Alles Mist!
Chemiekeule bedroht Artenvielfalt auch im Dung
Uns allen ist der Symbolwert des Heiligen Skarabäus hinlänglich bekannt. Bereits die alten Ägypter sahen den ‚Pillendreher‘ als Glücksbringer an und bewunderten dessen besonderes Verhalten, Dung zu einer Kugel zu formen, abzutransportieren und schließlich im Erdboden zu versenken. Soviel Respekt und Aufmerksamkeit wird den heimischen Mist- und Dungkäfern nicht zuteil. Kaum jemand beobachtet deren subtile Lebensweise oder überblickt die ganze Bandbreite der Arten. Zugegebenermaßen wäre ein derartiges Interesse in heutiger Zeit auch nicht ohne weiteres abzudecken. Denn die Koprobionten, die im Dung lebenden Käfer, sind in der modernen Agrarlandschaft vielfach verschwunden und ‚bereichern‘ jetzt die Rote Liste der gefährdeten Arten. Lediglich auf einigen biologisch bewirtschafteten Weideflächen hat sich manch eine Art über die Zeit retten können.
Der vorliegende Beitrag behandelt die Auswirkungen von Breitband-Bioziden bei der Bekämpfung von Parasiten von Nutztieren auf die Käferfauna im Dung von Weidetieren. Doch wie kann man als Halter auf diese Bedrohung der Artenvielfalt reagieren?
In einer der folgenden Ausgaben von „Betrifft: Natur“ wird Gerd Kämmer, Bunde Wischen, seine an Ökologie wie Tierschutzbelange angepasste Praxis erläutern.
Erfreulicherweise eröffnen die gegenwärtigen, am Naturschutz ausgerichteten Beweidungsprojekte den Dungbewohnern nunmehr die Möglichkeit, in die Kulturlandschaft zurückzukehren. Hier werden, wie es die Natur vorgibt, die Ausscheidungen der Weidetiere in einem Kreislaufprozess umgewandelt. Jeder Kuhfladen, jeder Pferdeapfel beherbergt eine vielfältige Lebensgemeinschaft, an der nicht nur koprobionte Blatthornkäfer (Geotrupidae, Scarabaeidae) beteiligt sind, sondern auch unzählige Fliegenarten sowie Stutzkäfer und Kurzflügelkäfer, die sich wiederum von den Larven der Koprobionten ernähren.
Der folgende Beitrag beschränkt sich auf die Familie der Blatthornkäfer, weil sie am besten untersucht sind und an der Dungumsetzung den weitaus größten Anteil haben. Die betreffenden Mist- und Dungkäfern sind in Schleswig-Holstein mit 47 Offenlandarten vertreten; in Waldhabitaten kommen weitere Arten hinzu.
Lebensweise
Grundsätzlich betrachtet verwerten die Käfer den Weidedung auf drei unterschiedlichen Wegen: Die erste Gruppe der Dungbewohner gräbt Tunnel und Gänge ins Erdreich, in denen der Kot in den Untergrund befördert wird. Je nach Art werden die Gangsysteme in unterschiedlicher Tiefe angelegt. Vom Stierkäfer Typhaeus typhoeus ist bekannt, dass er tiefer als einen Meter graben kann. Im eingebrachten Dung entwickeln sich dann die Larven, die - wie bei allen Blatthornkäfern - Engerlinge genannt werden. Eine zweite Gruppe verweilt im Dung und vollzieht dort bzw. in der oberflächennahen Erdschicht die Larvalentwicklung. Schließlich gibt es noch die sogenannten „rollers“, die allerdings nicht im Norden vorkommen. Sie formen Teile des Dungs zu Kugeln, um sie weit abseits zu vergraben.
Einige besonders flugaktive Arten besiedeln den Dung unmittelbar, nachdem er das Tier verlassen hat. Sofern es sich beispielsweise um einen schlabbrigen Kuhfladen handelt, wird dieser umgehend für die weitere Zersetzung vorbereitet. Rasch bildet sich durch Austrocknung eine dünne Kruste, die durch die Miniertätigkeit bestimmter Dungkäferarten perforiert und unterhöhlt wird, so dass Sauerstoff zutreten kann. Damit ist der Weg für Nachfolgearten geebnet. Diese Vorgänge lassen sich besonders gut im Frühherbst beobachten, wenn einige Arten in Massen auftreten und den Kot innerhalb von Tagen unter die Erdoberfläche bringen. Beispielsweise ergab eine nur 25 cm3 kleine Pferdedung-Probe 20 Individueen, die vier verschiedenen Dungkäferarten angehörten. Im Frühherbst tritt auch der auffallend große Mistkäfer Geotrupes spiniger auf.
Weidelandschaften
Als besonders gelungene Beweidungsprogramme haben sich diejenigen erwiesen, die auf ehemaligen militärischen Übungsplätzen durchgeführt werden. Dazu zählen Schäferhaus, Nordoe/Kremper Heide oder Höltigbaum. Solche Gebiete bringen einige Vorzüge mit sich, die für das Überleben der Koprobionten entscheidend sind. Die oft riesigen Flächen sind seit jeher von der landwirtschaftlichen Intensiv-Nutzung verschont geblieben und entsprechend nährstoffarm. Dadurch bleibt die Vegetationsdecke relativ locker, so dass sich die Böden hinreichend erwärmen können - eine Grundvoraussetzung für die Dungbewohner und ihre Larven. So wird erklärlich, warum auf Intensiv-Grünland fast gar keine tunnelgrabenden Arten zu finden sind.
Des Weiteren zeichnen sich gute Weidelandschaften dadurch aus, dass die Weidetiere möglichst wenig umgetrieben werden und ganzjährig weiden. Auf diese Weise ist die kontinuierliche Nachlieferung des Dungs gewährleistet. Darauf sind insbesondere die winteraktiven Dungbewohner angewiesen, weil sie in der kalten Jahreszeit keine großen Distanzen zurücklegen können; sie beziehen die nötige „Betriebstemperatur“ ja lediglich aus der Fermentierungswärme des Dunghaufens. Das natürliche Artenspektrum wandelt sich im Jahresgang grundlegend. Eine solche Verschiebung lässt sich in der modernen Landwirtschaft wegen die Haltungsbedingungen nicht beobachten.
Eine besonders hohe Koprophagenvielfalt stellt sich ein, falls sich Konik- oder Exmoor-Pferde zu den Robustrindern gesellen. Die Mischbeweidung sorgt für ein vielfältigeres Substratangebot, wenngleich die Koprophagen keine hohe Einnischung hinsichtlich der Weidegänger-Arten zeigen. Für einen Großteil der Arten ist Pferdedung besonders attraktiv, nicht zuletzt weil er strukturiert und durchlüftet ist. Riesige Ansammlungen von Käfern befinden in solchen Dunghaufen, die von Hengsten „gepflegt“ werden, indem sie stets an ein und dieselbe Stelle koten, um deutliche Wegmarken zu setzen oder um Reviergrenzen und Dominanz zu signalisieren.
Neben den zuvor genannten Bedingungen wird das Artenspektrum zusätzlich bereichert, wenn Waldränder angrenzen oder sogar Waldstücke in die Weidelandschaft integriert werden. Unter diesen Verhältnissen treten Dung- und Mistkäfer hinzu, die das Offenland eher meiden.
Die Beispiele zeigen, dass die Koprophagen scheinbar recht hohe Ansprüche bezüglich der Lebensraumausstattung und -beschaffenheit haben. Zu dieser Einschätzung kommt man allerdings nur, weil wir es heute mit einer großflächig monotonisierten, über die Maßen regulierten und mit Nährstoffen überfrachteten Agrarlandschaft zu tun haben. Ein Blick auf alte Landkarten lässt erahnen, wie vielfältig und dynamisch die Landschaft einst genutzt worden ist; bekanntermaßen sind Heiden in fast allen Fällen das Ergebnis einer extensiven Beweidung bzw. des Viehtriebs. In solchen längst vergangenen Kulturlandschaften war das Nischenangebot für die dungbewohnenden Käfer in vollem Umfang gesichert.
Gefährdung
In heutiger Zeit haben es die Koprophagen schwer: Von den 47 Offenland-Arten sind annähernd 30% ausgestorben bzw. verschollen! Unter Einbeziehung der hochgradig gefährdeten Arten (RL1 + RL2) liegt der Anteil der ausgestorbenen, vom Aussterben bedrohten und stark gefährdeten Arten bei mehr als 40 %. Mithin gehören die koprophagen Blatthornkäfer zu den am stärksten gefährdeten ökologischen Gilden innerhalb unserer Gesamtfauna. Ihr Niedergang ist eine besonders durchschlagende Erscheinungsform des Insektensterbens.
Analysiert man die Chronologie des Aussterbens, so wird die Beschleunigung des Arten-Rückgangs deutlich. 1859 bis 1919 sind der schleswig-holsteinischen Fauna fünf Arten verloren gegangen. Die Ursachen sind sicherlich in der Abkehr von sehr alten, traditionellen Weidenutzungen sowie in natürlichen Fluktuationen zu suchen. In einer etwa gleichlangen Zeitspanne ab 1950 starben dann neun weitere Arten aus. Dieser Zeitabschnitt ist gekennzeichnet durch weitreichende Flurbereinigungen und eine rasante landwirtschaftliche Produktionssteigerung. Deren aktuelle Intensität überfordert die Regenerationsleistung der Ökosysteme.
All diese für die koprophagen Käfer widrigen Bedingungen haben eine zusätzliche Verschärfung erfahren, seitdem vor etwa 30 Jahren Präparate in die Veterinärmedizin eingeführt wurden, die – unbeabsichtigterweise – eine radikale Wirkung gegen Dungbewohner haben. Gemeint sind Breitbandbiozide (z.B. Avermectine) zur Bekämpfung von Endo- und Ektoparasiten. Derartige Medikamente verhalten sich im Tierkörper chemisch sehr stabil, werden mit dem Kot ausgeschieden und entfalten in Weidegebieten eine vielfältig toxische Wirkung. Mit zunehmender Tendenz kommen solche Medikamente nicht nur in der Nutztierhaltung zum Einsatz sondern auch bei Freizeitpferden und Hunden. Die sehr verbreitete, oftmals prophylaktische Anwendung von Parasitiziden erklärt, warum eine Rückkehr bereits verschollener Käferarten trotz der in jüngerer Zeit entstandenen Weidelandschaften noch nicht beobachtet werden konnte.
Bedauerlicherweise sind nicht einmal Naturschutzflächen von dieser Form der Chemikalisierung ausgenommen. Immer wieder kommt es zu Beobachtungen, dass große Weideflächen gänzlich koprophagenfrei daliegen, weil sich Tierhalter oder Veterinäre über die Naturschutzbelange hinwegsetzen. In solchen Fällen können die Dunghaufen nicht den zügigen, natürlichen Umwandlungsvorgang durchlaufen, sondern sie verbleiben über lange Zeit und deutlich sichtbar in der Weidelandschaft. Weil ein Großteil der Freizeitpferde routinemäßig behandelt wird, sollte den entsprechenden Tierhaltern ein Reitverbot in Wäldern und auf anderen naturschutzrelevanten Flächen ausgesprochen werden. Dies ist zudem damit begründet, dass Pferdeäpfel eine ungleich stärkere Lockwirkung auf Koprophage haben als Wildlosung.
Die Endphase dieser unheilvollen Entwicklung wurde durch die mit aller Macht vorangetriebene sogenannte Energiewende eingeläutet. Sie hat u.a. zur Folge, dass die Rinderhaltung in großem Maße in die Ställe verlegt worden ist, weil der Fächenanspruch für den Maianbau in die Höhe geschnellt ist. Gleichzeitig behindert die Flächenkonkurrenz die erforderliche Ausweitung biologisch bewirtschafteter Flächen. In naher Zukunft ist darüber hinaus mit einem starken Ausbau der Solartechnik zu rechnen. Was zunächst ökologisch sinnvoll erscheinen mag, geht mit einer potentiellen Gefährdung vieler flugaktiver Insektenarten, darunter auch koprobionter Käfer, einher. Es ist bekannt, wenn auch wenig erforscht, dass nicht nur Wasser- und Schwimmkäfer sondern auch Dungkäfer künstlich geschaffene, spiegelnde Oberflächen massenhaft anfliegen und dort verenden. Es handelt sich also um eine Sonderform der Lichtverschmutzung, die bekanntlich zum Insektensterben beträgt.
RSu 2. Juli 2019