Über Möwen wird auf unterschiedliche Weise ... Husumer Nachrichten vom 2. Juli 2009 - NABU Archiv
Möwen: Plage oder Lokalkolorit?
NABU empfiehlt mehr Gelassenheit
An den Küsten der Nord- und Ostsee flammt immer wieder der Streit um eine Vogelgruppe auf, die eigentlich wie keine andere zum "Lokalkolorit" der Strände, Dünen und Häfen, aber auch der großen Binnenseen und Flüsse im Land zwischen den Meeren gehört: Unsere Möwen. Der US-Amerikaner Richard Bach setzte ihnen 1970 mit seiner "Möwe Jonathan" ein literarisches Denkmal und Christian Morgenstern behauptete, sie sähen alle aus, als ob sie 'Emma' hießen.
Kein Postkartenständer ohne Möwenmotiv, kein Andenkenladen ohne Möwenskulptur – mit keiner andere Tierart verbinden wir so deutlich Meeresrauschen und maritimes Leben. Von manchen Einheimischen und einigen Urlaubern allerdings werden die Möwen eher als lästige Begleiter empfunden. Anwohner beschweren sich über eine angebliche Lärmbelästigung und befürchten gefährliche Attacken oder die Verbreitung von Krankheitserregern wie Salmonellen. Teils hysterische Medienberichte à la Alfred Hitchkocks „Die Vögel“ schüren diese Stimmung unnötig, ängstliche Mitmenschen fühlen sich durch das neugierige und energische Auftreten der zudem meist in Gruppen und Schwärmen auftretenden Vögel in ihren Vorurteilen bestätigt. Doch die Realität sieht anders aus.
Möwe ist nicht gleich Möwe
Wichtig vorab: Es gibt nicht 'die' Möwe. In Schleswig-Holstein kommen zehn Möwenarten vor, die hier brüten oder im Herbst, Winter und Frühjahr als Zugvögel in unterschiedlicher Zahl bei uns einwandern können. Die gelegentlich für Möwen synonym genutzte Bezeichnung "Raubmöwe" betrifft in der Systematik der Biologie eine andere Gruppe meist parasitär und räuberisch in polaren Regionen lebender Vögel. Diese Bezeichnung allgemein auf Möwen zu übertragen ist also zoologisch betrachtet falsch.
Die folgenden Beschreibungen beziehen sich auf alte Brutvögel im Sommerkleid. Diese sind noch recht einfach voneinander zu unterscheiden. Für die Identifizierung von Jungvögeln, die in der Regel braun oder gescheckt gefärbt sind, zudem erst über einen Zeitraum von mehreren Jahren das Alterskleid zeigen und artlich schwieriger zu unterscheiden sind, verweist der NABU auf speziellere Literatur oder auf die Teilnahme an Exkursionen des NABU mit erfahrenen Vogelkennern. Und keine Scheu - auch für erfahrenere Vogelbeobachter ist die Bestimmung der verschieden Arten in ihren Altersstadien manchmal eine Herausforderung.
Lachmöwe
Die Lachmöwe ist mit ihrem dunkelbraunen Kopf und der geringen Größe kaum mit einer anderen Art zu verwechseln. Sie ist die klassische Binnenlandmöwe, hat aber vor einigen Jahren auch die Westküste Schleswig-Holsteins besiedelt. Ihre Kolonien liegen meist auf geschützten Inseln. Die bei anderen Arten zu beobachtende Anpassung an den Menschen durch z. B. die Nutzung von Gebäuden als Brutplatz ist von Lachmöwen nicht bekannt.
Sturmmöwe
Die Sturmmöwe ist die klassische Art unserer Ostseeküste. Einige Paare brüten auch im Binnenland. In den letzten Jahren haben Sturmmöwen in Küstennähe die Flachdächer von Gebäuden als Brutplatz entdeckt, wo sie vor den meist Boden bewohnenden Raubsäugern sicher sind. Die meisten Paare brüten nach wie vor aber in größeren Kolonien in Schutzgebieten am Boden. Die Sturmmöwe sieht aus wie eine kleine Silbermöwe. Ihr fehlt jedoch der für die Silbermöwe charakteristische rote Fleck am sonst gelben Schnabel.
Silbermöwe
Die Silbermöwe ist bei uns weit verbreitet und kommt an der Ost- wie Nordseeküste sowie im Binnenland vor, wo sie an Individuen reiche Kolonien bilden kann. Sie ist größer als die beiden ersten Arten und hat einen kräftigen gelben Schnabel mit einem roten Fleck in der Nähe der Spitze. Auch Silbermöwen sind an manchen Orten dazu übergegangen, die Dächer von geeigneten Gebäuden zu besiedeln.
Weitere Möwenarten
Als Brutvogel tritt bei uns zudem die Heringsmöwe (v.a. auf einigen Inseln im Wattenmeer), die Schwarzkopfmöwe (Einzelpaare v.a. im Binnenland) und die Mantelmöwe (unsere größte Möwenart, wie die Heringsmöwe mit dunklen Flügeldecken, v.a. in Einzelpaaren an der Ostsee in großen Silbermöwenkolonien brütend) auf. Ihr Bestand ist deutlich kleiner als der der 'klassischen' Brutvögel - sie fallen schon wegen ihres geringeren Bestandes kaum ins Gewicht. Ausnahmsweise hat bei uns auch die seltene Zwergmöwe gebrütet, die in ihrer Verhaltensweise eher an Seeschwalben erinnert. Der Zug der in größeren Schwärmen auftretenden Zwergmöwe auf ihrem Weg von und ins Baltikum gehört zu den spektakulärsten Ereignissen für Vogelfreunde in Schleswig-Holstein. Die Steppenmöwe - ebenfalls in geringerer Zahl Brutvogel in Schleswig-Holstein - wird erst seit wenigen Jahren von der Silbermöwe unterschieden. Nur auf Helgoland kommt die Dreizehenmöwe als Felsbrüter vor, dort allerdings gleich mit mehreren tausend Brutpaaren. Als gelegentlicher Wintergast taucht die Eismöwe aus weit nördlich gelegenen Brutgebieten an unseren Küsten auf.
Alle Arten unternehmen mehr oder weniger weite Wanderungen. Unter den im Winter bei uns anzutreffenden Möwen sind vor allem Tiere aus dem weiteren Ostseeraum zu finden. Unsere in Schleswig-Holstein brütenden Möwen verbringen nach Funden beringter Tiere den Winter in größerer Zahl an der Nordseeküste Dänemarks bis in den Norden Frankreichs. Einige wandern auch entlang der großen Flüsse ins Binnenland ein. Nur die Heringsmöwe verbringt den Winter großteils an der Küste Westafrikas und im Mittelmeergebiet.
Die Bestände unserer häufigen Möwenarten nehmen seit einigen Jahren ab. Ein deutlicher Rückgang des Grünlandes - hier suchen vor allem Lach- und Sturmmöwen nach Nahrung -, aber auch Veränderungen in der Fischerei sowie das Schließen der Müllkippen, auf denen die Möwen früher vor allem die kalte Jahreszeit gut überdauern konnten, sind maßgebliche Gründe für den teils drastischen Rückgang. Möwen sind nicht wählerisch bei dem, was sie als Nahrung nutzen. Ursprünglich lebten sie vor allem von fressbarem Strandgut, nur selten jagen sie größere Tiere selbst. Ihre ökologische Rolle ist es, 'aufzuräumen'. Auf dem Grünland und auf frisch umgebrochenen Äckern sind vor allem Regenwürmer, Kerbtiere und Mäuse ihre Nahrung.
Probleme mit Möwen
Immer wieder gelangen Berichte über Probleme mit Möwen in die Medien. Die dort beschriebenen Verhaltensweisen dieser Tiere - in fast allen Fällen handelt es sich um Silber- oder Sturmmöwen - haben aber eine sachlich und fachlich nachvollziehbare Basis.
"Raubmöwen"
In mehr oder weniger drastischer, teils an Alfred Hitchkocks Klassiker "Die Vögel" erinnernder Manier wird häufig über Möwen (zumeist Silbermöwen) berichtet, die etwa auf Sylt Besuchern am Strand oder auf der Promenade 'auflauern', um selbst Kindern ihre Portion Pommes oder gar die Eiswaffel aus der Hand zu klauben. Tatsache ist: Möwen sind hartnäckig und frech, wenn sie es erst einmal gelernt haben, dass Menschen Fressbares bereit halten. In der Folge der vielfach verbreiteten Praxis, Möwen zur allgemeinen Unterhaltung und aus Freude an ihren Flugkünsten Brot und andere Essensreste zuzuwerfen, lernen diese, gelegentlich etwas nachzuhelfen, wenn aus Sicht der Möwen das Futter nicht schnell genug gereicht wird. Wer sich als Möwe beim Füttern zudem das Brot direkt aus der Hand des Menschen holt, ist im Vorteil gegenüber derjenigen, die geduldig darauf wartet, dann aber leer ausgeht. Die Schwierigkeit besteht für Möwen nun schlicht darin, für sich zu erkennen, wann der Mensch für sie Futter bereit hält, und wann er das Eis doch lieber selbst behalten möchte ...
In jedem Fall trachten die Möwen nicht danach, den vermeintlichen oder tatsächlichen Futterspender zu verletzen, wenn sie sich ihm auf geringe Distanz nähern. Sie haben es nur auf das Futter abgesehen. Daher sind Verletzungen von Menschen äußerst selten und kommen vor allem dann vor, wenn im Eifer des Gefechtes ein Finger 'im Wege' ist. Zudem lernen Möwen sehr schnell, dass sich in Tüten, Mülleimern oder auf nicht abgedeckten Tischen vielerlei Nahrungsreste befinden können – „Möwe“ muss halt nur neugierig sein!
Gegen diese Art des Nahrungserwerbs hilft nur ein konsequentes Verbot der Fütterung, das die Tiere dazu zwingt, sich wieder anderen Nahrungsquellen zuzuwenden. Vom Mundraub allein kann eine Möwe nicht lange leben. Die gelegentlich aufkommende Forderung nach Abschuss der Tiere geht völlig ins Leere: Im Sommer ist ein Töten von Möwen, die brüten könnten, generell verboten. Im Winter sind zahlreiche andere, teils von weit her zugewanderte Möwen bei uns zu Gast, die diese unliebsame Verhaltensweise kaum zeigen.
Möwen als Gebäudebrüter
Seit einigen Jahren brüten Sturm- und gelegentlich auch Silbermöwen verstärkt in Küstennähe auf den Dächern von Gebäuden. Der Grund ist vor allem, dass sie hier ihren Feinden, Füchsen und Mardern, aus dem Wege gehen können und so einen vermeintlich sicheren Brutplatz haben. Sturmmöwen profitieren auch davon, dass ihnen in der Nähe höherer Gebäude zumeist größere, kurz geschorene Rasenflächen zur Verfügung stehen - ein Ersatz für das immer weiter zurück gehende Grünland, von dem sie ursprünglich einen Teil ihrer Nahrung (Regenwürmer, Kerbtiere, Mäuse) bezogen habe.
Berichterstattung über Möwen in der Tagespresse - heute deutlich differenzierter als früher.
Nicht jedem Bewohner gefällt es jedoch, wenn Möwen das zumeist mit Kies bedeckte Flachdach seines Hauses zum Ersatzlebensraum erkoren haben. Die Angst vor der Übertragung von Krankheiten, vor allem aber die angebliche Lärmbelästigung machen manchem Einheimischen oder Touristen zu schaffen. Doch die Übertragung von Salmonellen, als deren Träger Möwen in Frage kommen, lässt sich schlicht durch einfache Hygiene wie das normalerweise übliche Waschen der Hände vermeiden.
Ob man beim Möwengeschrei - gerade im Vergleich zu deutlich lauten Lärmquellen wie dem Autoverkehr - tatsächlich von einer übergroßen Belästigung sprechen kann, oder dieses nicht eher als 'ortsüblich' betrachten sollte, ist umstritten. Möwen gehören zur Küste, wie das Meeresrauschen oder der Sand am Strand! Wer sich über die Lautäußerungen der Tiere beschwert, dem wird wohl auch in den Tropen das Rauschen der Palmen zu viel. Mehr Toleranz ist angebracht - schließlich sollten wir es begrüßen, wenn sich eine Tierart nicht gleich 'aus dem Staube' macht, wenn sie mit dem Menschen in Kontakt kommt, sondern im Gegenteil unsere Nähe toleriert. Und wenn während der Brutzeit ein Möwenpaar energisch seine Jungvögel verteidigt, sollten wir dies als selbstverständlich und nachvollziehbar akzeptieren.
Aktionen wie das grausame Erschlagen der Sturmmöwen-Jungvögel auf dem Dach der Kieler Universität im Jahr 2009, dem bereits andere Übergriffe in den Jahren davor vorausgingen, sind nicht nur überaus brutal, sondern verstoßen auch gegen gesetzliche Bestimmungen des Tier- wie Naturschutzrechtes und werden mit empfindlichen Strafen belegt.
Wenn man Abhilfe schaffen will, so muss der Nistplatz außerhalb der Brutzeit für die Möwen unattraktiv gestaltet werden. Dazu können straff gespannte Drähte beitragen. Auch ein Abschuss der Tiere ist nicht zweckmäßig, da wie bei den 'Raubmöwen' in der Brutzeit die Tiere nicht getötet werden dürfen, im Winter aber vor allem Tiere nördlicher oder nordöstlicher Populationen bei uns leben.
Mehr Gelassenheit
Der NABU empfiehlt, bei angeblichen oder tatsächlichen Konflikten mit Möwen mehr Gelassenheit zu zeigen und diese als Naturerlebnis zu akzeptieren. Nicht selten ist der Mensch selbst für diese Konflikte verantwortlich und könnte sie auch vermeiden. Flugkünste, Anpassungsfähigkeit und Eleganz sind hinreichende Gründe, dieser Vogelgruppe den ihr zustehenden Raum zu lassen - die Beobachtung der intelligenten und eleganten Küstenvögel ist ein interessantes und faszinierendes Naturschauspiel.
Und wer ganz genau hinschaut, kann sogar noch etwas für die Wissenschaft tun - viele Möwen werden im Rahmen von Forschungsvorhaben beringt, mit unscheinbareren Metall-, aber häufig auch mit großen Plastikringen mit gut ablesbaren Buchstaben- und Zahlenkombinationen. Derartige Beobachtungen sollten mit Angaben zur Art, dem Beobachtungsort und der abgelesenen Kombination dem NABU gemeldet werden – als kleiner Baustein zur Untersuchung der Lebensweise unserer heimischen Möwen.
Vor dem Hintergrund der deutlichen Rückgänge vieler Möwenarten und der Tatsache, dass geschossene Tiere nicht genutzt werden, ist es gerechtfertigt, dass für alle Möwenarten in Schleswig-Holstein keine Jagdzeit mehr vorgesehen ist.
ILu akt. 25. Dezember 2014