Neuwaldbildung
Wo - und wo nicht?
In fast allen Regierungserklärungen der vergangenen Jahrzehnte ist das Ziel einer Vermehrung des schleswig-holsteinischen Waldanteils von zur Zeit 11 % auf 12 % enthalten. Dafür müssten ca. 15.000 ha für Neuwaldbildungen zur Verfügung gestellt werden. Nennenswerte Fortschritte wurden jedoch nur Anfang bis Mitte der 1990er Jahre erreicht. Danach sank die jährliche Quote an Neuaufforstungsflächen rapide ab, hauptsächlich wegen stark gestiegener Bodenpreise. Im Zuge der Klimaschutzdebatte ist der Waldbildung jedoch wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt worden, gerade auch von Seiten der Politik. So hat die CDU unlängst ein Waldbildungsprogramm mit der Zielsetzung gefordert, pro Jahr etwa 1.000 ha aufzuforsten. Nach dem Willen der CDU soll die Stiftung Naturschutz die dafür benötigten Flächen zur Verfügung stellen.
Diese Forderung halten der NABU und andere Naturschutzverbände jedoch vor allem deswegen für inakzeptabel, weil die dafür ins Auge gefassten Stiftungsflächen, meistens als strukturreiche 'Halboffene Weidelandschaften' entwickelt, von großem Wert für den Arten- und Biotopschutz sind. Diese Bedeutung würde bei einer Aufforstung abrupt verloren gehen. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass gleichaltrig junge und dabei dichte Waldbestände, wie sie aus einer Neuanpflanzung in der Regel hervorgehen, über Jahrzehnte ausgesprochen artenarm sind.
Dennoch steht der NABU den Bemühungen um eine Erhöhung des Waldanteils in Schleswig-Holstein keinesfalls entgegen. In Zeiten des Klimawandels muss es das Ziel sein, nicht nur durch technische Maßnahmen und einen Wandel des Lebensstils mit seiner deutlichen Reduktion des Konsums Emissionen zu reduzieren, sondern auch der Atmosphäre durch Maßnahmen des Naturschutzes dauerhaft CO2 zu entziehen.
Die größten Effekte sind dabei sicher über die Wiedervernässung und Regeneration von bewirtschafteten Niedermoorflächen erreichbar, weil hier zum einen die Freisetzung von Treibhausgasen gestoppt und umgekehrt sogar ein großer Effekt durch die dauerhafte Bindung von CO2 im Torf erreicht werden kann. Aber auch Wälder erreichen mit zunehmendem Alter einen steigenden Effekt bei der Speicherung von CO2, wenn Bäume und Waldboden dauerhaft Treibhausgase binden.
Vor allem zur Erzeugung von Biogassubstrat genutzte Ackerflächen auf für den Weizen- und Gersteanbau schlecht geeigneten Standorten sind prädestiniert für eine klimagerechte Nutzungsänderung. Es gibt dafür durchaus genügend geeignete Flächen, bei denen selbst nach 'altem forstlichem Muster' angelegte Aufforstungen sich zum einen deutlich vorteilhafter auf Natur und Umwelt auswirken als die jetzige landwirtschaftliche Nutzung. Zum anderen kann aber auch, unterlegt mit einem Förderprogramm, den Landeigentümern eine wirtschaftliche Perspektive geboten werden.
Vor diesem Hintergrund hat der NABU Schleswig-Holstein Empfehlungen dazu erstellt, welche Flächen für eine Neuwaldbildung geeignet sind, aber auch als nicht geeignet erscheinen.
1. Positivkulisse (= für Neuwaldbildung zu empfehlen)
Grundsätzlich Acker und intensiv bewirtschaftetes Mähgrünland. Insbesondere:
1.1 Vormalige Substratanbauflächen für Biogasanlagen
Prioritär hier bislang permanent entwässerte Niedermoorflächen, für die aus Klimaschutzgründen die Entwässerung aufgehoben werden sollte, wodurch sie dann nicht mehr bewirtschaftbar wären. Hier gezielte (Initial-)Pflanzungen von Schwarzerlen (> nutzbar), ggf. auch Sukzession (> Weiden > Wildnis). Dadurch wird ein doppelter Klimaschutzeffekt bewirkt: 1. CO2-Emission des Bodens wird stark reduziert, 2. Gehölze speichern zusätzl. CO2. Zudem (im Vgl. zur Vornutzung) hoher Biodiversitätsgewinn (Bruchwald). - In Randbereichen zu Wiesenvogelschutzgebieten ist allerdings eine Offenhaltung zu empfehlen. Eine (Rück-)Entwicklung zu artenreichem Grünland bzw. artenreicher Hochstaudenflur ist wg. der starken Eutrophierung und der aufgrund der Wasserstandsanhebung (möglichst bis zur Bodenoberfläche) erschwerten Bewirtschaftung jedoch kaum möglich.
1.2 Erosionsgefährdete, bislang ackerbaulich genutzte Hänge an Gewässern
Die ackerbauliche Bewirtschaftung von zu Gewässern einschl. Vorflutern geneigten Hängen ist wg. der diffusen Austräge von Nährstoffen (v.a. P) und PSM aus Gründen des Gewässerschutzes höchst problematisch (v.a. bei Maisanbau) und vor dem Hintergrund der sich aus der WRRL ergebenden Verpflichtungen zur Gewässerreinhaltung nicht mehr zu vertreten.
1.3 Sonstige Flächen aus der Biogaskulisse
Eine Flaute der Biogaswirtschaft würde v.a. auf der schleswigschen Geest viele Flächen auch außerhalb anmooriger oder mooriger Bodenverhältnisse freisetzen. Ein Teil wird sicherlich von dortigen Milchviehbetrieben zur Silofuttergewinnung übernommen und weiterhin mit Mais und Feldgras bestellt werden. Aus umweltpolitischer Sicht darf dort aber die intensive Viehhaltung nicht weiter aufgestockt werden, weil sonst die Gülleproblematik überhaupt nicht mehr in den Griff zu bekommen ist. Getreideanbau als landwirtschaftliche Alternative ist auf den stark sandigen Flächen nicht produktiv.
1.4 Äcker, die an Wälder mit ökologisch wenig wertvollen Waldrändern grenzen
Hierbei sollten durchaus auch bessere Böden ins Auge gefasst werden (Buchenwaldstandorte, > Buchenwald als potenzielle natürliche Vegetation).
2. Negativkulisse (= von einer Neuwaldbildung ist abzusehen)
2.1. Naturschutzgrünland
Dazu zählen v.a. Halboffene Weidelandschaften, darunter auch die Flächen der Stiftung Naturschutz, sowie andere dem Naturschutz gewidmete Extensivweiden. Ausnahmen sollten durch Sukzession im Rahmen der Naturschutzzielsetzungen entstehende bzw. gezielt angelegte Waldformationen bilden. Diese müssen dann jedoch vorrangig dem Naturschutzrecht unterliegen, so dass z.B. eine weitere Beweidung oder spätere Wiederaufnahme der Beweidung unter Naturschutzaspekten möglich ist (was aber das Forstrecht ausschließt). Dafür ist eine Klarstellung der rechtlichen Rahmenbedingungen erforderlich.
2.2 Flächen des Ökololandbaus
Auch ökologisch bewirtschaftete Äcker sollten wg. ihres relativen Naturschutzwerts nicht bewaldet werden.
2.3 Dauerweiden
Dieses betrifft auch konventionell bewirtschaftete Viehweiden, sofern sie seit geraumer Zeit nicht umgebrochen oder mit Totalherbiziden behandelt und neu eingesät wurden, also Weideland mit dauerhaft erhaltener Grasnarbe und der typischen Vegetation. Hintergrund der Forderung, auf eine Aufforstung von solchen 'echten' Dauerweiden zu verzichten, ist deren fortschreitender Rückgang einerseits und deren relative Bedeutung für die Fauna der Agrarlandschaft (und angrenzender Wälder und Gewässer) andererseits.
2.4 Waldlichtungen
Inmitten des Waldes gelegene Lichtungen, meist handelt es sich um Wiesen, werden oft für Aufforstungsmaßnahmen ins Auge gefasst, weil sie i.d.R. bereits zum Waldbesitz gehören und nicht erst angekauft werden müssen, weil sich für ihre Beweidung häufig kein Pächter mehr findet und weil ihre ökologische Bedeutung verkannt wird. Diese liegt u.a. darin, dass Waldwiesen i.d.R. nur extensiv genutzt werden, eng verzahnt mit dem Umland (Wald, hoher Randlinieneffekt) sind, windarm sind (> Insekten, Fledermäuse) und vielen Tieren des Waldes als Nahrungshabitate dienen.
2.5 In den Wald ragende Offenlandlunken
Meist handelt es sich dabei um Weideland, das buchtig in den Wald ragt und dabei relativ eng mit dem Wald verzahnt ist. Die ökologische Bedeutung ist ähnlich 2.4. Zur Arrondierung der bestehenden Waldfläche werden derartige Flächen aber bevorzugt aufgeforstet, zumal deren landwirtschaftlicher Wert üblicherweise nicht besonders hoch ist (Beschattung, Kleinräumigkeit). An dieser Stelle sei angemerkt, dass aus waldbaulicher Sicht im Verhältnis zur Waldfläche eine kurze Waldaußenrandlinie von Vorteil ist, aus naturschutzfachlicher Sicht kann aber eine lange Waldrandlinie von besonderem Wert sein.
2.6 Flächen vor wertvollen alten Waldrändern
Gerade historisch alte Waldränder mit ihren alten tiefkronigen, der Sonne ausgesetzten Bäumen und dem im Vergleich zum Waldinneren trockeneren Kleinklima und den eher ausgehagerten Böden sind vor allem entomologisch oft besonders wertvoll. Dort eine Aufforstung vorzusetzen, würde diese besonderen Habitateigenschaften zunichte machen.
2.7 Kleinräumig durch Landschaftselemente strukturierte Landschaftsbereiche
Hierunter fallen vor allem engräumige Knicklandschaften, die Überreste der historischen Kulturlandschaft in ihrem Landschaftsbild erhalten bleiben sollten. Nicht aufgeforstet werden sollten aber auch Flächen mit wertvollen Kleingewässern. Werden Knicks und Kleingewässer in Aufforstungen integriert, führt das i.d.R. im Laufe der Jahre zu deren ökologischer Abwertung durch Beschattung. Kleingewässer werden zudem durch den starken Laubeintrag (Eutrophierung, übermäßige Verschlammung) beeinträchtigt; Knicks können deswegen und aufgrund des Wildverbisses nicht mehr auf den Stock gesetzt werden und wachsen aus.
2.8 Kiesgruben und ähnliche Trocken- und Magerstandorte
Trocken- und Magerstandorte mit ihren an die besonderen Faktoren angepassten Arten sind aufgrund der flächendeckenden Eutrophierung im schleswig-holsteinischen Binnenland inzwischen absolute 'Mangelware', ungleich seltener als Wald. Nur auf einigen (ehemaligen) militärischen Übungsplätzen finden sich noch artenreiches Magergrünland größeren Ausmaßes. Meistens bilden lediglich aufgelassene Kiesabbaugebiete die letzten Refugien für an Nährstoffarmut und Trockenheit besonders angepasste Arten. Von einer gezielten Bewaldung solcher Gebiete ist unbedingt abzusehen. Auch der Waldbildung durch Sukzession sollten nur Teilbereiche der aufgegebenen Kiesabbau- und militärischen Übungsflächen überlassen werden.
FHey, ILu, akt. 25. November 2019