Die größte und gleichzeitig durch ihr charakteristisches Flugbild am leichtesten zu erkennende Geierart ist der Bartgeier. Aufgrund der schmaleren Flügel eher an einen sehr großen Falken erinnernd, ernährt sich die Art zu einem größeren Teil von Knochen. War wohl zu keiner Zeit Brutvogel in Deutschland, wenige Einzeltiere verstriffen aber auch schon früher aus dem übrigen Alpengebiet nach Deutschland. – Foto: Richard Bartz (< href=https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5/deed.de target=blank>CC-BY-SA-2.5</a>)
Geier immer häufiger in Norddeutschland
Bartgeier ‚Larzac’: Tod an der Stromleitung
Zunehmend häufiger fliegen ganz besondere Vögel auch nach Schleswig-Holstein ein, die man hier zunächst gar nicht vermuten würde: Riesige Geier, die man sonst eher mit trockenen Gebieten Südeuropas, Afrikas oder Asiens verbindet. In den letzten Jahren waren es vor allem Gänsegeier, deren Entdeckung am Himmel zu großem Erstaunen in der Öffentlichkeit führte. Geier im Norden?
Was zunächst für Außenstehende kaum vorstellbar erscheint, entwickelte sich in Deutschland in den letzten Jahren fast zu einer regelmäßigen Erscheinung. Und nicht nur Einzelvögel fanden ihren Weg in das Land zwischen den Meeren, auch Gruppen von mehr als 10 Tieren konnten schon beobachtet werden, so zuletzt in diesem Jahr. Doch woher kommen die Tiere?
Wie kann man den Geiern in Deutschland helfen?
Es steht zu erwarten, dass mit dem ansteigenden Bestand in den südlichen Nachbarstaaten in den nächsten Jahren Geier noch häufiger bei uns einfliegen werden. Dringend notwendig sind Änderungen der Gesetzeslage, die bislang das Ausbringen von Tierkadavern in die freie Landschaft verbietet, wodurch bei uns einfliegende Geier eine geringere Chance haben, zu überleben. Analog zu den Regelungen in Frankreich und Spanien, aber auch in den Niederlanden, sollte an festgelegten und überwachten Orten Aas im Bedarfsfalle ausgebracht werden dürfen. Hierfür kämen in Schleswig-Holstein etwa große Schutzgebiete wie der Höltigbaum oder die Geltinger Birk in Frage, wo auch im Rahmen des Schutzgebietsmanagements große Weidetiere zur Pflege der Flächen eingesetzt werden. Die in Deutschland sehr hohen Wilddichten bei Rehen, Hirschen und Wildschweinen können schon heute positiv auf Geier wirken.
Brüten werden Gänsegeier bei uns eher nicht, dazu fehlt den zumeist felsbrütenden Arten hier die Niststätte. Der Gänsegeier ist allerdings Winterbrüter und erträgt selbst tiefere Temperaturen und Schnee am Brutplatz. Die Meeresumwelt stellt kein Hindernis dar, wie Gänsegeier zeigen, die an den Felsklippen der spanischen Biskaya-Küste brüten.
Situation der Geier in Europa
Über lange Jahre waren Geier in Europa auf dem Rückzug. Letzte Rückzugsregionen waren u.a. entlegene Regionen des Balkans, der Karpaten und die Pyrenäen. Viele Gebiete, wie etwa die deutschen Alpen, in denen früher Gänsegeier zu Hause waren, sind seit dem letzten Jahrhundert geierfrei. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts wurden sie aktiv in vielen Regionen ausgerottet, so durch Vergiftungsaktionen, die anderen Tierarten galten. Möglichweise zeichneten aber auch Klimaveränderungen für das komplette Verschwinden mit verantwortlich. Die intensiver werdende Weidetierhaltung mit einer besseren Überwachung der Tiere und die Verpflichtung, tote Weidetiere wegen möglicher Milzbrand-Gefahr zu entsorgen, statt sie einfach liegen zu lassen, sind bis heute Faktoren, die auf den Bestand einwirken. Vielfach wurden Geiern Eigenschaften nachgesagt, die sich heute nicht bestätigen lassen. So hieß der Bartgeier auch ‚Lämmergeier’, obwohl er kaum an Schafe geht. Alle Geierarten leben nahezu ausschließlich von Aas.
Erst die Unter-Schutz-Stellung aller Vogelarten durch die EU-Vogelschutzrichtlinie 1979 legte den rechtlichen Grundstein für die Rückkehr der teils stattlichen Vögel. Heute werden besonders genehmigte Geier-Futterplätze u.a. in Frankreich und Spanien regelmäßig mit toten Weidetieren bestückt. So steigt der Bestand der meisten Geierarten in Europa wieder an. Aktuell gibt es etwa in Spanien so viele Gänsegeier, wie es in den letzten Jahrzehnten nicht mehr gab. Nur die Bestandsentwicklung des Schmutzgeiers bereitet den Naturschützern weiterhin große Sorge.
Warum wandern Geier?
Junge Geier, zuletzt mehrere Gänsegeier, verstreifen nach dem deutlichen Anstieg des Bestandes in ihrer mehrere Jahre dauernden Jugend teils weit über ihr ursprüngliches Verbreitungsgebiet hinaus und können so auch in Zukunft häufiger nach Schleswig-Holstein gelangen. Doch warum tun sie dies? Im Mittelalter gehörten Geier wohl noch bis zur frühen Neuzeit zum regelmäßigen Erscheinungsbild auch des hohen Nordens. Geier leben vor allem von toten Tieren und sind natürliche Begleiter großer, extensiver Weidewirtschaften. Lebende Nahrung erbeuten Geier nur in Ausnahmefällen. Da die jungen Geier recht lange brauchen, bis sie geschlechtsreif werden und erstmals brüten, bleibt ihnen schlicht genügend Zeit, neue Gebiete zu erkunden – und das tun sie mit dem Anwachsen der Bestände wieder verstärkt.
Die Rückkehr der Geier
In Europa laufen in verschiedenen Regionen größere, teilweise von der EU finanzierte Schutzprojekte. In Frankreich beschäftigt sich u.a. die Ligue Pour la Protection des Oiseaux (L.P.O.), Partnerorganisation des NABU im Netzwerk Birdlife International, im Nationalpark ‚des Cévennes’ und im Naturpark ‚Grands Causses’ in der Nähe von Montpellier mit deren Schutz. In dieser Region kommen alle vier in Europa brütenden Geierarten Europas vor: Neben dem Gänsegeier sind dies auch Mönchs-, Schmutz- und Bartgeier. Letztere Art ist europaweit am stärksten bedroht und wird daher durch besondere Maßnahmen darin unterstützt, ehemals von ihr bewohnte und dann verlassene Gebiete wieder neu zu besiedeln. Dazu bedient man sich der Auswilderung von in Gefangenschaft geschlüpften Jungtieren (Projektdetails siehe Kasten). Geringe Restbestände dieser ehemals fast ausgestorbenen Art überlebten in Europa zuletzt nur noch in den Pyrenäen, auf Korsika und Kreta. Heute steigt ihre Zahl Dank intensiver Schutzbemühungen erfreulicherweise wieder an.
Europäische Geierarten vorgestellt
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Der Gänsegeier (links) ist die häufigste Geierart, größer als ein Seeadler. Bei Einflügen sind es vor allem Gänsegeier, die in Deutschland in größeren Trupps auftreten können. Aus Schleswig-Holstein gibt es schon Nachweise aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Brütete im Mittelalter in Felsregionen nördlich der Alpen, war im letzten Jahrhundert in größerer Zahl nur noch in Spanien zu finden. Heute sind Südfrankreich und Österreich wieder besiedelt. Der Bestand in Spanien hat historische Höhen erreicht. Mönchsgeier (rechts) brüten in Südeuropa zumeist auf Bäumen, größter Bestandsanteil in Spanien. Größer und dunkler als Gänsegeier. Nur sehr wenige Nachweise in Deutschland, im 19. und 20. Jahrhundert in Schleswig-Holstein beobachtet. Foto: Bruno Berthemy
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Der Schmutzgeier ist der kleinste unter den vier europäischen Geierarten, der vor allem im Alterskleid durch seine helle Färbung auffällt. Er ist Zugvogel und überwintert in Afrika. Einflüge nach Mitteleuropa sind wegen des geringen Bestandes und der weiterhin hohen Bedrohungssituation selten, doch gibt es derzeit drei Nachweise aus Schleswig-Holstein. - Foto: Bruno Berthemy
Beispielhaft: Die Wiederansiedlung von Geiern in Südfrankreich
Bis Anfang der 1930er Jahre waren die vier Geierarten auch in Frankreich noch in einigen Regionen anzutreffen. Der Einsatz von Gift und Schusswaffen wie auch das Verbot, tote Weidetiere einfach liegen zu lassen, setzte ihnen auch hier zu, so dass alle Geierarten hier vollständig ausstarben. Zunächst begann man in Südfrankreich, Gänsegeier an geeigneten Orten wieder anzusiedeln. Dann folgte ein Projekt zur Ansiedlung der Mönchsgeier. In den folgenden Jahren kam der Schmutzgeier – möglicherweise angelockt durch die anderen Geierarten - allein zurück. Schließlich widmete man sich seit dem Jahr 2012 den Bartgeiern. Mittlerweile fliegen Geier regelmäßig nach Deutschland ein, und fliegen selbst weiter bis nach Osteuropa. Viele der Gänsegeier bei uns stammen dabei aus Spanien.
Die Geschichte von Bartgeier ‚Larzac’
Einer dieser ausgewilderten Vögel, genannt ‚Larzac’ nach einer französischen Region, hat in diesem Jahr überraschend auch den Weg nach Schleswig-Holstein gefunden. Doch das Schicksal meinte es nicht gut mit ihm. Der männliche, junge Bartgeier starb nach kurzem Aufenthalt bei uns unter tragischen Bedingungen: Die stark verwesten Reste seines Körpers wurden von NABU-Landesgeschäftsführer Ingo Ludwichowski am 25. Juli 2016 in der Nähe von Hasenberg bei Nessendorf im Kreis Plön nach einem Hinweis aus der Bevölkerung in unmittelbarer Nähe zu einer bereits abgeschalteten Stromleitung gefunden und geborgen. Drahtanflug liegt also nahe, eine veterinärmedizinische Untersuchung zur Todesursache steht aber noch aus und wird in Frankreich erfolgen. Der NABU hat auf Wunsch der L.P.O. dazu die Reste des Vogels geborgen und nach Frankreich gebracht. Dort erfuhr der NABU Details über das engagierte, seit 2012 laufende Projekt.
Der junge, männliche Bartgeier, markiert mit zwei großen Fußringen und einem GPS-Sender, stammte aus dem Auswilderungsprojekt der L.P.O. aus dem Parc Naturel Régional des Grands Causses und dem Parc National des Cévennes in Südfrankreich nahe Montpellier. Die Auswilderung wird seit 2015 von LIFE GYPCONNECT unterstützt. Der Jungvogel wurde im Mai 2015 in Frankreich freigelassen. Er war Teil der Bemühungen von Naturschützern, die hoch bedrohte Art in verschiedenen Regionen Europas, so in den französischen, italienischen und österreichischen Alpen, aber auch in Andalusien in Spanien, in ihrem ursprünglichen Verbreitungsgebiet wieder anzusiedeln. Zudem soll mit den Auswilderungen in Grands Causses die Verbindung zwischen den Pyrenäen und den Alpen wiederhergestellt werden, um somit auch einen genetischen Austausch der beiden Populationen zu ermöglichen.
Ligue Pour la Protection des Oiseaux (L.P.O.)
Die Ligue Pour la Protection des Oiseaux (L.P.O.) ist die französische Partnerorganisation des NABU im weltweiten Birdlife-Netzwerk. Sie engagiert sich für Artenschutz, Landschaftschutz und Umweltbildung und hat rd. 42.000 Mitglieder und 400 Angestellte in über 79 Departements. Organisatorisch gliedert sie sich wie der NABU in einen Zentralverband und Regionalgruppen sowie Projektgruppen.
Seit 2012 wildert die L.P.O. Grands Causses mit anderen Organisationen junge Bartgeier aus. Bis 2016 wurden im Naturpark Grand Causses in Südfrankreich insgesamt elf Jungvögel frei gelassen. Die Tiere stammen dabei aus dem europäischen Bartgeier Zuchtprogramm, welches von der VCF (Vulture Conservation Foundation) koordiniert wird. An dem Zuchtprogramm beteiligen sich über 35 Zoos und fünf Zuchtzentren. Die jungen Bartgeier sind zum Zeitpunkt der Auswilderung ca. 90 Tage alt und können noch nicht fliegen.
Larzac, geboren im Jahr 2015, stammt zusammen mit einem jungen Weibchen aus Haringsee in Österreich. Die beiden Tiere blieben zunächst einen Monat lang in einer Höhle im Fels eingesperrt, wo sie für eine Übergangszeit gefüttert wurden. Danach wurde die Höhle geöffnet, die Tiere waren frei und begannen fliegend die Umgebung zu erkunden.
Gänsegeier an einer Fütterung im Parc Naturel Régional des Grands Causses / F
Larzac blieb zunächst in Süd-Frankreich und flog dabei in Gesellschaft mit dem männlichen Bartgeier ‚Layrou’. Im Juni 2016 begann er eine lange Reise in die Niederlande, bevor er am 2. Juli 2016 von dort nach Norddeutschland flog. Hier erreichte er zunächst Fehmarn, bevor er umkehrte und zurück auf das Festland gelangte. Das letzte Signal von seinem GPS-Sender erhielten die Organisatoren am 4. Juli 2016. An der Suche nach dem dann als vermisst gemeldeten Tier beteiligten sich zwischenzeitlich zahlreiche Ornithologen. Im Jahr 1997 war bereits ein Bartgeier in Schleswig-Holstein erschienen, der aus einem Auswilderungsprojekt in den französischen Alpen stammte.
KD, ILu akt 7. Oktober 2016