Nachdem festgestellt wurde, dass die Mutter sich nicht mehr in der Nähe befindet, wird der junge Seehund von Seehundjäger Diedrichsen in die
Transportkiste gesteckt. Er ist fit genug, um in der Seehundstation eine zweite Chance zu bekommen.
Seehundjäger: Artenschutz am Spülsaum
Meeressäuger-Management in Schleswig-Holstein
Wenn an Schleswig-Holsteins Küsten plötzlich ein ungewöhnlich großes Tier angeschwemmt wird, ist es wohl ein Meeressäuger und in diesen Gefilden in der Regel ein Schweinswal, eine Kegelrobbe oder ein Seehund. Während der Kleine Tümmler, wie man den einzigen heimischen Wal auch nennt, ein Totfund sein dürfte, muss bei den beiden Hundsrobbenarten erst einmal nachgesehen werden, ob sie nur eine Ruhepause einlegen oder möglicherweise krank sind. Zu diesem Zweck kommen „Seehundjäger*innen“ ins Spiel, die als eine Art Ranger*innen für Meeressäuger offiziell vom Land Schleswig-Holstein beauftragt werden.
Studien untermauern NABU Schutzforderungen
In der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover in Büsum laufen viele Fäden zusammen. Unter der Leitung von Professorin Dr. Ursula Siebert werden neben anderen Wildtieren hier vorrangig Totfunde von Robben und Schweinswalen untersucht.
Das Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung (ITAW) ist selbst über die Grenzen Europas hinweg für seine ausgezeichnete Expertise in diesem Bereich bekannt. Das hilft den Meeresschützer*innen des NABU, Schutzbemühungen rechtlich geltend zu machen.
So konnte vom Team um Professorin Siebert durch die Untersuchung an Schweinswal-Totfunden nach ungeschützten Minensprengungen der Marine
bei Fehmarn ein eindeutiger Zusammenhang hergestellt werden. Die Schädigung bzw. Zerstörung eines Walgehöres kann nur an frischtoten Tieren einwandfrei festgestellt werden. Das wird erst möglich durch ein engmaschiges Netz von Seehundjäger*innen, die auch bereit sind, zu jeder Tageszeit, am Wochenende und im strömenden Regen loszufahren, um einer Meldung nachzugehen und den Fund zeitnah zu bergen.
Schutz des Menschen vor Krankheiten
Die künftigen Seehundjäger*innen werden im ITAW von Tierärzt*innen im Rahmen diverser Schulungen darin ausgebildet, den Gesundheitszustand mariner Säugetiere gut und sicher einschätzen zu können. Es geht aber auch darum, Infektionskrankheiten sicher erkennen zu lernen, um sich selbst und andere zu schützen. Robben und Wale können mit einer Vielzahl Erreger infiziert sein. Einige führen bei Menschen zu schweren Erkrankungen, daher müssen auch Hunde als mögliche Überträger von Totfunden ferngehalten werden. Jedes Jahr veranstaltet das ITAW einen Auffrischungslehrgang, in den jeweils neue Erkenntnisse einfließen.
Achtung bei Sichtungen!
- 100 Meter Entfernung von Robben einhalten.
- Hunde an die Leine nehmen.
- Nicht zwischen Tier und Wasser stellen, Sie oder Ihr Boot sollten sich nie zwischen Mutter und Jungtier befinden.
- Vorsicht: Auch kranke Robben können kräftig zubeißen.
- Robben und Schweinswale niemals anfassen. Heuler werden von den Müttern verstoßen, zudem können Meeressäuger für Menschen gefährliche Krankheiten übertragen – daher auch Hunde nicht schnuppern lassen.
Das Seehundmanagement wird zudem in einer im Umweltministerium angesiedelten Arbeitsgruppe – besetzt mit Vertreter* innen aus Behörden, Forschung, sowie NGOs aus Natur- und Tierschutz – regelmäßig überprüft und weiter verbessert – z. B. die Art und Weise der Durchführung einer schonenden Bergung.
Thomas Diedrichsen ist einer von vier Seehundjägern auf Sylt, wo vergleichsweise viele Meeressäuger stranden. Seit 20 Jahren ist er auf der Insel für den Artenschutz im Einsatz. Er sperrt Strandabschnitte vorübergehend ab, wenn ein ruhebedürftiger Seehund von neugierigen Tourist*innen bedrängt wird und klärt die Menschen darüber auf, dass Robben ungestört rasten müssen, um fit zu bleiben. „Ich wünschte, die Urlauber würden den Tieren einfach mal ausreichend Ruhe gönnen, anstatt sie mit fehlender Distanz in Stress zu versetzen,“ seufzt Diedrichsen. Er sammelt Tiere ein, die sich nicht mehr selbst helfen können, um sie zu erlösen oder zum Aufpäppeln nach Friedrichskoog zu verbringen.
Falsch verstandene Tierliebe
Leider hat Diedrichsen im Laufe der Jahre immer wieder mit Anfeindungen leben müssen. Manche Tierschützer*innen machen besonders an der Nordsee den Seehundjäger*innen das Leben schwer und behaupten, diese hätten Spaß daran, Seehunde zu töten und seien unfähig, ein krankes Tier zu erkennen. Am liebsten würden diese Kritiker*innen des Seehundmanagements gern jeden noch lebenden Strandfund in eine Tierarztpraxis verbringen. Das erinnert den NABU an die leider zahlreichen Menschen, die aus falsch verstandener Tierliebe jedes Jahr vermeintlich verlassene Vogelküken aus ihrem Lebensraum verschleppen.
Je niedlicher das Tier, umso größer der Drang, es streicheln, beschützen oder aus der Nähe fotografieren zu wollen. Fatal für einen verlassenen Heuler mit großen Knopfaugen.
Robben und Wale melden!
Sie haben eine kranke bzw. tote Robbe gefunden? Einen mutterlosen Seehund („Heuler“)? Einen gestrandeten Schweinswal?
Nordseeküste Schleswig-Holstein
Melden Sie den Fund bitte sofort bei der Seehundstation Friedrichskoog unter Telefon 04854 1372 oder bei der Polizei.
Teilweise hängt der Kontakt zu den Seehundjägern auch bei den Kurverwaltungen aus.
Ostseeküste Schleswig-Holstein
Melden Sie den Fund bitte sofort bei der Polizei. Auch die NABU Landesstelle Ostseeschutz vermittelt: Telefon 0170 9611081.
Bitte geben Sie den Fundort so genau wie möglich an (vorzugsweise mit Koordinaten), damit die Seehundjäger*innen nicht kilometerweit suchen müssen.
Doku und Ursachenforschung
Der NABU ist darüber hinaus dankbar für die zeitnahe Dokumentation von Schweinswalfunden – gern auch mit Foto – an: Schweinswalschutz@NABU-SH.de oder Telefon 0170 9611081 (Whats-App oder Signal), um Ursachen wie z.B. Sprengungen mit den Funden in Verbindung bringen zu können. Das gilt auch für nahegelegene dänische Küsten.
Tierärztekammer bestätigt Kompetenz
Tatsächlich wird den Seehundjäger*innen eine hervorragende Kenntnis bei der Beurteilung des Gesundheitszustandes von Meeressäugern bescheinigt. Das ITAW-Team hat noch bei keinem nach Gnadenschuss obduzierten Tier eine falsche Entscheidung feststellen können. Zu diesem Schluss kam auch die schleswig-holsteinische Tierärztekammer im Rahmen einer Prüfung. Sie bestätigte offiziell, dass es keinerlei Veranlassung gäbe, die Untersuchung von Heulern durch Tierärzt*innen vornehmen zu lassen, da die Seehundjäger* innen gut geschult seien.
Langjährige Ehrenamtler wie Thomas Diedrichsen verfügen zudem über so viel Erfahrung, dass sie die Fitness des jeweiligen Tieres bereits an der Fluchtdistanz und den Grad einer angegriffenen Lunge am Rasseln erkennen können. Eine Kompetenz, die selbst Professorin Siebert beeindruckt.
Kleine Wale, große Gefährdung
Seehundjäger Gert Bandholz ist an der Küste Schleswig-Flensburgs aktiv. Wie an der Ostsee üblich, sind hier vorrangig Schweinswal-Totfunde zu bergen. Während sich der Bestand der Robben an der Nordsee positiv entwickelt hat, haben es die Schweinswal-Bestände in der Ostsee schwer, auch nur den Status quo zu halten.
Ihre wegen menschlicher Negativeinflüsse extrem gesunkene Lebenserwartung ist alarmierend. Wie alle Seehundjäger*innen dokumentiert Bandholz die Fundtiere auf dem Erfassungsbogen des ITAW. So wird das Tier zunächst vermessen. Oft muss Bandholz feststellen, dass es wieder ein viel zu junges Tier war, das nun in eine Kühltruhe verbracht wird, um schließlich in Büsum auf Todesursachen untersucht zu werden. „Man muss schon Leidenschaft für den Naturschutz mitbringen, um auf Zuruf am Sonntagnachmittag von der Kaffeetafel aufzubrechen, um dann bei Regen und Wind nach einem Totfund zu suchen, dessen Fundort „so in etwa“ angegeben wurde“, lacht Gert Bandholz.
DSt, 6. Dezember 2022