Waldfrevel in Ostangeln
"Lehrstück" für zweifelhafte Naturschutzpraxis
Im September vergangenen Jahres meldete sich ein besorgter Bürger bei Geert-Henning Schauser, Vorstandsmitglied der Bürgerinitiative „Schönes Angeln“. Ein altes Bauernwäldchen in dem Landstrich Gintoft sei zur kompletten Abholzung freigegeben worden. Schauser, der sich in der Vergangenheit wiederholt für den Erhalt ortsprägender Bäume einsetzte und als Fledermausbeauftragter der Region auch um die Wertigkeit dieses Wäldchens als Unterschlupf von Fledermäusen, aber auch einer Uhu-Familie wusste, wandte sich an die Untere Naturschutzbehörde (UNB) des Kreises Schleswig-Flensburg.
Diese ist dem NABU Ostangeln in den vergangenen Jahren wiederholt dadurch aufgefallen, dass Anfragen zu zweifelhaften Genehmigungen gerne abgebügelt werden. Erst kurze Zeit zuvor wurden in Kappeln zahlreiche ortsprägende Pappeln gefällt, die angeblich der Verkehrssicherungspflicht widersprächen. Mehrere NABU-Gruppen legten gemeinsam mit der örtlichen ‚Interessengemeinschaft Umweltschutz‘ Widerspruch mit der Argumentation ein, dass ein ausgewiesener, amtlich bestellter Experte eines anderen Kreises zu einem völlig anderen Ergebnis gekommen wäre. Die UNB Schleswig-Flensburg setzte sich mit den aufgeführten Inhalten des Widerspruchs gar nicht erst inhaltlich auseinander, investierte jedoch viel Mühe in eine ausführliche Erörterung, warum weder Bürgerinnen und Bürger, noch der NABU in diesem Fall widerspruchsberechtigt seien.
Und auch im Falle des Wäldchens wurde der Widerspruch als unberechtigt zurückgewiesen. Die UNB verlautbarte gegenüber der Presse, dass es nicht grundsätzlich verboten sei, Wald in Ackerfläche umzuwandeln. Wäre etwas strittig gewesen, so hätte man da schon genauer hingeschaut, aber sowohl die Untere Forstbehörde, als auch das vom Antragsteller bestellte Gutachten habe die UNB-Meinung bestätigt, und so hätten die Bagger nun freie Bahn.
Doch Schauser ließ sich nicht so schnell abwimmeln und startete eine Unterschriften- sowie eine große Mailaktion, die auf fruchtbaren Boden stieß – hierunter bei diversen Fachleuten aus den Bereichen der Geologie, Archäologie und nicht zuletzt beim NABU Ostangeln und dem NABU Schleswig-Holstein. Viele Sachverständige trugen ihren Protest und ein ansehnliches Paket an Sachargumenten in die Obere Naturschutzbehörde.
Die einst knickreiche Landschaft Angelns ist den großen Feldern gewichen, die sich umso wirtschaftlicher mit großen Maschinen bearbeiten lassen. Auswirkungen hat dieses nicht nur auf die Artenvielfalt, sondern auch auf den regionalen Wasserhaushalt. Mit genau diesem Bezug auf den extremen Landschaftswandel durchagrarische Fehlentwicklungen hat der ausgewiesene Experte Prof. Dr. Wolfgang Riedel erst jüngst eine Publikation herausgegeben. Geologe Holger Tüxen aus dem NABU Ostangeln stellte zudem fest, dass Geschiebe als Reste der Eiszeit darauf hinweisen, dass der Wald weit älter sein muss als gedacht. Dieses wurde von Dr. Volker Arnold bestätigt, der sich als Archäologe um die Geschichtsschreibung in Schleswig-Holstein verdient gemacht hat. Auch Arnold plädiert für den Erhalt des Kleinods.
Naturschutzkundige konnten in dem Wäldchen schließlich noch u. a. die Hohe Schlüsselblume und das Milzkraut ausmachen, was für einen intakten Feuchtwald spricht. Die Feuchtwälder der Bachschluchten in der Jungmoränenlandschaft zählen zu den wertvollsten Waldtypen in Deutschland. Aus botanischer Sicht sind sie Schatzkammern der Artenvielfalt, denn eine große Zahl selten gewordener Pflanzen findet hier ihren Rückzugsraum. Der Wald wird von Mäusebussard, Rotmilan, Kolkraben und Habicht regelmäßig genutzt. Der Uhu hat hier in den vergangenen Jahren erfolgreich gebrütet und wurde noch wenige Wochen vor der Abholzgenehmigung in dem Wald fotografiert. Des weiteren konnten Wasser-, Zwerg-, Fransen-, und Breitflügelfledermäuse hier nachgewiesen werden.
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Das Gutachten, auf dem die Genehmigung basiert, ist im Übrigen nicht vollständig, da wichtige Lebensstätten nicht betrachtet wurden (Habitatbäume mit Wochenstubenquartiermöglichkeiten, essentielle Nahrungsräume für Fledermäuse, Waldbrüter mit höheren oder speziellen Ansprüchen, geschützte Pflanzenarten) und auch der Bereich Artenschutz wurde nicht vollständig abgearbeitet, so dass Verstöße gegen Rechtsvorschriften nicht auszuschließen waren.“
Das Umweltministerium fackelte erfreulicherweise nicht lange. Ein kurze Begehung vor Ort führte zu einer schnellen Rücknahme der Genehmigung. In der Begründung heißt es: „Der Antrag auf Waldumwandlung bezieht sich unter anderem auf einen Bereich, in dem ein Quellbach mit dazugehörigen Uferbereichen liegt. Die Prüfung hat ergeben, dass es sich bei dem Quellbachabschnitt um einen gesetzlich geschütztes Biotop handelt. Für die Waldumwandlung wäre daher eine Befreiung von den Verboten des gesetzlichen Biotopschutzes durch die UNB erforderlich gewesen. Diese lag nicht vor; sie hätte auf den gesetzlichen Grundlagen wohl auch nicht erteilt werden können.
Die Untere Naturschutzbehörde kommentierte zerknirscht, dass es ein Fehler gewesen sei, dem Gutachten zu glauben, das der Grundeigentümer in Auftrag gegeben hatte. Die Naturschutzbehörde habe wie üblich das Gutachten einer „Plausibilitätsanalyse“ unterzogen. „Es drängte sich nicht der Eindruck auf, dass das Gutachten falsch war“, sagte die UNB der Presse. Der Leiter ergänzte, dass man sich an rechtliche Vorgaben zu halten habe und schließlich keine Politik mache. Auch zukünftig wolle man sich nicht von Naturschützern oder anderen Gruppen bedrängen lassen und auch in Zukunft – schon aufgrund fehlender personeller Kapazitäten – überwiegend auf die Gutachten verlassen, die man geliefert bekäme. Zudem handele es sich lediglich um Verfahrensfehler. Wenn diese beim nächsten Antragsversuch ausgeräumt seien, könne man ggf. doch noch eine Genehmigung zur Abholzung erteilen. Der Wald sei keineswegs gerettet. Betrachtet man den Fall bis hierhin, so kann man zu dem Schluss kommen, dass die einzige Chance, in Schleswig-Flensburg auf ein zweifelhaftes Gutachten aufmerksam zu machen, die ist, sich stets direkt an das Ministerium zu wenden.
Doch das Lehrstück endet hier leider noch nicht. Einige Wochen später melden Bürger aus der Gemeinde, Bagger rollten zum Gintoft-Wäldchen und begännen mit dem Aushub eines Grabens. LKWs seien dabei, Kies, Rohre und Betonteile an den Waldrand zu liefern. Als nächstes meldeten sich weitere besorgte Bürger, die intensive Baumfällungen beobachtet hatten. Empört wandten sie sich wieder an das Ministerium, das diesmal die Untere Forstbehörde antworten ließ, dass eine Mitarbeiterin letzterer Behörde keine Verstöße forstrechtlicher Art feststellen konnte.
Zusammenfassend sei festzustellen, dass bei dem starken Eingriff vor allem sehr viele stärkere Bäume mit Brusthöhendurchmessern über 40 cm, einschließlich potenzieller Habitatbäume entnommen wurden. Der Bestockungsgrad des Bestandes wurde dadurch deutlich abgesenkt, unter Inkaufnahme einer verminderten Bestandesstabilität. Die Maßnahme sei „forstfachlich auch aus hiesiger Sicht zweifellos kritisch zu beurteilen, aber gemessen an den geltenden Vorschriften des Landeswaldgesetzes [..] forstrechtlich nicht zu beanstanden“. Was die Beurteilung des Biotopschutzes und sonstige naturschutzrechtliche Fragen anbetrifft, so möge man sich an die zuständige Untere Naturschutzbehörde des Kreises Schleswig-Flensburg wenden.
Der Eigentümer hat schließlich so heftig in dem Wald gewütet, dass die ausgelichteten, ungeschützten Reststämmchen bei Sturm hinreichend Angriffsfläche bieten und man nun ungehindert durch den ehemaligen Wald hindurchblicken kann. Ein weiteres Stück Natur wurde sinnlos zerstört. Der in Kürze mit Sicherheit ebenfalls entwässerte Boden dient dann als Grundlage für Mais und Co.
Ein wahrhaft trauriger Anblick, der die engagierten Bürgerinnen und Bürger in Ostangeln desillusioniert zurücklässt.
DSt 24. Juli 2017