Behämmerte Fassaden
Spechte und andere Mitbewohner in der Häuserwand
Spechte sind zumeist gern gesehene Gäste - am morschen Apfelbaum oder an der Futterstelle in Park und Garten. Doch in den letzten Jahren häufen sich Meldungen über Spechte, die im Siedlungsbereich selbst baulich aktiv werden. Meist handelt es sich dabei um Buntspechte, aber auch Grün- oder Schwarzspechte können lokal auffällig werden. Schäden an nachträglich aufgetragenen Fassadendämmungen gehören dabei zu den markantesten Befunden. Anderenorts entdecken Spechte Straßenlaternen als weithin tragende Klangkörper, sogar Strom- und Telefonmasten werden als geeignete Brutbäume genutzt. In den USA ist eines der bekanntesten Beispiele für Spechtschäden die Verhinderung des Starts eines Spaceshuttles der Weltraumbehörde NASA im Jahr 1995 aufgrund von über hundert Spechtlöchern in der Isolationsschicht des Zusatzstanks.
Trommeln für die Partnerschaft
Zur Revierabgrenzung und zur Balz nutzen Spechte ihre bekannten, arttypischen „Trommelwirbel“. Eigentlich werden dazu hohle Stämme und Äste genutzt, in Siedlungsgebieten allerdings gerne auch metallene Leitungsmasten, Blechverkleidungen oder sogar Straßenlampen. Der dabei angerichtete Schaden ist allerdings eher gering. Sehr sensible Anwohner sprechen jedoch schnell von „Lärmbelästigung“. Getrommelt wird meist im Frühjahr, nach einiger Zeit hört das morgendliche „Weckhämmern“ dann aber von alleine auf.
Ideales Baumaterial
Kleine Spechteinschläge im Putz der gedämmten Fassade weisen auf Nahrungssuche der Vögel hin. Die durch die Sonne erwärmten Fassaden ziehen Insekten an, die dort Wärme aufnehmen oder sich im rauen Putz verstecken. Den Spechten ist egal, ob es sich um die Rinde eines Baumes oder den Putz eines Wohnhauses handelt. Werden sie aber erst einmal fündig, untersuchen sie den Bereich meist genauer - es könnte ja noch mehr Nahrung vorhanden sein. Der Schritt zur Anlage einer Spechthöhle ist dann nur noch klein, hohl klingende Fassadenbereiche hören sich nicht nur täuschend ähnlich an wie morsches Holz, sondern sind gut zu bearbeiten.
Immer rein in die gute Stube
Nach Überwindung der härteren Außenschicht - der Verputz wirkt wohl wie Rinde - werden die Höhlen in das weiche Isolationsmaterial aus Mineralwolle, Kokosfasern oder Polystyrol gebaut. Bevorzugte Stellen sind dabei Hausecken bzw. -kanten, die Umgebung der Fenster oder die Bereiche unterhalb der Dachrinnen.
Haben Buntspechte erst einmal eine Stelle für geeignet befunden, bleiben sie häufig längere Zeit und können dann Schäden in der Wärmedämmung verursachen. Durch die Öffnungen am Putz kann Feuchtigkeit in die Dämmschicht einsickern. Dies begünstigt Schimmelbildung, die Dämmung ist weniger effektiv (es entstehen sogenannte Kältebrücken) und beim nächsten Frost kann die gefrierende Nässe den Fassadenputz noch weiter aufsprengen. Die Spechtlöcher sollten daher schnell wieder verschlossen werden. Anfallende Kosten zur Beseitigung der Schäden werden allerdings von der Wohngebäudeversicherung in der Regel nicht erstattet. Die Aktivitäten des „Fassadenhackers“ gehören zum normalen Lebensrisiko.
Betroffene Gebäude stehen meist in der Nähe größerer, älterer Bäume. Da in der Stadt, in Parks, in Straßenalleen kranke und beschädigte Bäume und Äste, also für Spechte geeignete Altbäume, fast immer aus Gründen der Verkehrssicherheit vorsorglich entfernt werden, nutzen die Spechte die neu entdeckte, ihnen vom Menschen angebotene Ressource. Und so kann manch Hausbesitzer erstaunt einen „Schnee-Regen“ aus Füllmaterial vor dem Küchenfenster sehen und einen Specht dabei beobachten, wie dieser gerade seine Dämmfassade perforiert.
Wohnungsbauprogramm Specht
Wie auch im Wald wird das „Wohnungsbauprogramm“ der Spechte von einer Anzahl von Nachmietern dankbar angenommen. Zudem haben Renovierungen und energetische Sanierungen in den letzten Jahrzehnten das Nistplatzangebot an und in den menschlichen Behausungen stark reduziert. Die neuen Möglichkeiten aus Sicht der Quartier suchenden Tierarten kommen daher gerade richtig. Kohl- und Blaumeisen, Star, Feld- und Haussperlinge, Mauersegler, Dohlen und Eichhörnchen, aber auch Insekten wie Wespen und Hornissen nutzen die die neu geschaffenen Strukturen gerne.
Artenschutzrechtliche Probleme
Artenschutzrechtlich entsteht hier allerdings schnell ein Problem für den Hausbesitzer, der die ganze Hausfassade isolieren oder zum Erhalt seiner Fassadendämmung die entstanden Löcher sanieren will. Nach dem Bundesnaturschutz (BNatSchG) ist es gesetzlich verboten, geschützte Arten zu verletzten oder zu töten, erheblich zu stören oder ihre Fortpflanzungs- und Ruhestätten zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören. Diese Verbote gelten grundsätzlich und unabhängig von der bau- oder denkmalschutzrechtlichen Genehmigung der Arbeiten bei der Fassadendämmung oder der Reparaturarbeiten.
Nutzt eine Art ihren Unterschlupf wiederkehrend, gilt ein ganzjähriger Schutz dieses Quartiers zum Beispiel bei Fledermäusen, Mauerseglern oder Schwalben. Diese Lebensstätten dürfen also auch außerhalb der Brutzeit nicht zerstört werden. Bestehen Hinweise, dass Spalten und Ritzen besiedelt oder Nester besetzt sind, müssen die zuständigen Naturschutzbehörden informiert werden. Ein Fachgutachter muss ermitteln, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die bestehenden gesetzlichen Vorgaben einzuhalten.
Lebendig eingemauert
Im Mai 2019 gelangte ein spektakulärer Fall an die Öffentlichkeit. In einem Leipziger Plattenbau wurden noch während der Brutzeit mehrere durch Bunt- und Grünspechte verursachte Spechtlöcher in der Dämmung verschlossen, obgleich Anwohner die zuständige Wohnungsbaugenossenschaft als Auftraggeber, als auch die Arbeiter auf das aktuelle Vorkommen und die Nutzung der Höhlen durch Nachmieter hingewiesen hatten. Nach Anzeige durch den NABU vor Ort wurden unter Polizei- und Feuerwehreinsatz die Löcher wieder geöffnet und mehrere Gelege und tote Jungvögel vorgefunden. Durch die schnelle Reaktion gelang es noch, mehrere lebendig eingemauerte Altvögel zu retten und wieder in die Freiheit zu entlassen. Kein Einzelfall: immer wieder werden Spechtlöcher unter Einsatz von Bauschaum oder ähnlichem verschlossen. Leider können solche Vorfälle aber nur sehr selten dokumentiert, verhindert und bei der Polizei beziehungsweise Staatsanwaltschaft zur Anzeige gebracht werden.
Um zu verhindern, dass der gesetzliche Artenschutz bei Baumaßnahmen ignoriert wird, fordert der NABU grundsätzlich, artenschutzfachliche Untersuchungen von Ritzen, Spalten, Fugen, Nestern (und Spechtlöcher) nicht nur geschützter Arten in Fassaden im Vorfeld von Sanierungs- oder Reparaturmaßnahmen vorzuschreiben. Diese Gutachten müssen rechtzeitig erstellt werden, um alle Aktivitäten der möglicherweise betroffenen Arten zu erfassen - oder eben Vorkommen ausschließen zu können.
Abwehr- und Ersatzmaßnahmen möglich
Durch künstliche Nisthilfen und -höhlen lassen sich im Rahmen von Sanierungen oder Baumaßnahmen verlorene Brutplätze meist ohne großen Aufwand ersetzen, vor allem, wenn das Baugerüst sowieso gerade vor Ort steht. Dafür gibt es im Fachhandel verschiedene Modelle, die entweder an die Fassade gehängt oder sich sogar in die Fassade integrieren lassen. Naturfreunde und aktive NABU-Mitglieder können mit offenen Augen durch ihre Stadt oder Gemeinde laufen und die Möglichkeit nutzen, Fassaden von mehrstöckigen Gebäuden mit Nisthilfen besonders für Mauersegler oder Fledermäusen auszustatten - selbst wenn dort vorher keine Vorkommen bekannt waren. Gerade an öffentlichen Gebäuden wie Schulen oder Verwaltungseinrichtungen muss die Öffentliche Hand in die Pflicht genommen und an die Vorbildfunktion appelliert werden, um dafür anfallenden Kosten zu übernehmen. Zudem finden sich dafür vielfach weitere Fördermöglichkeiten, Sponsoren oder Projekte.
Auf den Putz kommt es an
Zur Verhinderung von Spechtschäden hat sich das Anbringen von längeren Girlanden und Windspielen aus Plastikstreifen, Alufolie oder -blech, spiegelnde Folien oder Windrädern offenbar bewährt. Selbst „Mobiles“ aus ausrangierten CDs können an geeigneten Stellen helfen, dem einen oder anderen Specht das Hämmern zu verleiden - mit „Helene Fischer“ gegen den Buntspecht, vielleicht ein überraschendes Erfolgsmodell?
Als weitere Abwehrmaßnahme wird über den erfolgreichen Einsatz von engmaschigen Drahtgeflechten berichtet, die unter dem Putz eingearbeitet werden. Ein glatter, harter Putz, der dem Specht und anderen Nachmietern den Halt erschwert, kann ebenfalls Abhilfe schaffen. Allerdings können Spechte sich noch an Putzkörnungen von zwei bis drei Millimetern festhalten - wenn auch nicht so gut wie an Rauputz.
Ein dickerer Putz hilft ebenfalls nicht immer, dem Specht das Fassadenhacken zu verleiden. Das Hacken an Dickputz-Wärmedämmsystemen mit bis zu zwei Zentimeter dickem mineralischen Putz ist zwar für den Vogel aufwändiger, aber eine Garantie gegen Spechtschäden sind sie nicht. Zudem muss ein Fachmann klären, ob auf ein bestehendes Wärmedämmverbundsystem ein dickerer Putz aufgetragen werden kann. Sinnvollerweise sollten Putzdicke und -glätte kombiniert werden, um Spechtattacken zu mindern. An Hausecken lassen sich zudem dünne Metallbleche aufbringen.
Grün gegen Specht
Effektiv sind besonders Fassadenbegrünungen dazu geeignet, Spechte von ihrem Treiben abzuhalten. Gleichzeitig verbessern sie das Klima in der Stadt, bieten anderen Singvögeln neue Brutplätze und Insekten dringend benötigte Nahrungsquellen. Schon die unbegrünten, möglichst engmaschigen Rankhilfen können Spechte am Anflug der Fassade hindern. Geeignet sind Ranksysteme aus Draht, Edelstahlseilen und Spaliergittern. Straff gespannte Ranknetze aus Edelstahl sind eine ideale Spechtabwehr und werden von Kletterpflanzen schnell begrünt.
Vorsicht aber bei allen Pflanzen, die mit Haftwurzeln oder ähnlichem direkt an der Wand klettern, da deren hohes Eigengewicht die Putzschicht vom Dämmmaterial herunterziehen kann. Efeu, Wilder Wein und Kletterhortensie sind daher für die Begrünung gedämmter Wände ungeeignet. Empfehlenswert sind je nach Standort schnell und dicht wachsende Rankgehölze wie Schlingknöterich, Blauregen, Scharlachwein oder die Gemeine Waldrebe. Viele weitere sinnvolle Tipps zum Erhalt einer guten Nachbarschaft zwischen Mensch und Tier erhalten Interessierte unter www.NABU.de oder der lokalen NABU Organisation vor Ort.
Carsten Pusch
NABU Schleswig-Holstein
Stellv. Landesvorsitzender
Carsten.Pusch@NABU-SH.de
CP, 1. Januar 2020