eine einigermaßen abgesicherte landesweite Erfassung der wesentlichen Vorkommen existiert, obgleich sich immer stärker die gravierende Problematik von WKA an 'fledermauskritischen' Standorten herauskristallisiert. Das dürfte in den meisten übrigen Flächenländern nicht anders sein. Aber gerade auf dieses eklatante Defizit hätte sich der Forderungskatalog beziehen müssen. Da die Daten von der WE-Branche bzw. beauftragten Gutachtern kommerziell genutzt werden, zahlreiche relevante Datensätze aber von Naturschutzverbänden, beruflichen Biologen und qualifizierten Privatpersonen erstellt werden, muss diesen ein finanzieller Ausgleich für die Nutzungsfreigabe ihrer Daten erfolgen. Diesen Gesichtspunkt scheint das 10-Punkte-Papier zu übersehen. - Zu Punkt 7 - "Ausnahme nach § 45 Abs. 7 BNatSchG für kurzfristige Lösungen zielführend ausgestalten"
Mit diesem Abschnitt wird der Versuch der WE-Branche, über "Ausnahmen vom Artenschutz" die WE-Nutzung naturschutzrechtlich vor den Artenschutz zu stellen, gestärkt. Auch wenn dieses unter "klar definierten Voraussetzungen" geschehen soll, bedeutet es doch einen großen Schritt zu einem rechtlichen Paradigmenwechsel: WE vor Artenschutz. Der Naturschutz wird dann hauptsächlich Abwehrkämpfe bzgl. der "Voraussetzungen (Alternativenprüfung, Erhaltungszustand der Population)" zu führen haben. In welche Richtung die Entwicklung führen soll, wird aus den letzten beiden Sätzen deutlich: "Sensible Arten sollten ... ausgewiesene Rückzugsräume erhalten", d.h. der von den (Teil-)Populationen bisher besiedelte, bei den meisten der betroffenen Arten ohnehin begrenzte Lebensraum soll auf "Rückzugsräume" (im Wortsinn von 'Reservaten') weiter beschränkt werden, um auf dem größten Teil der Fläche ungehindert von Artenschutzfragen den WE-Ausbau vorantreiben zu können. Damit die betroffenen Arten in ihren Rückzugsräumen auch bleiben, sollen sie dort "durch öffentliche Artenhilfsprogramme gestützt" werden - als ob das ein Leichtes wäre! Der Frage, wie man den Aktivitätsraum bspw. von Fledermäusen von A (WKA-Fläche) nach B (WKA-freie Fläche) verlagern will, wird in diesem Papier allerdings nicht nachgegangen ... - An diesen Aussagen wird das angestrebte Primat der WE vor dem Naturschutz überdeutlich.
Weitere Defizite des Papiers
Auch unter der Berücksichtigung, dass das Papier in seinen zehn Forderungen sich im Wesentlichen auf die Änderung formaler Aspekte bezieht, die die beteiligten Organisationen als Hemmnisse für den WE-Ausbau betrachten, fehlen hier Punkte, die zumindest wichtiger als bspw. die Forderung nach Online-Portalen sind.
So fehlen kritische Worte zur gutachterlichen Praxis bei der naturschutzfachlichen Standortprüfung, verbunden mit der Forderung, die Gutachtenvergabe umweltrechtlich den zuständigen Fachbehörden des Naturschutzes zu übertragen, anstatt die (artenschutzfachlichen) Gutachten wie bisher von den Vorhabenträgern und damit interessengesteuert beibringen zu lassen. Eine Forderung nach fachlich-methodischer Standardisierung der Artenschutzgutachten, wie sie unlängst die Naturschutzverbände Baden-Württembergs und der BWE im Papier "Gute Artenschutzgutachten - Qualitätskriterien in der Praxis" aufgestellt haben, hilft nicht, Gefälligkeitsgutachten zu verhindern. Dieses hat sich z.B. in Schleswig-Holstein gezeigt, wo trotz relativ anspruchsvoller Methodenstandards und Kriterien für vier als besonders windkraftgefährdet geltende Großvogelarten die von den Vorhabenträgern eingereichten Artenschutzgutachten nach wie vor in höchstem Maße subjektiv zugunsten der WE-Projekte ausfallen.
Außerdem fehlt jedwede Auseinandersetzung mit Kompensationsnotwendigkeiten und -möglichkeiten der durch WE verursachten Eingriffe. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass sich durch WE erfolgte Beeinträchtigungen, hier der Tod von Vögeln und Fledermäusen, in der Realität des Artenschutzes kaum ausgleichen lassen. Aber in diesem Papier wird nicht einmal ein ernsthafter Versuch in dieser Richtung unternommen. So hätte unter Punkt 7 wenigstens erwähnt werden können, dass die dort geforderten "öffentlichen Artenhilfsprogramme" und das "staatliche Monitoring" aus Einnahmen der WE-Wirtschaft zu finanzieren sein sollten.
Fazit
Die unterzeichnenden Umweltorganisationen rücken mit diesem Forderungskatalog von bisherigen Grundpositionen des Naturschutzes deutlich ab. Eine Umsetzung der Forderungen würde den Klimawandel nicht nennenswert bremsen können, die Bemühungen zum Schutz der Biodiversität, hier bezogen auf windkraftsensible Arten, jedoch erheblich zurückwerfen.
Unterm Strich nützt das Papier hauptsächlich der WE-Branche, indem es Umweltorganisationen als Steigbügelhalter nutzt. Dass sich ausgerechnet WWF, Greenpeace und DUH auf die im Hinblick zum Verhältnis WE / Artenschutz verfassten Formulierungen eingelassen haben, dürfte auch mit der geringen Verankerung dieser Organisationen in der Fläche, also dort, wo sich die Konflikte real ergeben, zu tun haben. Ob alle diesbezüglichen Formulierungen von den beteiligten Umweltvertretern wirklich so gemeint sind, wie sie geschrieben stehen, sei dahingestellt. Andernfalls müssten sie sich aber vorwerfen lassen, hier äußerst unbedarft agiert zu haben.
Für den NABU Schleswig-Holstein ist dieses Papier inakzeptabel. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass der NABU BV von einer Unterzeichnung Abstand genommen hat. Dieses sollte auch für andere Formen der Zusammenarbeit mit dem BWE gelten. Der BWE ist ein Lobby-Verband der WE-Branche, der deren wirtschaftlichen Interessen vertritt, was zwar legitim ist, aber vor dem Hintergrund zahlreicher erheblicher Konflikte zwischen WE-Nutzung und Naturschutz eine wie auch immer geartete Partnerschaft mit Naturschutzorganisationen ausschließen sollte. Zumal der BWE nicht in der Lage oder auch nicht willens ist, bei Auseinandersetzungen um WE-Ausbau im Allgemeinen oder um WE-Standorte im Einzelnen die Branchenvertreter auch mal zurück-zuhalten. Im Gegenteil: Kürzlich hat der BWE Schleswig-Holstein wider besseres Wissen öffentlich behauptet, ein wesentliches Hemmnis beim WE-Ausbau in Schleswig-Holstein seien die zahlreichen Klagen der Naturschutzverbände, um so diese als Verhinderer des Klimaschutzes zu diskreditieren. Tatsache ist jedoch, dass in Schleswig-Holstein seitens der Naturschutzverbände keine einzige Klage gegen WE-Projekte angestrengt worden ist.
FHey 21. September 2019