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Waldschnepfen-Einflug 2020/21
Im vergangenen Winter wunderten sich doch einige Naturfreund*innen an verschiedenen Orten in SchleswigHolstein, wenn sie morgens überraschend eine taubengroße Waldschnepfe Scolopax rusticola im Vorgarten oder am Wegesrand sitzen sahen. Statt weg zu fliegen versuchten sich die Vögel laufend wegzudrücken oder verharrten einfach – auf ihre hervorragende Gefi edertarnung vertrauend – bewegungslos zwischen altem Laub und Staudenresten. Erst bei weiterer Annährung von Hauskatze oder Hausbesitzer*in suchte manche Schnepfe dann – kurz auffliegend – das Weite.
Leider gingen nicht alle Begegnungen dabei so harmlos aus. Vielfach wurden dem NABU Totfunde von Waldschnepfen gemeldet, die zumeist mit Fensterglas, gläsernen Wartehäuschen oder Zäunen kollidiert waren. Ein überraschender Kälteeinbruch mit vereisten Gewässerrändern hatte dann leider zusätzlich zahlreiche Hungeropfer zur Folge. Insgesamt wurde landesweit im Winter 2020/2021 im Rahmen dieses Einfl ugs von Waldschnepfen aus dem Norden ein Vielfaches der sonst im gleichen Zeitraum üblichen Zahl von Beobachtungen – mit Dichtezentren in Kiel und Husum – beispielsweise bei ornitho.de gemeldet. Waldschnepfen findet man überall in Europa in größeren, zusammenhängenden Waldgebieten. Bevorzugt nutzen die Vögel feuchte und strukturreiche Mischwälder. Sie sind Zugvögel, die im Oktober und November Richtung Süden oder Südwesten ziehen und dann auch außerhalb ihres bevorzugten Lebensraums anzutreffen sind. Gelegentlich kommt es dann in Wintern zu unterschiedlich starken Einflügen von Norden her auch nach Schleswig-Holstein.
So wurden nach Aussage von Ornithologen noch nie so viele Waldschnepfen wie im vergangenen Winter 2020/2021 im Land beobachtet, die hier versucht haben zu überwintern – offenbar eine Folge des vergangenen, milden Winters. Zwischenzeitliche Kälteeinbrüche hatten lokale Konzentrationen zur Folge an zunächst noch frostfreien Stellen wie z. B. an Waldwegen, Gräben, Seeufern oder Klärteichen. Aber auch Bereiche, an denen durch Salzeinwirkung der Boden aufgetaut war wie z. B. in Siedlungsbereichen an Straßenrändern oder in Ortschaften mit ihren vielen Gärten konzentrierten sich die überwinternden Schnepfen. Dort ist es meist wärmer und geschützter als in der freien Landschaft.
Nachtaktive Waldbodenbewohner
Waldschnepfen sind eigentlich nachtaktive Waldbodenbewohner mit einer ausgesprochen heimlichen Lebensweise. Tagsüber versteckt am Waldboden sitzend werden sie – außerhalb der Balzzeit – fast nur bei versehentlichem Aufscheuchen sichtbar. Schnell verschwinden sie dann mit laut surrendem, knarrendem Flügelschlag zwischen den Bäumen und Gehölzen, wenn sie sich nicht schon vorher leise weggedrückt haben. Die ein wenig plump wirkenden Waldschnepfen erreichen Spannweiten um 60 cm mit einer Körperlänge um 35 cm – wobei der Schnabel davon schon bis zu 8 cm ausmacht.
Durch das bräunlichgräuliche Gefieder mit dunklen und hellen Flecken sind die Tiere auf dem Waldboden hervorragend getarnt. Auf der Kopfoberseite haben diese Limikolen breite, dunkle Querbänder – optisch fast ein wenig an eine „HeinzEhrhard-Frisur“ erinnernd. Im Flug erkennt man zudem deutlich den rostfarbenen Schwanz und Bürzel. Die sehr hoch am Kopf sitzenden, schwarzen Augen besitzen jeweils einen Blickwinkel von bis zu 180 Grad – die Waldschnepfe kann also auch nach hinten sehen – und ermöglichen dadurch den Vögeln stets einen guten Überblick über ihre Umgebung. Waldschnepfen begeben sich überwiegend nachts auf Nahrungssuche und stochern mit ihren langen Schnäbeln im Waldboden nach Regenwürmern, Insekten und vor allem nach deren Larven. Im Winter stehen zusätzlich Beeren und andere Pfl anzenteile auf dem Speisezettel. Der Schnabel ist mit einem äußerst feinen Tastsinn ausgerüstet, die Schnabelspitze zudem beweglich. Damit können die Schnepfen tief im weichen Boden zunächst ihre Nahrung ertasten, um sie dann ohne Sicht auch zu ergreifen.
Heute wird gemurkst
Die Balz der Waldschnepfen, der sogenannte „Schnepfenstrich“, beginnt schon während des Frühjahrszugs, etwa ab Mitte März und dauert bis in den Juli hinein an. Die Männchen fl iegen an Frühlingsabenden in der Dämmerung in geradem, waagrechtem Flug auf Höhe der Baumwipfel, über Lichtungen und an Waldrändern entlang und markieren so bis zu 100 Hektar große Balzreviere. Dabei richten sie den langen Schnabel schräg abwärts und „Puitzen und Murksen“ – so werden die Laute der Waldschnepfen beschrieben – lautstark. Die etwas stilleren Weibchen beteiligen sich ebenfalls an den Balzfl ügen. Die Vögel schließen dann lediglich eine „Ehe für eine Nacht“ – anschließend zieht jeder Vogel wieder seiner eigenen Wege. Mit Beginn der Brutzeit „streichen“ (= fliegen) dann nur noch die Männchen umher. Während die Schnepfen beim Balzflug ca. 20 bis 30 km/h schnell sind, erreichen sie im leicht und eulenartig wirkenden Suchfl ug lediglich 8 km/h – Waldschnepfen gehören damit zu den langsamsten Fliegern in der Vogelwelt.
Hohe Jugendsterblichkeit
Die Brutzeit der Waldschnepfen dauert von den letzten Apriltagen bis in den Mai. Die Weibchen der Waldschnepfen tragen am Waldboden Laub und kleine Äste zusammen und schaffen eine kleine Nestmulde, in die dann meist vier Eier gelegt werden. Die sehr gut getarnten Eier werden vom Weibchen halb im Nistmaterial vergraben und dann rund drei Wochen bebrütet. Die Jungensterblichkeit bei den Waldschnepfen ist extrem hoch, sie liegt bei ca. 70 Prozent im ersten Jahr. Falls Gefahr im Verzug ist, kann das Schnepfenweibchen – zumindest nach etlichen Literaturquellen – ihre Jungen zwischen die Füße klemmen und mit ihnen davonfl iegen. Dies wird von vielen Fachleuten allerdings stark angezweifelt. Gesehen, geschweige dokumentiert hat das offenbar noch Niemand – würde dieses Verhalten aber zutreffen, wäre es einmalig in der Vogelwelt.
Unnötig, überflüssig und nicht mehr zeitgemäß
Traurigerweise werden Waldschnepfen deutschlandweit vom 16. Oktober bis zum 15. Januar auf dem Zug von Skandinavien nach Süden immer noch bejagt. Die Zugvogeljagd, von vielen Naturfreunden und auch in der breiteren Öffentlichkeit energisch beklagt – und besonders in Südeuropa und rund um das Mittelmeer leider immer noch weit verbreitet – findet also auch bei uns vor der Haustür statt.
Die Waldschnepfe gilt leider lokal immer noch als ausgesprochene Delikatesse. Immer wieder ist in diesem Zusammenhang vom sog. „Schnepfendreck“ die Rede – ein heute weitgehend vergessenes Gericht aus den Eingeweiden einer Waldschnepfe samt Inhalt – mit dazugehörigem Sprichwort: „Schnepfendreck ist der beste Schleck!“ Allerdings gibt es auchimmer wieder Hinweise, dass es auch um die Schmuckfeder, die „Malerfeder“ der Waldschnepfe geht, die dann anschließend den Jägerhut dekorieren soll. Es bleibt ausdrücklich zu wünschen, dass die Tiere nach Ausrupfen dieser Feder anschließend nicht nur „hinter den Knick“ geworfen werden, sondern zumindest auch tatsächlich verwertet werden, auch wenn an ihnen wirklich nicht viel dran ist und eine Bejagung schlichtweg unnötig, überflüssig und nicht mehr zeitgemäß ist.
Die Federwildstrecke 2019/2020 in Schleswig-Holstein weist laut „Jahresbericht 2020 zur biologischen Vielfalt – Jagd und Artenschutz“ 2.340 geschossene Waldschnepfen aus und stieg damit gegenüber der Vorjahrsstrecke um satte 19 Prozent. Schwerpunkt der Bejagung sind dabei die Kreise Nordfriesland mit 1022 und Dithmarschen mit 537 Waldschnepfen. Im Kreis Plön hingegen sind es „nur“ 15 Vögel. Es ist zu vermuten, dass die Jägerschaft an der Westküste, mangels Alternativen, verstärkt vor allem Niederwild jagt und somit auch auf die Waldschnepfe zurückgreift. Dies weisen auch Streckenergebnisse besagter Kreise für andere Niederwildarten inklusive der Raubsäuger aus.
Europaweit exzessive Bejagung
In besonders starken Schnepfenjahren kann die Zahl der in Schleswig-Holstein erlegten Waldschnepfen sich aber auch verdoppeln, wie im Jagdjahr 2009/2010 mit knapp 4.000 Tieren. Dabei können heimische Vögel zur Jagdzeit durchaus noch im Land und damit von den Abschüssen betroffen sein. Der Anteil der in Schleswig-Holstein erlegten Tiere ist im Vergleich zu den Abschusszahlen aus anderen europäischen Ländern offenbar sogar noch gering. Europaweit gehen Schätzungen von jährlich 3 bis 4 Millionen allein durch Bejagung getöteten Waldschnepfen aus. Vor allem durch diese exzessive Jagd neben dem zunehmenden Lebensraumverlust durch Entwässerung der Wälder und Auenlandschaften sowie einer intensiven Forstwirtschaft (Rodungen, Monokulturen) ist die Art bundesweit leider bereits bedroht. Bei starken Einflügen von Waldschnepfen wie im vergangenen Winter 2020/2021 kommt es allerdings zu weiteren, wahrscheinlich nicht unerheblichen Verlusten durch Scheibenanflug oder anderen Todesursachen im Siedlungsbereich. Und nur selten werden diese Tiere gefunden oder die Funde gemeldet. Meist werden die Kollisionsopfer schnell von Aasfressern vertilgt oder von Menschen beseitigt. Überraschende Kälteeinbrüche sorgen dann für weitere Verluste in der Fläche.
Weil die Vögel so unscheinbar und scheu sind, ist eine Erfassung der Gesamtpopulation sehr schwierig. Der aktuelle Brutvogelatlas von Schleswig-Holstein (Bernd Koop & Rolf K. Berndt (2014): Zweiter Brutvogelatlas – Vogelwelt Schleswig-Holstein, Band 7; Wachholtz Verlag, Neumünster; 504pp) schätzt den Bestand in SH auf etwa 900 Brutpaare, die Art ist hier noch nicht gefährdet. Bundesweit gehen Ornithologen von 20.000 bis 39.000 Brutpaaren aus. Um es einmal zugespitzt zu formulieren: Jährlich werden mehr nordische Schnepfen in Schleswig-Holstein erlegt, als die Zahl der wohl bei uns überhaupt brütenden Schnepfen – Gastfreundschaft nach Schleswig-Holsteiner Art: Willkommen Waldschnepfe!
Keine Jagd auf Waldschnepfen!
Die Waldschnepfe unterliegt wie alle europäischen Vogelarten der EU-Vogelschutzrichtlinie (VSRL), ist allerdings in Anhang II/1 aufgeführt und darf somit in allen Mitgliedsstaaten bejagt werden. Außerdem ist die Waldschnepfe in Anhang II der Bonner Konvention von 1983 aufgeführt und somit eine Art mit ungünstigen Erhaltungssituationen. Die Waldschnepfe gilt nach dem Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) § 7 Abs. 2 Nr. 13 als besonders geschützte Art. In der Roten Liste der Vögel Deutschlands (2015) findet sich die Waldschnepfe allerdings bereits auf der Vorwarnliste. Der NABU fordert schon seit langem energisch die Streichung der Waldschnepfe als jagdbare Art oder zumindest die Einführung einer ganzjährigen Schonzeit.
CP, 17. Mai 2021