Der NABU ist aktiv, um unser Naturerbe zu erhalten. Damit Sie auch weiterhin heimische Tiere und Pflanzen erleben können, braucht der NABU Ihre Unterstützung - am Besten noch heute!
Jetzt Mitglied werden!Lärm tötet Schweinswale
Bundes- und Landesregierung müssen Schutz der Kleinwale durchsetzen
Das Biosonar des Schweinswals ist für das Tier überlebenswichtig. Es wird benötigt für die Kommunikation untereinander, zur Orientierung, Partnersuche, zum Auffinden und Fangen von Beute, zur Vermeidung von Hindernissen und weiteren Gefahren. Vielfältige menschengemachte Lärmquellen und -ereignisse kollidieren besonders vor unserer Nord- und Ostseeküste mit den Überlebenschancen der Meeressäuger – und somit mit dem ihnen zugesicherten Schutz. Hierzu gehört der Betrieb von Offshore-Windanlangen und der übliche Schiffsverkehr mit seinen zahlreichen Nutzungsarten, aber auch – gerade in Ufernähe – Freizeitnutzungen, wie Jet-Skis und schnellere Motorboote.
Allgemein hat sich der Unterwasserschall in den Meeren während der vergangenen Jahrzehnte verdoppelt bis verdreifacht, was generell zu einer schlechteren Hörempfindlichkeit bei den Walen führt. Das größte Problem erzeugen hierbei schnelle Boot und Schiffe, weil ab einer gewissen Geschwindigkeit die so genannte Kavitation Gasblasen im Bereich der Schiffsschraube entstehen lässt, die immer wieder implodieren und unter Wasser Laute verursachen, die man sich so vorstellen muss, als stünde man ohne Hörschutz direkt neben einem feuernden Maschinengewehr.
Walkälber haben keine Chance
Im Fall der Speedboote an der westlichen Ostseeküste sorgt die hohe PS-Zahl der Boote zwischen 350 und 1.000 für einen entsprechend großen Lärmpegel und zugleich für eine Geschwindigkeit, die eine schnelle Reaktionszeit verlangt. In den Sommermonaten von Mai bis in den Oktober hinein sind die Wale direkt hier vor unserer Küste besonders zahlreich, weil sie sich dann paaren und im flacheren Wasser ihre Jungen zur Welt bringen. Die Kälber benötigen ca. 14 Tage bis sie sicher schwimmen und tauchen können. In dieser Zeit besteht kaum die Chance, der Bedrohung, die mit solcher Wucht und Geschwindigkeit naht, zu entkommen. Selbst ohne Neugeborenes liegt die Höchstgeschwindigkeit eines Schweinswals unter 25 km/h. So ist es kein Zufall, dass immer mal wieder Totfunde mit der Ursache Schiffsschraube konstatiert werden.
Der kurzfristige, ohrenbetäubende Lärm, den auch Rammungen von Windkraftanlagen, diverse Baggerarbeiten oder Sprengungen der Bundeswehr bzw. Marine verursachen können, kann temporäre oder auch permanente Taubheit hervorrufen. Konkret bedeutet das im akuten Fall, dass mit dem Lärm die Orientierung verlorengeht. Möglicherweise ist die Ortung des Bootes überlagert durch den Lärm, so dass schon deshalb ein Ausweichen nicht gelingen kann. Des weiteren besteht die Gefahr, dass Mutter und Kalb bei der Flucht getrennt werden und das Kalb verhungert.
Nahrungsaufnahme beeinträchtigt
Schweinswale müssen den kompletten Tag auf Futtersuche sein und fressen, wobei die Nahrung zum größten Teil aus recht kleinen Fischen besteht. Hering und Dorsch sind da eher Luxus und nicht der Standard. Da die Ruhepausen entsprechend kurz sein müssen, bedeutet jegliche Störung nicht nur einen enormen Energieverbrauch, sondern vor allem eine Beeinträchtigung der Nahrungsaufnahme und damit eine Verminderung der Überlebenschance in einem Meer, das ohnehin durch Überfischung gezeichnet ist.
Bei einer Bedrohung tauchen die Tiere möglichst weit nach unten und verhalten sich – solange sie nicht atmen müssen – ruhig, bevor sie wieder an die Oberfläche kommen bzw. die Nahrungssuche wieder aufnehmen. Die Störungen sind also aus unterschiedlichen Gründen nicht unerheblich. In der weiteren Folge bewirken die Hörschäden, dass das Biosonar der Wale eingeschränkt ist. Sie können schlechter kommunizieren, Nahrung finden und Gefahren ausweichen. So können die Tiere Stellnetze, die aus dünnen Kunststofffäden bestehen und in denen „verführerisch“ verendete Fische hängen, nicht richtig erkennen. Bewiesen ist, dass über die Hälfte der jährlich ca. 200 Tiere, die an der deutschen Ostseeküste tot geborgen werden, in Stellnetzen ertrunken bzw. erstickt ist. Wir vermuten, dass die Quote noch viel höher ist, aber je nach Zustand des Kadavers ist die Ursache nicht mehr nachweisbar. Das beeinträchtigte Gehör spielt hierbei eine wichtige Rolle, wie auch Gehöruntersuchen der Tierärztlichen Hochschule Hannover an beigefangenen Tieren belegen.
Selbstverständlich werden Regionen mit vielen Lärmereignissen – sei es ungeschützt oder durch schützende Vergrämungsmaßnahmen – nach und nach von den Tieren gemieden. Der Scheucheffekt bewirkt schließlich die Vertreibung der streng geschützten Tiere aus ihrem Lebensraum, für den es in der Ostsee auch keinen adäquaten Ersatz geben dürfte. In der Ostsee kommt es auf jeden Schweinswal an. Die Lebenserwartung der Schweinswale ist in der Ostsee von durchschnittlich über 20 Jahren auf unter 4 Jahren gesunken. Das bedeutet, dass nur ca. 30 Prozent der weiblichen Tiere hier überhaupt noch Geschlechtsreife erlangt. Die Walmütter, die im Sommer vor unsere Küsten kommen, um jeweils ein einziges Kalb in ein bis zwei Jahren zu bekommen, das sind genau diejenigen Tiere, die für den Fortbestand der Art so existenziell sind. Ihnen muss zweifelsohne der größtmögliche Schutz zukommen.
Nach der europäischen Fauna-Flora-Habitatrichtlinie sind Handlungen, die zu Tötungen oder Verletzungen besonders geschützter Arten oder zu erheblichen Störungen streng geschützter Arten wie dem Schweinswal führen können, verboten. Ostseeschweinswale fallen zudem unter den Schutz der europäischen Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie, die bis Mitte 2020 zu einem guten Erhaltungszustand des Meeres führen sollte, der bis heute nicht annähernd erreicht ist.
Lärm widerspricht Schutzstatus
Im Rahmen des ASCOBANS-Abkommens der UNO verpflichtet sich ein Großteil der Anrainer-Staaten von Nord- und Ostsee, des Nordostatlantiks und der Irischen See, den Erhaltungszustand von Kleinwal-Populationen zu verbessern. Der Jastarnia-Plan wiederum beinhaltet einen Rettungsplan speziell für den Ostseeschweinswal, der ebenfalls nach Ablauf von 15 Jahren für das Ziel der Beifangreduzierung keine nennenswerten Erfolge verzeichnen kann. Im Rahmen der Helsinki Kommission (HELCOM) arbeiten alle neun Ostseeanrainer gemeinsam mit der EU an der Verbesserung des ökologischen Zustands der Ostsee. Bedauerlicherweise sind die Empfehlungen und Strategien für die Vertragsstaaten nicht rechtlich bindend.
Die Bundesrepublik hat sich mit Unterzeichnung diverser Schutzabkommen immer wieder die Selbstverpflichtung auferlegt, die Situation für den Ostseeschweinswal zu verbessern. Der NABU konstatiert zunehmend, dass offenbar erst der Druck durch die Androhung von EU-Strafzahlungen zu nennenswerten Verbesserungen führen kann.
Schweinswalschädliche Großprojekte wie die Fehmarnbeltquerung, ein neues Programm, das Tausende weiterer Offshoreanlagen in der Ostsee zulässt oder die Altmunitionsräumung à la Marine, bei der mitten im Sommer in einem Schweinswalgebiet Minen ohne nennenswerten Schutz für Meeressäuger gleich inklusiv geschützter Riffe gesprengt werden, zeugen davon, dass ein Lernprozess noch nicht stattgefunden hat.
Ein ehrliches Angehen des Meeres- und somit des Schweinswalschutzes würde für den NABU bedeuten, mindestens 50 Prozent der ausgewiesenen Schutzgebietsfläche als nutzungsfreie Gebiete auszuweisen. Bisher ist in den Meeresschutzgebieten sogar Fischerei oder das Durchfahren ohne Geschwindigkeitsbeschränkung erlaubt. Konsequent muss bei Nutzung relevanter Regionen – insbesondere in Schutzgebieten und deren Randbereichen – eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorangehen und im Falle einer Genehmigung der bestmögliche Schutz verordnet werden. Dies gilt auch für die Marine, die hier mit gutem Beispiel vorangehen sollte.
In Gebieten mit hoher Schweinswaldichte muss zumindest in den Sommermonaten während der Paarungs- und Kalbungszeit die Geschwindigkeit von motorbetriebenen Booten verbindlich auf ein verträglicheres Maß reduziert werden. Am 1. Juli 2020 übernahm Deutschland nun für zwei Jahre den Vorsitz der Helsinki-Kommission (HELCOM) zum Meeresschutz der Ostsee. In dieser Zeit will man die zentralen Umweltprobleme der Ostsee angehen. Ob das die große Wende bringen wird, muss sich zeigen.
DS, 12. August 2020