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Elbe: Staustufe Geesthacht für Fische weitgehend unpassierbar
Die Elbe ist 1.091 Kilometer lang, der Anteil Deutschlands daran beträgt 727 Kilometer, ihr Einzugsgebiet umfasst 148.268 Quadratkilometer. Auf fast 1.000 Kilometern kann dieser eindrucksvolle Fluss von Schiffen befahren werden, große Seeschiffe gelangen jedoch nur bis Hamburg. Bereits 1960 wurde die Staustufe Geesthacht in Betrieb genommen, die insbesondere für die Binnenschifffahrt auch im Oberlauf stabile Wasserstände gewährleisten sollte. Für wandernde Fischarten stellt diese Staustufe allerdings eine enorme Zäsur dar. Nun behindern Sanierungsarbeiten den Fischaufstieg.
Im Zusammenhang mit der Umsetzung der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie EG-WRRL forderte der NABU seit 2008 auch an dieser Schlüsselstelle für das Gewässersystem die Wiederherstellung einer Durchgängigkeit für wandernde Fischarten. Mit der Einweihung der bis dato größten Fischaufstiegsanlage in Europa im Jahr 2010 auf der schleswig-holsteinischen Uferseite konnten alle Fische die Staustufe am Nordufer flussaufwärts überwinden. Der Energiekonzern Vattenfall musste diese Passage als eine Ausgleichsmaßnahme für die Wasserkühlung seines Steinkohlekraftwerkes Moorburg/Hamburg bauen. Aufkommende Diskussionen über Möglichkeiten einer Wasserkraftnutzung widersetzte sich der NABU Schleswig-Holstein gemeinsam mit anderen Naturschutzverbänden nachdrücklich mit der Forderung, keine weiteren Nutzungen an der Staustufe vorzunehmen und zuzulassen. Gerade in der Verantwortung für das große Einzugsgebiet sollte der soweit wie möglich störungsfreie Passierbarkeit für wandernde Fischarten höchste Priorität eingeräumt werden.
Notwendige Sanierungsmaßnahmen
Im August 2019 stellte das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt (WSA) Lauenburg überraschend größere Schäden an der Geesthachter Staustufe fest, die Sofortmaßnahmen zur Standsicherheit für das gesamte Bauwerk verlangten. Diese führten zur kompletten Verfüllung der Fischaufstiegsanlage (FAA) auf der Südseite der Elbe und zur Zubetonierung der Lockströmungsrinnen an der FAA des Nordufers. Da die Südseite nach den Maßnahmen für wandernde Fischarten nicht mehr passierbar und die Auffindbarkeit der FAA aufgrund der fehlenden Lockströmung auf der Nordseite erheblich erschwert war, wurde die Durchlässigkeit der Staustufe für wandernde (=anadrome) Fischarten extrem reduziert. Stand heute soll die notwendige Grundinstandsetzung der Wehranlage rund 15 Jahre in Anspruch nehmen.
Radikalisierung der Tide
Die jetzige Situation an der Ebe ist nach Auffassung vieler Naturschützer auch eine Folge der tiefgreifenden Flussvertiefungen in der Vergangenheit, vor allem der letzten Elbvertiefung von 1999. Bereits seit 15 Jahren ist ein zunehmender Tidehub unterhalb der Staustufe festzustellen, gleichzeitig erodiert die Sohle der oberen Tideelbe – mit der Konsequenz ihrer stetigen Vertiefung. Vor einigen Jahren prägte der Verein Rettet die Elbe e. V. in Hamburg den Begriff der „Radikalisierung der Tide“ aufgrund der tiefgreifenden Veränderungen im Tidegeschehen der Elbe. Diese Entwicklung geht nicht spurlos an der Staustufe vorbei. Sie unterliegt weit stärkeren Belastungen als in den Planungen in den 1950er Jahren zugrunde gelegt wurden. Die 1960 in Betrieb genommene Staustufe war auf eine Elbvertiefung von zehn bzw. zwölf Metern ausgelegt. Mittlerweile wird die Elbe auf mehr als 14,50 Meter Tiefe ausgebaut!
Es ist bisher jedoch nicht abschließend geklärt, was die so schwerwiegenden Standsicherheitsprobleme der Staustufe verursacht. Bisher steht die Vermutung im Raum, dass die, „Radikalisierung“ der Elbe als eine von mehreren Ursachen für die Schäden am Stauwehr anzusehen ist. Ein weiteres Problem ist die enorme Wassermenge, die durch die Wehrfelder geführt wird. Beim Wehrbau in den 60er Jahren war eingeplant, dass ein Teil der Wassermenge durch ein Wasserkraftwerk geführt werden sollte. Das führt dauerhaft zu einer hohen Belastung des Bauwerks.
Die Elbe ist dicht
Ende September 2019 wurden Natur-, Umweltschutz und Anglerverbände aus Geesthacht und Hamburg sowie die Hamburger Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft (BUKEA) auf deren Wunsch hin vom WSA Lauenburg über den Zustand der Wehranlage und die durchgeführten und geplanten Notmaßnahmen vor Ort ausführlich unterrichtet. Dabei wurde deutlich, dass kurzfristige Maßnahmen für den verbesserten Fischaufstieg nicht in Aussicht gestellt werden konnten.
Der NABU Geesthacht sowie der NABU Schleswig-Holstein und Hamburg erkannten zwar das Erfordernis der Gefahrenabwehr zur Gewährleistung der Standsicherheit des Bauwerks an, sprachen sich aber entschieden gegen eine längerfristige Blockade beider Fischpässe aus. Sie forderten die Wiederherstellung der Passierbarkeit für Wanderfische schnellstmöglich, wenn auch zunächst nur provisorisch.
Erste Gespräche des NABU mit Verantwortlichen in Schleswig Holstein über die voraussichtlich längerfristige Verletzung der Ziele der EG-WRRL und der Fauna Flora Habitat Richtlinie (FFH RL) verliefen unbefriedigend, überraschenderweise wurde kein Handlungsbedarf gesehen. Die Richtlinien verlangen aber, die Durchgängigkeit der Gewässer (wieder-)herzustellen oder zu gewährleisten, um auch beim Fischbestand einen guten ökologischen Zustand zu erreichen. Für Arten wie Lachs, Schnäpel und Flussneunauge, die in die Oberläufe wandern, um dort zu laichen, verschärft sich die Situation erheblich. Wiederansiedlungsprojekte in der Elbe und ihren Nebenflüssen, die mit erheblichem finanziellem und personellem Aufwand durchgeführt werden, auch um die Ziele der WRRL und der FFH RL zu erfüllen, sind dadurch gefährdet. Selbst bei der Umsetzung einer temporären Lösung stehen diese Wiederansiedlungsprojekte vor erheblichen Rückschlägen und drohen, mit Blick auf den Laich und Lebenszyklus der Fische, komplett zu scheitern.
Erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit
So entschlossen sich der NABU Geesthacht und der NABU Hamburg und Schleswig Holstein, das Thema „Fischpass am Elbewehr“ dringlich zu machen und Forderungen an die verantwortlichen Stellen auf Bundes und Landesebenen zu platzieren. Jens Gutzmann, Heike Kramer und Jürgen Vollbrandt vom NABU Geesthacht gingen Anfang Dezember 2019 mit eigenen Forderungen in die regionale Presse.
Forderungen des NABU
- Abfischen und Umsetzen der wanderwilligen Fische aus dem Unterwasser ins Oberwasser (während der Hauptwanderzeiten) und ggf. Durchführung dafür notwendiger Maßnahmen
- Temporäre Ausweitung und Kontrolle der Angelverbotszonen und -zeiten zur Schonung der Wanderfischarten sowie Maßnahmen zur Unterbindung der Fischwilderei
- Schnellstmögliche Wiederaktivierung der Lockströmung auf nördlicher Uferseite durch geeignete Rohrleitungen über den Damm hinweg. Denkbar sind auch andere provisorische Lösungen, um die Lockströmung während der bis zu 15 Jahre andauernden Grundinstandsetzung der Wehranlage zu realisieren
- Umgehende Planung zur Wiederherstellung und Verbesserung der Fischaufstiegsanlage am Südufer und schnellstmögliche Umsetzung Zugriff auf Monitoringergebnisse nach Überwindung der FAA Nord
- Zugriff auf Monitoringergebnisse nach Überwindung der FAA Nord
- Durchführung einer Eingriffsbilanzierung bezüglich der Zuschüttung der Fischaufstiegsanlage am Südufer. Dabei ist der Funktionsverlust an der Anlage zu monetarisieren, d. h. Zusammenfassung der finanziellen Aufwendungen der Oberlieger aus den verschiedenen Wiederansiedlungsprojekten von Fischen und Neunaugen.
In einem Brief wandten sich Mitte Dezember 2019 die Umweltverbände NABU, BUND, DNR, Grüne Liga und WWF mit ähnlichen Forderungen an das Bundesverkehrs- und das Bundesumweltministerium, an das Bundesamt für Naturschutz, an das Umweltbundesamt, an die Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt, an die Umweltministerien und behörden der Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hamburg, an die Flussgebietsgemeinschaft Elbe der Bundesländer und die IKSE. In einer ersten Antwort des Ministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur wurde die Arbeit an zügigen Problemlösungen zugesichert.
Regelmäßig wurden von den Aktiven vor Ort Sachstände bei den zuständigen Behörden abgefragt. Eine Wiederinbetriebnahme der Fischaufstiegsanlage (FAA) am Südufer wurde für das Jahr 2023 in Aussicht gestellt. Die Frage nach den Schadensursachen und den Zuständigkeiten führten am Nordufer zu einer langwierigen, undurchsichtigen und unergiebigen Situation. Nach der ersten eingeschränkten Wandersaison der Fische (Herbst/Winter 2019/2020) zeigten Berichte aus dem Oberlauf der Elbe, dass die erwarteten Wanderfische praktisch nicht nachgewiesen werden konnten.
Ausfall von Lachsen schon im ersten Jahr!
Diese Tatsache war zusammen mit einer nicht in Aussicht stehenden Lösung für den Fischaufstieg Anlass genug für den NABU Geesthacht, den öffentlichen Druck vor Ort zu erhöhen und daran mitzuarbeiten, als Erstes eine Maßnahme zur Schaffung einer Lockströmung am Nordufer zu realisieren.
Aktionsbündnis Future 4 fishes
Neben dem NABU Geesthacht setzten sich weitere Verbände mit Nachdruck für die Passierbarkeit der Elbe am Geesthachter Stauwehr ein. Es entstand das örtliches Aktionsbündnis „future 4 fishes“ aus den Gruppierungen NABU, BUND, B’90/Die Grünen, SPD und Umweltbeirat der Stadt Geesthacht. Am 28. Juni 2020 fand eine gemeinsam organisierte Demo statt, deren Teilnehmer*innen sich über eine gute Beteiligung und namhafte Redner freuen durften: Nina Scheer (MdB SPD), Kathrin Bockey (SPD, MdL in SH), Burkhard Peters (B’90/Die Grünen, MdL in SH), Miriam Staudte (B’90/Die Grünen, MdL in NS), Thomas Behrends (NABU-Landesstelle Wasser). Die Demo machte Eindruck, nicht nur bei den Beteiligten, sondern auch bei den Bundesbehörden, die sich mit dem Thema Fischaufstieg in Geesthacht befassen.
Der NABU Geesthacht lud zusammen mit Dr. Nina Scheer (SPD) als nächstes diejenigen Instanzen ein, die die Schnittstelle und zugleich der Knoten im Prozess um eine Lösung für die nichtvorhandene Lockströmung zu sein schienen: Das Wasser- und Schifffahrtsamt (WSA) und der Energiekonzern Vattenfall. Die Vertreter*innen beider Instanzen sprachen offen und konstruktiv. Das WSA war bereit, eine Übergangslösung in Form einer sogenannten Heberleitung auf der Wehrschwelle zu errichten. Vattenfall gab als Pächter der Fläche und Betreiber der FAA grünes Licht für die Baumaßnahmen.
Im Gespräch wurde eine Einigung erzielt, die schriftlich niedergelegt wurde und daraufhin in die anstehenden Gespräche der Bundesministerien Verkehr und Umwelt mit einfließen konnte. Als ein großer Erfolg wurde vom Aktionsbündnisses „future 4 fishes“ angesehen, dass der Bund veranlasst wurde, eine Notlösung zur Herstellung der Lockströmung durch das WSA Lauenburg zu bauen: Am 30. September 2020 wurden zehn Rohre (mit einem Durchmesser von 60 cm) auf der Überlaufschwelle des Wehrs in Betrieb genommen. Damit ist zumindest am Nordufer die Auffindbarkeit der FAA durch die Wanderfische wiederhergestellt. Auch für Vattenfall war die Wiederherstellung der Lockströmung wichtig, denn die FAA stellt eine Schadensbegrenzungsmaßnahme dar, die einwandfrei funktionieren muss, sollte für den Betrieb des Kraftwerkes Moorburg Kühlwasser entnommen werden. Der Betrieb des Kohlekraftwerks Moorburg ist abhängig von der Passierbarkeit der Staustufe in Geesthacht. Wer diese Heberleitung, deren Kosten bei 300.000 € liegen, finanziert, ist bis jetzt allerdings unklar. Die Röhren könnten bis zu zwei Jahre liegen bleiben und müssten nur bei Eisgang deinstalliert werden. In jedem Fall muss die Heberleitung bis zur endgültigen Sanierung und Bau neuer Rinnen in Funktion sein.
Wie geht’s weiter?
Für das Jahr 2023 plant das Wasserstraßen-Neubauamt Hannover die Wiederherstellung der FAA Süd. Um den anadromen Fischen, die am Südufer elbaufwärts zum Laichen ziehen, einen verbesserten Aufstieg zu ermöglichen, wird es wichtig sein, bei den derzeitigen Planungen Einfluss zu nehmen.
So forderte der NABU bereits 2008 zur naturnahen Verbesserung der Durchgängigkeit die ehemaligen Elbseitenarme am südlichen Ufer auf dem Rönner Werder wieder zu aktivieren. Diese gut zwei Kilometer langen Elbseitenarme sind teilweise noch erhalten. Die Herstellung ausreichend breiter und langsam durchströmter Elbseitenarme bietet große Entwicklungsperspektiven für wertvolle Biotope in der Auenlandschaft.
Acht Jahre später wurde von der Stiftung Lebensraum Elbe dazu eine Machbarkeitsstudie vorgelegt. In der Studie von 2016 wird nicht nur die Machbarkeit an sich nachgewiesen, sondern auch aufgezeigt, dass dies mit verhältnismäßig geringen Kosten verbunden ist. Bis heute stocken weitere Schritte zur Umsetzung, obwohl mit der Wiederverbindung der alten Elbseitenarme eine Wanderstrecke mit der größten Naturnähe für alle Tierarten an der Staustufe geschaffen werden könnte. Die Aktiven vom NABU Geesthacht sind sich einig, dass sie sich auch dafür wieder mit den anderen Mitgliedern des Aktionsbündnisses stark machen werden.
HK, ThB, 12. November 2020