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Spinnen im Herbst
Herbstzeit ist Spinnenzeit. Gefühlt überall sitzen, hängen, krabbeln und „fliegen“ die achtbeinigen Wirbellosen und ihre Spinnfäden durch die Gegend. Für viele Menschen sind Spinnen zum Fürchten und Gruseln, für andere wiederum aber „sowas von süüüß“. Wer einmal einer Radnetzspinne beim Bau des Netzes, einer tänzelnden Springspinne an der Hauswand, einer lauernden Krabbenspinne auf einer Blüte oder einer Wasserspinne beim Luftsammeln für die Taucherglocke unter Wasser beobachtet hat, kann sich der Faszination über diese Tiere auch kaum entziehen. Viele Naturfreunde begeistern sich zudem für die filigranen und spektakulären Kunstwerke zahlreicher Spinnenarten. Im Herbst beeindrucken mit Tautröpfchen behängte Spinnennetze und machen so erst sichtbar, in welcher Dichte Spinnen vorkommen können.
Aber nicht nur die Vielfalt der Lebensweisen, auch ihr fremdartiges Erscheinungsbild hinterlässt nachhaltig Eindruck. Die charakteristischen vier Beinpaare, die mal schnelle, die dann wieder schleichende Fortbewegung, wirken auch für viele Menschen bedrohlich. Die scheinwerferartigen Hauptaugen der Springspinnen - und sechs weitere kleine Nebenaugen - als auch die bei einigen Arten eindrucksvollen Giftklauen wecken ebenfalls widersprüchliche Reaktionen. Dabei sind die heimischen Spinnen - alleine in Schleswig-Holstein kommen rund 563 Arten in 34 Familien vor - eigentlich alle harmlos und - mit ganz seltenen Ausnahmen - kaum giftig.
Kein Grund zur Panik!
Lediglich der Dornfinger hat so lange Giftklauen, mit denen die Spinne - im Gegensatz zu allen anderen Spinnen in Deutschland - die menschliche Haut mühelos durchdringen kann. Die Bisse werden meist mit einem Wespenstich verglichen, der Schmerz kann ein paar Tage anhalten. Der Dornfinger breitet sich aus Südost-Europa kommend nach Norden hin aus und wird mittlerweile auch vereinzelt in Schleswig-Holstein nachgewiesen. Die Art lebt auf trockenen bis etwas feuchten, mit höheren Gräsern bewachsenen Stellen oder sonnigem Ödland. Immer wieder berichten aber auch Mitarbeiter*innen aus Gärtnereien oder Landschaftspflegewerkstätten, dass große Spinnen wie Kreuzspinnen oder auch die Wasserspinne, in bestimmten Situationen z.B. beim Mähen durchaus spürbar beißen können.
Attraktive Netzbauer
Ebenfalls eine Art in Ausbreitung ist die zu den Webspinnen zählende Wespenspinne Argiope bruennichi. Vor einigen Jahrzehnten kam die attraktive Art mit ihrer auffälligen Zeichnung nur im äußersten südöstlichen Teil Schleswig-Holsteins vor. In den letzten 30 Jahren hat sich die Art aber stark nach Norden ausgebreitet. Wahrscheinlich sind hierfür klimatische Veränderungen ursächlich. Sie legt ihr festes Netz etwas tiefer in der Vegetation von Wiesenrändern und Gebüschen an. Arttypisches Kennzeichen ist ein darin enthaltenes, auffälliges Zickzackband, das sog. Stabiliment. In den Vorratskammern der Wespenspinnen finden sich gerne auch größere Insekten wie Heuschrecken und Libellen.
Zu den bekanntesten Webspinnen zählen zudem die großen Kreuzspinnen, wie die Gartenkreuzspinne Araneus diadematus oder die Vierfleckkreuzspinne A. quadratus, die teilweise große Netze frei zwischen Bäumen, Schildern oder anderen Strukturen spinnen. Deren Fäden und Netze können mehrere Meter überbrücken.
Altweibersommer in der Rechtsprechung
Andere Webspinnen wie die Baldachinspinnen bauen bodennahe oder im Unterholz waagerechte, baldachinartige Seidendickichte in einer erstaunlichen Dichte. Diese Arten sind überwiegend für den sog. „Altweibersommer“ verantwortlich, ein Begriff mit verschiedenen Erklärungen bzw. Deutungen. Es hat sich aber wohl die Erklärung durchgesetzt, dass sich der Name von den Spinnfäden herleitet, mit denen sich vor allem junge Baldachinspinnen im Herbst durch die Luft in neue Lebensräume fliegen lassen. Diese Flugfäden sollen an das graue Haar von alten Frauen erinnern. 1989 wurde übrigens durch das Landgericht Darmstadt festgestellt, dass die Verwendung des Ausdrucks „Altweibersommer“ durch die Medien keinen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte von älteren Damen darstellt.
Mitbewohner*in hinterm Bettgestell
Andere Spinnenarten wie die Große Zitterspinne Pholcus phalangioides kommen nur in Gebäuden vor, selbst in trockenen, zentral beheizten Räumen, die von anderen Arten gemieden werden. Menschliche Mitbewohner*innen wundern sich immer wieder, wie diese Spinnen überhaupt in die Wohnung gelangt sind. Die auffällig langbeinigen, an Weberknechte erinnernden Tiere bauen ihre unregelmäßigen, lockeren Fangnetze gerne in Zimmerecken, hinter dem Bettgestell oder auf der Fensterbank. Bei Beunruhigung führen sie in ihren Netzen schnell hin und her schwingende, zittrige und damit namengebende Bewegungen aus. Die für den Menschen völlig harmlosen Tiere sind aber erstaunlich angriffslustig gegenüber potentiellen, teilweise sogar deutlich größeren Beutetieren wie anderen Spinnenarten oder Asseln, die mit klebrigen Fäden beworfen und damit bewegungsunfähig gemacht werden.
Lauernd unter der Blüte
Neben den Fangnetz bauenden Arten gibt es auch Spinnen, die auf Beutejagd gehen, ohne dafür ein Netz zu bauen. So kann man unter und auf Blüten beispielsweise lauernde Krabbenspinnen, z.B. die häufige Braune Buschkrabbenspinne Xysticus cristatus finden. Diese warten geduldig darauf, dass sich Insekten auf die Blüte setzen, um diese dann blitzschnell mit ihren verlängerten, vorderen Beinpaaren zu ergreifen und die Beute mit typischen Nackenbiss zu töten.
Krabbenspinnen können hervorragend sehen. Vier Augen blicken nach vorne, wobei die beiden größeren Augen außen angeordnet sind. Hinter diesen Augen liegt eine weitere Reihe von vier Augen, die nach oben gerichtet sind. Vor der Paarung umspinnt die männliche Krabbenspinne das Weibchen mit Spinnfäden. Nach der Begattung kann sich das Weibchen daraus befreien. Wahrscheinlich ist diese „Fesselung“ für das Überleben des Männchens nach der Paarung von Bedeutung, denn dieses gewinnt dadurch etwas Zeit, um sich in Sicherheit bringen zu können und nicht als „Spinne danach“ zu enden. Anschließend stellt das Weibchen einen flachen, weißen Eikokon her, der nur wenig getarnt auf Pflanzen befestigt wird. Die Spinnenmutter sitzt darauf, jagt nicht mehr und bewacht diesen bis zu ihrem Tod. Kurz zuvor ritzt sie den sehr festen Kokon an, damit gegen Ende des Sommers die Jungspinnen schlüpfen können. Die Braune Krabbenspinne ist eine der häufigsten Art ihrer Gattung, allerdings gibt es in Mitteleuropa eine Reihe sehr ähnlicher Arten. Eine genaue, sichere Artbestimmung ist meist, wie leider bei vielen anderen Spinnenarten auch, nur durch die Untersuchung der Geschlechtsorgane möglich.
Andere frei jagende Spinnen sind die z.T. recht groß werdenden Raubspinnen. Eine der häufigsten Arten ist die langbeinige Listspinne Pisaura mirabilis, fast überall an Wald- und Wegrändern anzutreffen. Die Weibchen fallen häufig auf, da sie mit ihrem kugeligen Eikokon herumlaufen. Eine weitere eindrucksvolle heimische Raubspinne ist die Gerandete Jagdspinne Dolomedes fimbriatus, der man vorzugsweise am Ufer stehender und fließender Gewässer oder auch in Mooren begegnen kann. Diese Art kann sogar kleine Frösche, Kaulquappen und Fische erbeuten.
Jäger mit Sicherheitsfaden
Vertreter der Springspinnen, wie die kleine Zebraspringspinne Salticus scenicus, suchen ihr Revier häufig an Mauern und anderen festen Strukturen mit ruckartigen Bewegungen nach Beute ab. Hat sie eine Spinne, Fliege oder Käfer mit ihren sehr scharf und räumlich sehenden Augenpaaren erspäht, kann die winzige, nur wenige Millimeter große Art Entfernungen bis zur 25fachen Länge ihrer Körpers springen - zielgenau. Beim Autor wären das aus dem Stand 45,5 Meter - schön wär`s! Dazu nutzt die Spinne keine Muskeln, sondern eine Art Hydrauliksystem mit Hilfe ihrer Körperflüssigkeit. Kann die Beute doch noch rechtzeitig entkommen - die „potentiellen Appetithappen“ haben ja schließlich auch Augen im Kopf - stürzt die Springspinne aber nicht ab. Mit einem Spinnfaden hat sich das Tier am Ort des Absprungs befestigt und kann sich nach dem erfolglosem Sprung wieder zurückhangeln.
Einbruch in die Vorratskammer
Allen Spinnen ist gemeinsam, dass sie sich räuberisch von anderen Tieren, ganz überwiegend von Insekten, Spinnen oder anderen Wirbellosen ernähren. Spinnen spielen daher eine sehr bedeutende Rolle in den Nahrungsnetzen der Natur, als Gegenspieler diverser Wirbellosen. Viele Arten injizieren ihrer Beute Verdauungssäfte und saugen die verflüssigte Nahrung vor Ort ein - zurück bleibt die leere Hülle. Andere Arten wickeln ihre Beute in Seide und hängen sie in die „Vorratskammer“, um diese erst später zu verzehren.
Das finden nun wieder andere „Mitspieler“ interessant. So versuchen nun verschiedene Insekten, diese gefüllten Vorratskammern zu plündern, Fachleute sprechen von Kleptoparasitismus. Beispielsweise Skorpionsfliegen kann man dabei beobachten, wie sie sich den Vorratskammern von Kugelspinnen unterhalb von Blütenständen der Wilden Möhre und anderen Doldenblütlern nähern. Dort machen sie sich „gaaaanz“ vorsichtig über die dort abgehängte Beute her - immer mit der Gefahr lebend, entdeckt und selber zur Beute zu werden. Aber auch viele Erzwespen und andere Schlupfwespen parasitieren die Spinnenbeute, deren Eigespinste oder sogar die Spinnen selbst - schnell wird auch hier der Jäger zur Beute und Nahrung.
Schutzwürdige Tiere
Von den bislang bekannten 563 bekannten Arten in Schleswig-Holstein weisen nach der „Roten Liste der Spinnen in Schleswig-Holstein (2013)“ 134 Arten (23,7%) einen Gefährdungsstatus auf. 18 weitere Arten stehen auf der Vorwarnliste und bei 47 Arten ist die Datenlage für eine Einschätzung der Gefährdung unzureichend. Ausdrücklich weisen die Autoren der Roten Liste aber darauf hin, dass sich für eine ganze Anzahl der Arten nach weiteren, intensiveren Untersuchungen das Gesamtbild der Gefährdungseinstufungen sehr schnell grundlegend ändern könnte - erfahrungsgemäß leider meist nicht zum Besseren.
Faszinierende Fotomotive
Spinnen sind eine faszinierende Tiergruppe, die Naturfreunden und Naturfotografen spektakuläre Beobachtungen und Fotomotive bieten. „Ältere Semester“ unter den Leser*innen werden sich vielleicht noch an die Fernsehdokumentationen und Publikation von Horst Stern (und Josef Kullmann) „Sterns Stunde - Die rätselvolle Welt der Spinnen“ aus dem Jahre 1975 erinnern, die - eigentlich erstmalig und mit großem Erfolg - der breiten Öffentlichkeit die faszinierende Lebewelt der Webspinnen näherbringen konnte.
Überwinden Sie bei überraschendem Spinnen-Kontakt ihren ersten Schreck. Auch der Autor ist schon mal nachts aufgewacht, weil ihm „irgendwas“ über den Oberarm krabbelte - wie sich herausstellte, eine große Zitterspinne. Oder er hat sich vor Schreck auf den Hosenboden gesetzt, weil beim bodennahen Fotografieren einer kleinen Maskenbiene plötzlich formatfüllend eine große Hauswinkelspinne im Sucher der Kamera auftauchte - die ist, allemal durchs Makroobjektiv betrachtet, ganz schön eindrucksvoll.
Befördern Sie die achtbeinigen Besucher einfach nach draußen, wo die Spinnen eigentlich auch hingehören. Vorher schauen Sie den geretteten, kleinen Wesen aber noch einmal „tief in die Augen“ - Sie müssen sich nur entscheiden, in welches Paar.
CPu 18. Oktober 2021