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Besucherdruck im Naturschutzgebiet Holnis
Auf einer Fläche von 360 Hektar erstreckt sich das Naturschutzgebiet (NSG) auf der Halbinsel Holnis, ganz oben im Nordosten Schleswig-Holsteins. Dem Gebiet kommt eine internationale Bedeutung im Vogelschutz zu. Seltene und geschützte Küstenvogelarten können hier beobachtet werden. Noch. Das NSG wird unterbrochen von Privatflächen samt Wohnhäusern, gepachteten und landwirtschaftlich genutzten Flächen und Wegen, die der Gemeinde Glücksburg gehören. Wanderpfade durchziehen das gesamte Gebiet, nur wenige Flächen können abgesperrt werden, um den Vögeln Möglichkeit zum Rückzug zu geben.
Natur für alle
Die ehrgeizige Zielsetzung für das NSG Halbinsel Holnis ist es, die Bedürfnisse von Mensch und Natur bestmöglich zu vereinen. Im gesamten Gebiet sind Info-Tafeln aufgestellt, die aufmerksam machen und dafür sensibilisieren, wie besonders wichtig es hier ist, Rücksicht zu nehmen, um diese einmalige Schönheit zu bewahren. Hinweise und Informationstafeln sollen verdeutlichen, dass hier der Mensch Gast ist und der Natur- und Vogelschutz im Vordergrund steht.
Glücklicherweise gibt es Besucher*innen, die verstanden haben, sich zurückzunehmen, die leise beobachten und genießen, die das Vogelkonzert wahrnehmen und dankbar sind für dieses Erlebnis. Ihren Müll nehmen sie selbstverständlich wieder mit nach Hause oder werfen ihn in die vor Ort vorhandenen Abfallbehälter.
Rush Hour im Schutzgebiet
Doch leider sind da auch die Besucher*innen, die die Natur wie im Vorbeigehen zu „konsumieren“ scheinen und maximal effektiv für sich nutzen möchten. Sobald die Sonne blinzelt, platzt die Halbinsel aus allen Nähten: Scharen von Menschen parken ihr Auto am Wendeplatz, gehen die paar Meter hinunter zum Strand, packen Strandmuschel, in Plastik eingeschweißte Snacks und Luftmatratze aus. Hunde springen trotz Anleinpflicht ins Wasser und vertreiben die restlichen Vögel, die noch nicht geflüchtet sind, Kinder klettern unter der Aufsicht der Eltern die geschützten Steilhänge hinauf. Später wird, wenn nicht mit dem Einweggrill, ein Feuerchen direkt im Sand gemacht, Holz ist ja genügend da. Wen stören die Hinweisschilder „Feuermachen verboten“? Herrlich, man fühlt sich der Natur so verbunden, und schön, dass es solche Flecken in Deutschland noch gibt!
Auf den Wanderwegen sieht es zu den Stoßzeiten ähnlich aus. Fotografen*innen klettern die Steine am Deich hinunter – von hier ist der Blickwinkel auf die unberührte Natur noch schöner. Das Schild mit der Aufschrift „Bitte auf den Wegen bleiben“ wird ignoriert, der Abstecher dauert ja nicht lange. Halter lassen ihre Hunde freilaufen – wenn nicht mitten in der Natur, wo dann? Außerdem hört der geliebte Vierbeiner aufs Wort (meistens). Die gesetzliche Verordnung, dass Hunde im Naturschutzgebiet an der kurzen Leine zu führen sind, sei völlig überzogen, und Vögel seien ja eh gerade keine da. Stimmt. Aus Unmut über die hundefeindlichen Restriktionen landet der Hundekotbeutel im Gebüsch oder im Flyerkasten.
Mountainbiker*innen brettern den schmalen Weg am Kliff hinunter und kollidieren mit den in Kolonne fahrenden E-Biker*innen, die dank Elektroantrieb jeden Anstieg mit Schwung hinaufkommen. Das Schild „Radfahrer bitte absteigen“ will niemand gesehen haben und es sei ja auch nur eine Bitte. Nach einem regnerischen Tag verwandeln die Reifenspuren die Pfade in einen Matsch-Parkour. Zum Ärger der Spazierenden, die ins Gespräch vertieft und Probleme wälzend über die Halbinsel hetzen und dabei ganz vergessen, einmal stehen zu bleiben, tief Luft zu holen, den Blick schweifen zu lassen und mit geschlossenen Augen dem Rauschen der Wellen und dem „Auuu Auuu“ der Eiderenten zu lauschen. Dass die Radfahrer immer so schnell an einem vorbeirasen müssen! Unmöglich! Jeder schimpft über die Rücksichtslosigkeit der anderen.
Moment mal!
Ging es hier nicht eigentlich um etwas ganz anderes? Nicht um Badespaß, nicht um die neue Downhill-Bestzeit, nicht um Freizeitsport und nicht um artgerechte Hundehaltung? Richtig, es geht im Naturschutzgebiet Holnis um den Erhalt der Natur und den Schutz der bedrohten Vogelarten. Irgendwie haben viele das aus dem Blick verloren.
Die Pandemie samt Lockdowns und Reisebeschränkungen hat die Deutschen dazu gebracht, die Schönheit des eigenen Landes zu entdecken. Was prinzipiell eine gute Sache ist. Wer früher zum Urlaubmachen für eine Woche nach Mallorca geflogen ist, setzt sich jetzt ins neue Wohnmobil und fährt die deutsche Küste entlang. Seit den ersten Lockerungen fokussiert sich die Reiselust der Deutschen auf die Orte, in denen man dem Großstadttrubel, den Desinfektionsspendern und FFP2-Masken entfliehen kann. Wo man das Gefühl hat, wieder durchatmen zu können. Eine Belastung nicht nur für das plötzlich viel zu kleine Holnis, das dem Besucherandrang kaum Stand hält.
Wem geht die Puste zuerst aus?
Die Ostsee-Halbinsel ist ein wichtiger Durchzugsort für Wat- und Wasservögel, die im Frühjahr und Herbst auf ihrer Reise vom oder ins Brutgebiet auf Holnis rasten. Hier verschnaufen also nicht nur die von der Krise und vom Alltag geplagte Menschen, sondern auch vom Aussterben bedrohte Arten wie Alpenstrandläufer, Großer Brachvogel, Gold- und Sandregenpfeifer.
An den Stellen auf Holnis, wo zum Wohle der Vögel Bereiche für den Durchgangsverkehr abgesperrt werden konnten, kommt die nächste Störung von der Wasserseite. Unmotorisierter Wassersport ist erlaubt, doch neue Trendsportarten wie Stand-Up-Paddling haben in den letzten Jahren stark zugenommen. Die aufrechte Silhouette der Wassersportler*innen auf dem Board scheint auf die Vögel noch bedrohlicher zu wirken, als es bei sitzenden Kajakfahrer*innen der Fall ist. Jeder Fluchtversuch bedeutet für die Tiere Stress und Energieverlust. Der Erholungseffekt ist dahin. Fraglich ist, ob die Kraft zum Weiterfliegen ausreicht.
In Zukunft mehr Rücksicht
Anfang Mai 2021 wurden auf Holnis neue Klapptore angebracht, um die Kernzone des Gebietes von der Landseite her zu beruhigen. Die Besucher*innen sollen hier noch einmal darauf aufmerksam gemacht werden, wo sie sich befinden. Hunde an die Leine, Radfahrer*innen absteigen, Entschleunigung, die Natur in Stille genießen, die Vögel so wenig wie möglich stören, ihnen Raum geben, zu rasten.
Nur 0,29 % der Ostsee-Küstengewässer Schleswig-Holsteins (LLUR, Stand Oktober 2018) sind durch spezielle Befahrensregeln eingeschränkt.
Die Fragen, die sich also stellen: Muss auch in den sensiblen Bereichen der wenigen Naturschutzgebiete Wassersport betrieben werden oder könnte sich der Mensch hier zurücknehmen? Muss man so nah wie möglich an die Sandbänke heranpaddeln, um einen Blick auf die Tiere zu werfen? Reicht dafür nicht die Beobachtung von den dafür vorgesehenen Aussichtspunkten vom Land aus? Wie viel Tourismus verkraftet ein Naturschutzgebiet und wie viel Egoismus? Sind Tier- und Pflanzenarten immer erst dann schützenswert, wenn sie vom Aussterben bedroht sind? Und sind wir nur in der Lage, Abstand zu halten, wenn es um unsere eigene Gesundheit geht?
BM 20. Oktober 2021