Die Tafelente kam früher öfter auf den Tisch, wie ihr Name unschwer verrät. Die geschützte Ente sucht am Gewässerboden nach Futter und errichtet ihr Nest in der Uferzone des Schutzgebietes.
Vogelsterben unter Wasser
Der Stellnetztod der Tauchvögel
Die Ostsee ist ein wichtiges Brut- und Rastgebiet für Vögel. Allein über neun Millionen Vögel nutzen sie als Überwinterungsgebiet und auf dem Zug. Obgleich Schleswig-Holstein als Küstenland eine besondere Verantwortung trägt, fehlen effiziente, verbindliche Schutzmaßnahmen. Ein Beispiel hierfür ist das qualvolle Ertrinken tauchender Vögel in den Stellnetzen vor der Ostseeküste.
Während Studien weltweit jährlich bis zu 400.000 Seevögel als ungewollten Beifang in den Stellnetzen feststellen, wird der Beifang allein in der Ostsee auf jährlich über 100.000 Seevögel geschätzt.
Die Ornithologische Arbeitsgemeinschaft Schleswig-Holstein und Hamburg (OAGSH) und der NABU Schleswig-Holstein bemängeln diesen Missstand seit vielen Jahren und fordern, dass die für Seevögel gefährlichen Stellnetze in den bekannten Konfliktregionen und in Schutzgebieten schnellstmöglich durch alternative, umweltschonende Methoden ersetzt werden.
Ein besonderes Ärgernis ist hier die „Freiwillige Vereinbarung“ des Landes mit der Fischerei, die ein Feigenblatt in Sachen Seevogelschutz darstellt. Die seit 2013 geltende Vereinbarung soll Tauchenten und Schweinswale davor retten, in Stellnetzen zu ertrinken. Bis heute liegen jedoch keine Daten vor, die den Erfolg dieser Vereinbarung messbar machen. Stattdessen finden sich an der Küste weiterhin in großer Zahl tote Meeresenten und Schweinswale, die nachweislich in Stellnetzen ertrunken sind. Da muss man sich fragen, ob die jährlich ins Projekt fließenden 300.000 Euro gut investiert sind.
Freiwillige Vereinbarung unwirksam
Fischer bringen Stellnetze gezielt in Flachwasserbereichen aus - an den letzten intakten Nahrungsgründen für Tauchvögel
Im Stellnetz-Projekt wird ebenfalls nicht erfasst, wie viele Tauchenten tatsächlich in den Netzen verenden, da die Meldung der Vogeltotfunde gar nicht vorgesehen ist. Gedacht ist die Vereinbarung so, dass Ostseefischer in den Wintermonaten vom 16. November bis zum 1. März Seegebiete meiden, in denen besonders viele Vögel Rast machen und aktiv nach Nahrung suchen. Ein Warndienst meldet den Fischern per SMS, wenn ein Gebiet aufgrund großer Entenzahl gesperrt wird.
Die Mitarbeiter des Ostsee Info-Centers kontrollieren diese Gebiete mit einem Boot. Längst haben die Daten von Ornithologen aber gezeigt, dass die Tiere einige Wochen früher eintreffen und später weiterziehen, so dass die Zeiten längst hätten angepasst werden müssen.
Foto-Auswahl von Tauchenten im EU-Vogelschutzschutzgebiet Schlei, deren Erhaltungziel als "von besonderer Bedeutung" festgesetzt wurde und die stattdessen zuhauf in Fischernetzen landen:
Die freiwillige Vereinbarung kann gesetzliche Grundlagen nicht ersetzen. Sie ist bekanntermaßen das unwirksamste Instrument des Naturschutzes: Ein beträchtlicher Teil der Fischer, halten sich nicht an die Vorgaben. Aber auch unter denjenigen, die die Vereinbarung unterschrieben haben, gibt es einige schwarze Schafe. Selbst dort, wo sich über längere Zeit Tausende von Eiderenten aufhalten, werden von Ornithologen zuweilen gleich mehrere Stellnetze gesichtet. Arten, die gar nicht in größeren Pulks unterwegs sind – wie See- und Lappentaucher, Säger und Alken – fallen von vornherein durch das Raster.
Bei Störungen durch Speedboote oder Kiter flüchten Meeresenten zuweilen sogar aus dem Schutzgebiet in die Stellnetze. Aus Fischerkreisen ist bekannt, dass in Einzelfällen sogar mehrere Hundert der verendeten Tiere dann in einem Stellnetz gefunden wurden. Besonders perfide wird es, wenn die Stellnetze – besonders von Fischern, die sich nicht dem Schutz verpflichtet haben – gezielt um Schutzgebiete gestellt werden, in deren Flachwasserbereichen noch am ehesten intakte Lebensräume mit Fischbestand zu finden sind, die zugleich aber auch Nahrungsgründe vieler Tauchvögel sind. Eine bittere Tatsache auch für die engagierten Mitarbeiter des Ostsee Info-Centers Eckernförde, die die Vereinbarung zum Schutz von Meeresenten und Walen umsetzen sollen, aber doch nur mit einem stumpfen Schwert hantieren müssen.
Verdacht: Fischerei auf Tauchenten
Ein besonders krasser Fall ist für Ende 2022 in der Schlei vor dem NABU-Schutzgebiet Reesholm dokumentiert. Dessen Grenze verläuft unmittelbar an der Uferkante, die umgebenden Wasserflächen sind nicht enthalten. Die Schlei ist durch das Ostseeabkommen HELCOM (Helsinki-Konvention) geschützt. Doch die Gefährdung erscheint hier sogar besonders groß.
Ein Schleswiger Fischer nutzt die Wasserfläche um das NSG Reesholm zum Fang, doch wirklich nur auf Enten? Der Ornithologe René Schaack war am 29. November 2021 mit seiner Spezialkamera unterwegs, um Vögel zu erfassen. Er traute seinen Augen kaum, als der Fischer vor dem Naturschutzgebiet rd. 30 Tauchvögel, die sich im Laufe eines Tages im Stellnetz verfingen und dann qualvoll starben, aus dem Wasser zog: Es befand sich kein einziger Fisch im Netz, jedoch Reiherenten, Tafelenten und weitere Arten. Ausgerechnet hier gelten nicht die üblichen Abstände der Fischerei zur Uferkante, hier erhält auch der vom Aussterben bedrohte Aal keine Schonzeit.
Die hinzugezogene Polizei stellte fest, dass nach Auskunft des Fischers keine geschützte Art im Beifang gewesen sei und dass eine Anzeige somit obsolet sei. Rechtlicher Unsinn, denn alle Vogelarten sind geschützt. Der Fischer habe die Enten auch nur eingesammelt, um sie ordnungsgemäß zu entsorgen, und nicht zu verwerten. Das bezweifelt der NABU, nachdem bereits zwei Tage später erneut drei Stellnetze vor dem Schutzgebiet platziert wurden. Genau vor einem Küstenabschnitt, in dem NABU-Schutzgebietsbetreuer Norbert Neubauer gerade ein neues Brutfeld abgezäunt hatte. Der Fischer kann kaum gehofft haben, diesmal Fische und keine Ente zu fangen. Es fragt sich auch, warum ertrunkene Säger und Kormorane wieder über Bord gehen und nur die Enten mitgenommen werden, wie bei einer anderen Gelegenheit beobachtet werden konnte. Schafft man sich nach dem teils selbst verschuldeten Niedergang der Brotfische Dorsch und Hering hier ein neues Standbein?
Im Managementplan des Schutzgebietes heißt es: „Der Einsatz von Fischereigeräten erfolgt ausschließlich in einer Art und einem Umfang, in der die erhebliche Beeinträchtigung von FFH–Lebensraumtypen, -Arten und Vogelarten ausgeschlossen werden kann. Keine Intensivierung des Einsatzes von Fanggeräten und Fangmethoden, die zu einer Verschlechterung des Erhaltungszustandes von Schweinswalen und Meeres- und Tauchenten führen können.“ NABU und OAG wollen es nicht dabei bewenden lassen, wie Fischer in Schleswig-Holstein in europäischen Vogelschutzgebieten die zu schützenden Arten dezimieren.
NABU und OAGSH fordern mehr Schutz
Vertragsverletzungen gegenüber EU und HELCOM müssen ein Ende haben und Schutzgebiete müssen endlich echten Schutz bieten
Bedrohte Arten werden auch in den Schutzgebieten immer noch unzureichend geschützt. Entsprechend läuft ein Vertragsverletzungsverfahren der EU gegen die Bundesrepublik. Auch in Schleswig-Holstein bleibt einiges zu tun. Ein Ostseenationalpark kann – gut umgesetzt – mittelfristig die notwendigen Schutzmaßnahmen unterstützen, wird aber viel Zeit in Anspruch nehmen.
OAG und NABU fordern die Landesregierung daher auf, zeitnah aktiv zu werden. Die Fischereiverordnung muss jetzt angepasst und Schutzgebiete und ihre bedrohten Tauchvögel durch verbindliche Maßnahmen geschützt werden. Das Land muss sich zudem seiner Verantwortung stellen und rechtlich gesicherte, räumlich begrenzte Gebietsschließungen durchsetzen und zugleich mit der Weiterentwicklung alternativer Fanggeräte die Fischerei mittelfristig ökologisch nachhaltiger ausrichten.
DSt / BKo, 17.01.2023