Wiederherstellung eines standorttypischen Forellenbachs
Geringer Aufwand – große Wirkung: instream-Maßnahmen
Der Gewässertyp des Tiefland-Forellenbachs auf den Ablagerungen der letzten Eiszeit, den Moränen, ist im Wissen deutscher Fachleute nicht allgemein präsent. Dabei prägte dieser, grundwassergespeist und sommerkühl, die quellnahen Strecken nahezu aller Bäche und kleinen Flüsse. Der vorliegende Beitrag stellt von Eiszeit, Hydraulik- und Hydrologie geprägte Grundlagen dar und stellt heutige Probleme und Verbesserungsmöglichkeiten vor. Das Vorkommen standort-typischer Gewässerorganismen bereits kurz nach der Wiederherstellung der Forellenbäche belegt den Erfolg der vorgestellten Aktivitäten – zur Nachahmung empfohlen.
Charakteristische Einheit
Der Forellenbach im Norddeutschen Tiefland als charakteristische Einheit des Bachoberlaufs auf Moränenablagerungen wird bis heute oft nicht (ggf. als zu erreichendes standorttypisches) Entwicklungsziel erkannt. Das ist besonders vor dem Hintergrund misslich, da Bäche und kleine Flüsse ca. 80 Prozent norddeutscher Fließgewässerstrecken ausmachen.
Leider werden fachliche Aussagen zur ökologischen Längszonierung von Fließgewässern, die beispielsweise durch „Leitfischarten“ charakterisiert werden (bestimmte Fischarten besiedeln bzw. dominieren bestimmte Gewässerabschnitte aufgrund charakteristischer Strukturen und Merkmale), oft missverstanden. Denn nicht jedes Gewässer weist streng schematisch Ober-, Mittel- und Unterlauf und somit unabhängig von seiner Länge die gesamte Abfolge der Forellen-, Äschen-, Barben-, Brassen- und Kaulbarsch-Flunder-Region auf. Auch im Tiefland sind quellgespeiste, sommerkühle Bäche und kleine Flüsse durch Salmoniden und ihre Begleitarten gekennzeichnet. So können Bäche, die in einen größeren Fluss münden, auch einzig nur von der Forellenregion repräsentiert sein.
Heute, angesichts jahrzehntelanger Überprägung der Gewässer durch Ausbau und Kanalisierung ehemals produktiver, natürlicher Gewässer, ergibt sich äußerst selten die Gelegenheit, einen Eindruck über die Entwicklung und Situation hiesiger Gewässer zu gewinnen. Das hat beim Finden und Herausarbeiten des Entwicklungsziels bei einer Vielzahl von Bächen auf Moränen zu Fehleinschätzungen bei der Einstufung des Gewässers als „Sandbach“ geführt. Der Forellenbach im Norddeutschen Tiefland hat sich sein Kies-/Steinbett aus der Moräne herauspräpariert (Bild 2).
Restaurieren von Bächen und kleinen Flüssen
Die Prägung und Entstehung der Norddeutschen Tiefebene durch die Eiszeit, gekoppelt mit der langzeitigen Dynamik des Wassers, hat eine Vielzahl kiesgeprägter Gewässer entstehen lassen. Entsprechend heutiger Vorstellungen für die Wiederherstellung heimischer Gewässer geht es primär darum – orientiert am Leitbild „Forellenbach“ – dem Bach seine „gestohlene“ Steinfraktion zurückzugeben und durch Strukturverbesserung Lebensmöglichkeiten für standorttypische Arten zurückzugewinnen. Nur so wird der von der Europäischen-Wasserrahmenrichtlinie EG-WRRL geforderte „gute ökologische Zustand“ hinsichtlich der Lebensraum- und damit auch Gewässerqualität zu erreichen sein. Die intensive Landnutzung in Deutschland begrenzt die Möglichkeit, „überall“ Flächen für dynamische Entwicklung früherer Lebensräume zur Verfügung zu stellen. Zudem scheitern solche Ansätze häufig am Fehlen einer flächendeckenden Finanzierung. Für die meisten Fließgewässerstrecken bestehen – es sollen ja nach der EG-WRRL „alle“ Gewässer in einen guten Zustand zurückversetzt werden bzw. ein gutes ökologisches Potenzial erreichen – meist nur die Chancen auf sogenannte instream-Maßnahmen (Bild 1), d.h. Maßnahmen, die im Gewässer selbst, also im Gewässerlauf durchgeführt werden können und damit keine bis kaum Flächen am Gewässerrand in Anspruch nehmen. Standorttypische Organismen wie z.B. Eintags-, Köcher-, Steinfliegenund Libellenlarven, Forellen und Neunaugen belegen den Erfolg solcher Maßnahmen. Nicht zuletzt auch Schwarzstorch und Fischotter (Bild 3) profitieren – neben dem Menschen – vom reichhaltigeren Nahrungsangebot und struktureller Vielfalt. Mit dem Wiedereinbringen der standorttypischen Kiese und Gerölle in das Gewässer wird die Gewässersohle neu strukturiert. Es entsteht ein wertvolles Sand- und Kieslückensystem, wichtiger Lebensraum und Rückzugsort für zahlreiche Wirbellose und Jugendstadien von Fischen wie beispielsweise von Meerforellen, Neunaugen oder Elritzen. Diese Sohle bietet auch den charakteristischen Wasserpflanzen – die bislang dem z.B. bei Hochwässern entstehenden „Sandstrahlgebläse“ kaum etwas entgegen zu setzen hatten – dauerhafte Besiedlungsmöglichkeiten. Darüber hinaus hält die erhöhte Turbulenz die damit unterstützte Eigendynamik des Gewässers mit der Ausbildung des bachtypischen Stromstrichs die Besiedlungsflächen sandfrei (Bild 4), das Lückensystem (Interstitial) bleibt erhalten, wird durchlüftet und nicht durch Feinsediment zugesetzt.
instream-Restaurieren in der Praxis
Zunächst muss das Einverständnis von Grundeigentümern sowie dem zuständigen Wasser- und Bodenverband eingeholt werden. Wenn den Beteiligten verdeutlicht wird, dass durch die vorgesehene Strukturverbesserung mit Kies auch Böschungsschutz verbunden ist, und wenn dann darüber hinaus mit Beispielprojekten anderswo die sich einstellende Lebensraumverbesserung vorgestellt werden kann, steht einer Zustimmung meist nichts im Wege. Angesichts der fachlichen und rechtlichen Verpflichtung, überall Verbesserungen durchzuführen, stimmen die meisten Wasserbehörden z.B. Kiesschüttungen als Strömungslenker und/oder Laichbetten unbürokratisch zu.
Auf den Kies kommt es an
Zum Einbringen in die Gewässer hat sich gewaschener Kies mit einer Körnung von 16 bis 32 mm aus Kiesgruben möglichst aus dem Gewässerumfeld bewährt. Je nach Größe des Gewässers werden 1 bis 5 Kubikmeter Kies im Böschungswinkel frei geschüttet. Entsprechend der Gewässerdynamik eines jeden Bachlaufs wird dies im Wechsel der Gewässerseiten beispielsweise alle 5 bis 10 Meter wiederholt. Am besten wird mit einer Versuchsstrecke von 50 bis 100 Metern begonnen. Entweder beobachten die Beteiligten über einen gewissen Zeitraum, wie der Bach bei wechselnden Abflüssen mit dem Kies umgeht und passen ihre Maßnahme dementsprechend an oder es werden – bei bereits vorliegenden Erfahrungen – gleich Sohlstrukturen geformt. Die hinsichtlich Platz und Struktur besten entstehen meist aber durch die Eigendynamik des Gewässers sowie den – sich hoffentlich bald einstellenden – Laichaktivitäten z.B. der Meerforellen und Neunaugen. Tabellen über zu verwendende Kiesgrößen finden sich zahlreich in Facharbeiten. Die hier beschriebene Fraktion macht in allen Angaben die Menge von ca. 50 Prozent aus. Wer bei eigenen Arbeiten auch die kleinere Fraktion 8 bis 16 mm und/oder die größere Fraktion 32 bis 64 mm verwenden möchte, kann dies tun. Die Praxis hat gezeigt, dass die Strömungswirkung eingebrachten Kieses (noch) vor Ort vorhandenen, meist der Fraktion 8 bis 16 mm, freistrudelt. Insofern erübrigt sich mindestens das Einbringen von Feinmaterial bei den meisten Einsätzen.
Materialkosten werden häufig von Förderern gerne zur Verfügung gestellt. Hier muss man sich im Umfeld des Gewässers einmal informieren, welche Firmen, Vereine, Privatpersonen, Stiftungen oder Behörden in Frage kommen können. Die Arbeit bzw. die Arbeitskosten übernimmt angesichts der win-win-Situation oft der Wasser- und Bodenverband. Für Fließgewässer in Gemeinden oder Städten beteiligt sich gern die Kommune, z.B. über Einsetzen ihres Bauhofs. Am besten funktioniert die Umsetzung der instream-Maßnahme in der Praxis in Kooperation mit Grundeigentümern und Wasser- und
Bodenverbänden zu Zeiten, an denen zeitgleich auf den an die Gewässer angrenzenden Flächen landwirtschaftliche Aktivitäten stattfinden. Die Befahrbarkeit der Flächen und das Erreichen der geeigneten Stellen zur Einbringung des Materials in die Gewässer vor der Aussaat, nach der Ernte usw. sind wesentliche Ansatzpunkte für erfolgreiches Handeln vor Ort.
Nicht jede Störung ist hilfreich
Kurios angesichts der geschilderten „schlanken“ Situation hinsichtlich Flächenbedarf, Kosten und Aufwand ist gelegentlich ein lokal auftretendes Unverständnis einzelner Naturschutzverwaltungen. Obwohl die vorgestellten Aktivitäten fast immer den Zielsetzungen z.B. der FFH-Ziele entsprechen – und dort derselbe Handlungsdruck aufgrund erheblichen Nachholbedarfs besteht – intervenieren sie mit bürokratischen Hemmnissen, die in der Vergangenheit gelegentlich ein praxisnahes Umsetzen von Aktionen nahezu unmöglich machten. Das gemeinsame Ziel muss es aber sein, in der exzessiv genutzten Agrarlandschaft an möglichst vielen und langen Fließgewässerstrecken „aus der Wüste“ herauszukommen und – soweit wie irgend möglich – einen guten ökologischen Zustand anzustreben.
Restaurieren in Zeiten des Klimawandels
Beim Betrachten der heimischen Gewässer in der Landschaft aus der „Satelliten-Perspektive“ fällt ins Auge, wie ausgeräumt und kahl die Landschaft des Norddeutschen Tieflandes geworden ist. Gewässerrandstreifen sind vielerorts nicht vorhanden, dementsprechend fehlen fast flächendeckend die charakteristischen Gehölzsäume – von Gewässer begleitenden Auwäldern erst gar nicht zu sprechen. Die ungehindert auf das Gewässer scheinende Sonne verursacht ein Überheizen der grundwassergespeisten Strecken und damit eine permanente Stresssituation für die von Natur aus diesem Lebensraum bewohnenden, Kälte liebenden Arten. Deren Anforderungen und Lebensbegrenzungen – gezeigt an der maximalen Juli-Temperatur – sind vielfach belegt, aktuell sehr gut durch das EU-Projekt WISER verdeutlicht worden. Das Zurückgewinnen, das Wiederherstellen des naturnahen Zustands, hier die lichten Schatten spendenden, durch über die Zeit entstehenden altersgestaffelten Gehölzbestände ist ebenfalls ein wesentlicher Faktor für die Lebensraumverbesserung derartiger Fließgewässerstrecken. Am einfachsten – und am günstigsten – ist es, die Gehölzentwicklung über die natürliche Sukzession stattfinden zu lassen (Bild 5 und 6). Die Natur regelt den Prozess am besten selbst. Wo dies nicht möglich ist, sind Initial-Pflanzungen eine gut umsetzbare Hilfsmaßnahme. Die Trockenjahre 2018 und 2019 haben uns insbesondere im sommerlichen Aspekt gezeigt, wie wichtig eine gute Gewässerstruktur für das Überleben standorttypischer Lebensgemeinschaften ist.
LT 17. Mai 2021