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Kann die Jagd bedrohte Vogelarten retten?
Auch in den Schutzgebieten des NABU reicht der durchschnittliche Bruterfolg bodenbrütender Vogelarten oft nicht einmal aus, um den Bestand zu sichern. Vielmehr sind viele Gebiete auf einen Zuzug von außen angewiesen, oder die Brutvogelbestände sind langfristig rückläufig. Dabei sollen gerade Schutzgebiete optimale Bedingungen zur Steigerung der Populationsdichte bieten.
Den tatsächlichen Bruterfolg, also die Anzahl flügger Jungvögel zu erfassen, ist allerdings nicht leicht. Daher liegen aus den meisten Gebieten nur Angaben über die Zahl der Brutpaare, aber keine Angaben über deren Erfolg vor. Selbst der – leichter zu erfassende – Schlupferfolg wird größtenteils nicht erhoben. Fast überall, wo Bruterfolge einer intensiven Kontrolle unterliegen, werden hohe Verluste an Gelegen durch Beutegreifer und eine hohe Sterblichkeit der erfolgreich geschlüpften Küken festgestellt. Während Vögel wohl nur in Einzelfällen als Prädatoren bedeutsam sind, scheinen insbesondere nachtaktive Beutegreifer die Hauptverursacher der hohen Verlustraten zu sein. Da die bei uns heimischen Beutegreifer wie Fuchs und Marder ausnahmslos zu den jagdbaren Arten zählen, liegt der Ruf nach einer intensiveren Bejagung nahe und wird auch gerade unter Schutzgebietsbetreuern immer wieder ausgesprochen.
Besondere Aufmerksamkeit bei der Betrachtung der für die Prädation verantwortlichen Beutegreifer erhält – zumindest in Deutschland - der Rotfuchs. Seine Bestände scheinen, möglicherweise in Folge der Tollwutimmunisierung, in den letzten 30 Jahren deutlich zugenommen zu haben. Leider gibt es für den Bestandsanstieg keine wirklich belastbaren Zahlen, was aber vor allem methodische Gründe hat. Mithilfe von standardisierten Methoden und unter großem Aufwand und Einsatz vieler ehrenamtlicher Mitarbeiter ist es inzwischen möglich, für die meisten Vogelarten relativ gute Bestandsschätzungen vorzunehmen. Dies gilt leider nicht für die nächtlichen Beutegreifer, da sie sich, anders als die meisten Vögel, der direkten optischen oder akustischen Erfassung entziehen. Immerhin werden beim Fuchs die wenig aussagekräftigen Jagdstrecken (die ja vor allem die Aktivität der Jäger, aber nicht unbedingt die tatsächlich vorhandenen Füchse abbilden) neuerdings durch Zählungen von Mutterbauten ergänzt. Da sich insbesondere bei hohen Bestandsdichten nicht alle Tiere fortpflanzen, können über die Zählung der Gehecke (Wurfbauten) aber lediglich Mindestbestandsgrößen ermittelt werden. Wenn aber die tatsächliche Populationsdichte der Füchse nicht bekannt ist, ist es sehr schwer, den Einfluss der Jagd auf den Bestand des Rotfuchses realistisch abzuschätzen.
Ausschluss von Beutegreifern
Auf Inseln und zum Schutz von Seevogelkolonien im Binnenland erscheint ein Ausschluss von Beutegreifern durch geeignete Maßnahmen sinnvoll. Diese können nämlich punktuell in den Kolonien an der Nord- und Ostseeküste zur Gefahr für bedrohte Vogelarten wie Seeschwalben, Limikolen und Möwen werden. Dies vor allem deshalb, da den dort in teils hoher Dichte brütenden Seevögeln aufgrund der Kleinflächigkeit der Schutzgebiete, hohem touristischem Nutzungsdruck auf andere Küstenabschnitte und der verringerten morphologischen Dynamik kaum mehr neue Ausweichflächen für eine erfolgreiche Brut zur Verfügung stehen. Durch den Bau von Verbindungsdämmen zum Festland wurde das Problem für Inseln und Halligen im Wattenmeer erst hervorgerufen: Sylt verlor bereits durch den Hindenburgdamm die dortigen, großen Kolonien von Seeschwalben. Heute stehen Oland und Langeness / NF durch die Erhöhung des Lorendammes vor ähnlichen Problemen. Die beiden Halligen beherbergen heute u.a. noch die letzten erfolgreich brütenden, größeren Bestände von Austernfischern.
Neben der dann manchmal notwendig werdenden punktuellen Entnahme von Einzeltieren, ausschließlich zur Erreichung des Schutzzieles im Rahmen eines 'Managements', sind Seevogel-Kolonien wie auf dem Graswarder bei Heiligenhafen oder im NABU-Wasservogelreservat Wallnau auf Fehmarn nur durch umfangreiche Einzäunung mit Elektrodraht dauerhaft gegen den Fuchs und andere Raubsäuger zu sichern. Dies ist vor allem dann erfolgreich, wenn Halbinsel- oder Insellagen eine Aussicht auf Erfolg dieser Maßnahme bieten.
ILu 15. Juni 2018
Reduktion nicht nachhaltig
Wahrscheinlich aber lassen sich mit normaler Jagd Rotfuchsbestände nicht nachhaltig reduzieren. Warum? Um diese Frage beantworten zu können, ist es notwendig, sich etwas intensiver mit der Biologie des Fuchses auseinander zu setzen. Trotz der großen Schwierigkeiten bei der Beobachtung von Füchsen ist seine Biologie über radio-telemetrische Studien u. a. in Großbritannien, Norwegen, Frankreich, Italien, Nordamerika und auch Deutschland gut erforscht. Die ausschließlich einzeln jagenden Füchse leben überwiegend in festen Streifgebieten, die sie mit anderen Füchsen teilen können. In der Regel sind dies mehrere Fähen (Weibchen), aber nur ein Rüde. Da das Geschlechterverhältnis bei der Geburt ausgeglichen ist, müssen die jungen Rüden das Streifgebiet verlassen, während die Fähen oftmals in ihrem Geburtsgebiet verbleiben können. Unter den Füchsen gibt es eine Rangordnung, und unter normalen Umständen kann sich nur die ranghöchste Fähe fortpflanzen. Die übrigen Fähen können sich als Helfer an der Aufzucht der Jungen beteiligen. In Gebieten mit hoher Sterblichkeit wie etwa Städten, in denen viele Füchse überfahren werden, kommen diese Dominanzstrukturen durcheinander und mehrere Fähen eines Streifgebietes bekommen Junge. Auch die Zahl der Jungen pro Fähe kann bei geringerer Fuchsdichte ansteigen.
Äußerst anpassungsfähig
Die Größe eines Streifgebietes wird vor allem durch die Vielfalt der verfügbaren Ressourcen bestimmt. Da Füchse bei der Wahl ihrer Wurfhöhlen sehr anpassungsfähig sind, scheint vor allem die Nahrungsverfügbarkeit entscheidend zu sein. Die Zahl der Füchse, die sich ein Streifgebiet teilen, schwankt je nach Qualität des Gebietes in der Regel zwischen zwei und sieben Tieren. Durch diese Begrenzung müssen auch überzählige Fähen ihren Geburtsort verlassen und nach einem freien Platz in einem anderen Streifgebiet suchen. Die Entfernungen, die von den abwandernden Füchsen zurückgelegt werden, sind teilweise beträchtlich: In Amerika konnten Auswanderungsentfernungen von bis zu 340 km festgestellt werden; in Mitteleuropa sind Distanzen bis zu 140 km nachgewiesen. In einem englischen Untersuchungsgebiet blieb die Bevölkerungsdichte der Füchse selbst bei einer Sterblichkeit von 67 Prozent im Laufe eines Jahres stabil. Mit anderen Worten: Selbst wenn zwei Drittel der Füchse eines Streifgebietes im Laufe eines Jahres zu Tode kommen, wird der Bestand durch Zuwanderung und erhöhte Reproduktion innerhalb des gleichen Jahres komplett ausgeglichen. Eine wirksame Reduzierung der Fuchsbestände mithilfe der Jagd erscheint unter diesen Umständen als sehr schwierig. Insbesondere die winterliche Fuchsjagd fällt in die Hauptwanderzeit der Füchse und wirbelt daher wohl vor allem die Sozialstrukturen der Füchse durcheinander. Die durch die Jagd frei gewordenen Plätze in den gemeinschaftlichen Streifgebieten können durch Zuwanderung wieder besetzt werden. Laut einer Studie aus mehreren Gebieten im Mittelmeerraum trägt die Fuchsjagd dadurch ganz erheblich zu einem erhöhten genetischen Austausch bei.
Wirkungsvoller ist möglicherweise die im Frühjahr durchgeführte Baujagd. Doch auch hier gilt: Verluste werden schnell durch Zuwanderung wieder ausgeglichen. Nur eine sehr großräumige, intensive und konsequente Bejagung des Fuchses kann zu einer nachhaltigen Reduzierung der Bestände führen. Ob dies aber bei einer einheimischen Wildtierart eine weidgerechte Jagdausübung darstellt?
Konkurrenz
Und: Wäre das Problem für die bodenbrütenden Vogelarten gelöst, wenn es gelänge, den Fuchs wirksam aus einzelnen Gebieten zu entfernen? Während man sich in Deutschland intensiv mit dem Fuchs als Hauptverursacher von Gelege- und Kükenverlusten beschäftigt, ist dies in Südschweden derzeit kein Thema. Dort ist der Fuchsbestand durch die Räude, eine durch Milben verursachte Hautkrankheit, so stark dezimiert, dass er von den dortigen Vogelschützern nicht als großes Problem wahrgenommen wird. Dennoch ist auch in den schwedischen Vogelbrutgebieten Prädation ein ernsthaftes Problem. Anfang der 1980er Jahre war es dort schon einmal zu einer sehr starken Dezimierung der Fuchsbestände gekommen, in deren Folge die Bruterfolge vieler Bodenbrüter zunächst anstiegen. Interessanterweise hielt dieser positive Trend nicht lange an, obwohl sich die Fuchsbestände nur sehr langsam erholten. In der gleichen Zeit nahmen Amerikanischer Nerz und Iltis stark zu. Das Gleiche geschah 1997 bei einem erneuten Ausbruch der Räude, der teilweise zu einem lokalen Aussterben der Füchse führte. Plötzlich wurde der Baummarder deutlich häufiger als zuvor und eroberte selbst Dünengebiete. Der Steinmarder kommt in Schweden nicht vor. Auch Amerikanischer Nerz und Iltis nahmen erneut zu, während die Mauswieselbestände abnahmen.
Offensichtlich gibt es bei den Beutegreifern nicht nur innerhalb der Arten, sondern auch zwischen den Arten ein Dominanzgefüge. Fällt nun eine Art aus, wird ihre ökologische Nische schnell durch eine andere Art aufgefüllt. Die zur Verfügung stehenden Ressourcen bleiben so nicht über längere Zeit ungenutzt. Vielleicht ist es daher wirkungsvoller, die Ressourcen der Beutegreifer einzuschränken? Die zu schützenden Vögel stellen wahrscheinlich aufgrund ihres jahreszeitlich eingeschränkten Auftretens nicht die begrenzende Ressource für die Beutegreifer dar. Hier scheinen Kleinsäuger, vor allem Mäuse, eine entscheidende Rolle zu spielen. Versuche, durch winterliche Überflutung Flächen mäusefrei zu machen, waren jedoch nur sehr bedingt erfolgreich, denn auch Mäuse besitzen ein erstaunlich großes Ausbreitungs- und Wiederbesiedlungspotential. Vermutlich benötigt man für eine effektive Kleinsäuger-Reduktion zusammenhängend überflutete Flächen von über 10 km.
Die allermeisten Schutzgebiete sind kleiner, sodass dieses Konzept selbst bei einem uneingeschränkten Zugriff des Naturschutzes auf die Wasserstände kaum zu verwirklichen ist. Möglicherweise ist jedoch in Grünlandgebieten auch die Form der Beweidung eine Möglichkeit, die Kleinsäugerdichten zu beeinflussen. Die derzeit in Mode gekommene ganzjährige Beweidung in Form einer ganzjährigen Standweide ist dabei vielleicht eher kontraproduktiv. Da die Tiere auf den Flächen im Winter oft nicht zugefüttert werden dürfen, sind nur sehr geringe Viehdichten möglich und ein Teil des Grases bleibt stehen. Diese Strukturen erleichtern den Mäusen die Besiedlung und das Überleben auf den Flächen erheblich. Allerdings ist die traditionelle Sommerweide mit Jungvieh, wie sie bis etwa Anfang der 1980er Jahre noch weit verbreitet war, unter den heutigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen kaum mehr durchführbar.
Aber auch mit ganzjährig draußen gehaltenen Mutterkühen wäre eine intensivere Nutzung von für den Vogelschutz wichtigen Flächen möglich. Erhöhte Viehdichten zur Brutzeit in Wiesenvogelbrutgebieten sind allerdings bezüglich des Schlupferfolgs sehr problematisch. Daher erscheint eine intensivere Spätsommer- und Herbstbeweidung kombiniert mit einer Weideruhe von Anfang April bis Mitte Juni eine gute Lösung, vorausgesetzt, im Frühjahr stehen geeignete Ersatzflächen zur Verfügung. Entscheidend dabei ist, dass die Brutwiesen zum Ende der Vegetationsperiode ganz kurz abgefressen sind, sodass sie über Winter und im Frühjahr keine guten Kleinsäugerlebensräume darstellen. Kurz abgeweidete Wiesen sind auch attraktiv für überwinternde Gänse, diese können u.U. bis Mitte Mai die Beweidung übernehmen.
Alle Ziele erreichen?
Ein weiteres Problem ist, dass in vielen Schutzgebieten mehrere Ziele zugleich verfolgt werden – und aufgrund der geringen zur Verfügung stehenden Fläche vielleicht auch oftmals müssen. Wenn aber in traditionellen Wiesenvogelgebieten zugleich Schilf- und Gehölzbrüter gefördert werden, so wird auch die Kapazität für Prädatoren durch einen vielgestaltigeren Lebensraum erhöht. Bisher wird der Erfolg eines Gebietes oftmals an der Zahl der dort brütenden Vogelarten gemessen. Wie schon eingangs gezeigt werden konnte, ist dies aber nicht unbedingt ein gutes Maß für die Qualität eines Schutzgebietes. Es scheint daher angebracht, ein vermehrtes Augenmerk auf den Bruterfolg zu richten. Dies muss wegen witterungsbedingt möglicher Totalausfälle in manchen Jahren über einen längeren Zeitraum geschehen. Den besonders gefährdeten Bodenbrütern sollte dabei gesteigerte Aufmerksamkeit geschenkt werden. Ein Sonderfall sind koloniebrütende Arten wie Möwen oder Seeschwalben. Für sie können künstliche Inseln angelegt oder Elektrozäune aufgestellt werden. Beide Methoden bieten keinen absoluten Schutz, denn wenn es sich lohnt, können Füchse recht gut schwimmen. Auch Elektrozäune, die überdies sehr pflegeaufwendig sind, werden immer wieder überwunden – sei es durch Untergraben, Überspringen oder Ausnutzen kurzzeitiger Stromausfälle. Dennoch wäre z. B. die Zwergseeschwalbe ohne den intensiven Schutz der großen Brutkolonie bei Cismar durch einen Elektrozaun an der schleswig-holsteinischen Ostseeküste möglicherweise schon ganz verschwunden.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass es für den Umgang mit Brutverlusten durch Prädatoren keine einfachen Lösungen gibt. Durch die hohe Anpassungsfähigkeit der Prädatoren ist es sehr schwer, sie durch Bejagung nachhaltig zu dezimieren. Schutzvorrichtungen wie künstliche Inseln und Elektrozäune können bei vertretbarem Aufwand nur einige Koloniebrüter schützen. Und eine indirekte Beeinflussung der Räuberdichten durch die Gestaltung der Lebensräume kann leicht zu Konflikten mit anderen Naturschutzzielen führen. Letztlich muss für jedes Gebiet eine Einzelabwägung vorgenommen werden – manchmal auch mit der schmerzlichen Erkenntnis, nicht alle Ziele erreichen zu können.
MA, akt. 7. Mai 2016