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Ergebnisse aus Schleswig-Holstein
Berlin / Neumünster - 29. Januar 2016: Der NABU freut sich über die rege Teilnahme: Bei Deutschlands größter wissenschaftlicher Mitmachaktion haben bundesweit über 91.000 TeilnehmerInnen Zählergebnisse aus über 61.000 Gärten übermittelt. In den jeweils einstündigen Beobachtungszeiträumen wurden insgesamt über 2,5 Millionen Vögel gezählt. Pro Zählstelle wurden damit im Schnitt knapp über 41 Vögel erfasst, weniger als in den ersten Jahren der Aktion, aber die höchste Zahl seit 2014. In Schleswig-Holstein wurden von 3.689 ZählerInnen in 2.491 Gärten 103.995 Vögel gezählt, die dritthöchste Zahl seit Beginn der Aktion und eine deutliche Steigerung gegenüber dem letzten Jahr.
„Je mehr Bürger uns Daten über die Vögel vor ihrer Haustür übermitteln, desto genauer wird unser Schnappschuss der winterlichen Vogelwelt in Deutschlands Gärten und Parks“, erklärte Janina Philipp, Vogel-Expertin des NABU Schleswig-Holstein. Die Zählung fand am Wochenende des 8.-10. Januar statt, kurz nach dem allerersten Wintereinbruch des Jahres und vor der ersten ernsthaften Kälteperiode zu Mitte des Monats. Trotz des verbreiteten Regenwetters hatten viele Teilnehmer eine regenfreie Zählstunde nutzen können.
Die große Überraschung des Jahres liegt auf Platz neun (Schleswig-Holstein: Platz 13) der häufigsten Arten: Der Erlenzeisig ist der Shootingstar des Winters. Im Vergleich zum Vorjahr (damals Platz 22) wurde der kleine gelbgrüne Finkenvogel fast viermal häufiger gemeldet –mehr als doppelt so viele wie im bisherigen Rekordjahr 2011 erschienen an den Zählplätzen. Nach derzeitiger Datenlage konnte die Art deutschlandweit fast in jedem fünften Garten entdeckt werden, bei durchschnittlich 1,28 Vögeln pro Garten. „Grund für diese Zahlen ist eine Invasion aus dem Norden. Wenn die Zeisige in Skandinavien im Sommer besonders viele Junge aufgezogen haben, für die das Futterangebot dort im Winter nicht ausreicht, wanderen die Tiere verstärkt ab“, erläutert Philipp. Bereits ab Juli 2015 hatten Ornithologen verstärkten Zuzug von Erlenzeisigen aus dem Norden beobachtet. Das bestätigen jetzt auch die ersten Ergebnisse der Stunde der Wintervögel. Andere typische Wintergäste wie Bergfinken oder Seidenschwänze, die in manchen Jahren sehr zahlreich auftreten können, machten sich dagegen rar.
Auf den ersten acht Plätzen der häufigsten Wintervögel haben sich die üblichen Verdächtigen eingestellt: Die bisherige Reihenfolge mit dem Spitzenreiter Haussperling, gefolgt von Kohlmeise, Blaumeise, Feldsperling, Amsel, Grünfink, Buchfink und Elster entspricht genau dem Durchschnitt aller Jahre. In Schleswig-Holstein blieb die Reihenfolge gegenüber dem Vorjahr mit Haus- und Feldsperling vor Amsel, Kohl- und Blaumeise ebenfalls weitgehend unverändert. Der Grünfink rutscht in Schleswig-Holstein von Platz sechs auf Platz sieben ab und tauscht den Platz mit dem Buchfinken. Platz 8 erreicht das Rotkehlchen, das sich um zwei Plätze nach oben verbessert.
Nur in kalten Wintern mit viel Zuzug von Verwandten aus dem Norden und Osten scheint die Kohlmeise den sehr sesshaften Haussperling bundesweit von Platz 1 verdrängen zu können – so geschehen zuletzt im Jahr 2013. Nur in einer anderen Wertung wird der Haussperling regelmäßig von der Kohlmeise geschlagen: Während diese in 93 Prozent aller Gärten gesehen wird und damit der am zuverlässigsten zu findende Wintervogel ist, sind es beim Haussperling nur knapp 58 Prozent. An den Orten, wo er gesichtet wird, taucht er aber meist in größeren Trupps auf.
Die für Ornithologen und Naturschützer wichtigsten Ergebnisse der Zählung sind jedoch Hinweise auf langfristige Zu- oder Abnahmen bestimmter Vogelarten. „Über Zunahmen freuen wir uns, bei Abnahmen müssen wir möglichst schnell die Ursachen bestimmen, um gegensteuern zu können“, so Philipp.
Hier bereitet vor allem der Grünfink Sorgen: Seit der ersten Durchführung der Aktion werden von Jahr zu Jahr weniger von diesen für den menschlichen Siedlungsraum typischen Finkenvögeln gesehen. Mit 1,8 Vögeln pro Garten sind es in diesem Jahr nur noch etwas mehr als halb so viele wie 2011. Als Grund vermuten die Vogelschützer vor allem das in den letzten Jahren vermehrt auftretende „Grünfinkensterben“, hervorgerufen durch eine Infektion mit dem parasitären Einzeller Trichomonas gallinae, der besonders an sommerlichen Futterstellen übertragen wird, an denen viele Vögel zusammenkommen.
Der Kälteeinbruch kurz vor dem Zähltermin im Norden Deutschlands führte außerdem zu einer kleinen Kuriosität: Viele Kraniche, die bis dahin versucht hatten, in Deutschland zu überwintern, machten sich mitten im Winter doch noch auf den Weg in den warmen Südwesten und wurden dabei, obwohl keinesfalls typische Gartenvögel, über vielen Gärten ziehend beobachtet. 7899 Kraniche wurden gemeldet, wobei manche ziehenden Trupps sicherlich mehrfach registriert wurden. Auf der Deutschlandkarte der Wintervögel bilden sich daher ganz deutlich die beiden Hauptflugrouten der Kraniche ab, nämlich von der Ostsee über das Ruhrgebiet und von Berlin bis ins Saarland.
Abgesehen von den bekanntermaßen aufgrund des guten Nahrungsangebotes auf winterlichen Feldern vermehrt in Deutschland überwinternden Kranichen, konnten trotz des bis zum Zähltermin besonders milden Winters deutschlandweit keine deutlich erhöhten Anzahlen von überwinternden Zugvögeln festgestellt werden. Unter den typischen Kurzstreckenziehern, die regelmäßig in kleinen Zahlen in Deutschland zu überwintern versuchen gab es nur leicht erhöhte Zahlen: 1988 Hausrotschwänze gegenüber etwa 1700 in den Vorjahren, 589 Zilpzalpe gegenüber etwa 350 in den Vorjahren und 742 Bachstelzen gegenüber etwa 600 in den Vorjahren.
Eine interessante Tendenz beobachten die Vogelforscher jedoch bei der Ringeltaube, Deutschlands größter Wildtaube. Auch Sie ist ein überwiegend ein Kurzstreckenzieher, die aber in wintermilden Regionen Deutschlands regelmäßig überwintert. Zwar sind die im Rahmen der Stunde der Wintervögel gemeldeten Zahlen nur unwesentlich angestiegen, dafür aber ist der Anteil der Gärten, aus denen diese Taube gemeldet wurde über die Jahre signifikant angestiegen: Statt nur in 18 Prozent aller Gärten, findet sie sich nun in fast jedem vierten Garten. Dies deutet darauf hin, dass die Art ihr Winterverbreitungsgebiet in Deutschland derzeit deutlich ausweitet.
Besondere Aufmerksamkeit erhielt in diesem Jahr der Stieglitz, Vogel des Jahres 2016. Sein Bestand nimmt deutschlandweit stark ab, er liebt aber winterliche Futterstellen. In der Tat erreichte der Stieglitz in diesem Jahr mit 0,51 Vögeln pro Garten sein bisher bestes Ergebnis, und übertraf damit das bisherige Bestergebnis im ersten Jahr der Aktion 2011. Damals waren es 0,43 Vögel pro Garten. Ob dieses erfreuliche Ergebnis lediglich dem diesjährigen Promi-Status des Vogels zu verdanken ist, oder wirklich eine beginnende Bestandserholung anzeigt, müssen die Ergebnisse zukünftiger Zählungen zeigen. Im Jahr des Stieglitz fordert der NABU alle Bürger auf, viele „bunte Meter“ aus samenreichen Wildblumen anzulegen oder zu erhalten. Die „Stunde der Wintervögel“ wird darüber Aufschluss geben, ob die Aktion im Anschluss zu höheren Stieglitzbeständen führen wird.
Für Rückfragen:
Janina Philipp, NABU-Vogelschutzexpertin, Tel.: +49 (0)43 21.5 37 34, E-Mail: Janina.Philipp@NABU-SH.de