Probleme mit der Nährstoff-Flut
Schleswig-Holstein: zu viel gedüngt - zu wenig getan
Auch in Schleswig-Holstein wird viel zu viel Gülle produziert und zu intensiv gedüngt. Vor allem die Oberflächengewässer und das Grundwasser werden dadurch gefährdet. Schwerpunkte dieser Belastungen sind Gebiete mit intensiver Tierhaltung. Aber selbst in Ackerbaugebieten der östlichen Landesteile besteht das Problem, ausgelöst durch zu hohe Mineraldüngergaben und ungenügende Schutzabstände zu den Gewässern. Diese Erkenntnisse sind alles andere als neu, jedoch im vergangenen Jahr anlässlich der Vorstellung des 2. Nährstoffberichts des Landes sowie der Novellierung von Bundes- und Landesdüngeverordnung wieder stärker in die umwelt- und agrarpolitische Diskussion geraten.
Die landwirtschaftliche Düngung soll die Nährstoffversorgung der Kulturpflanzen sichern und hohe Erträge liefern. Das Problem für Natur und Landschaft besteht darin, dass längst nicht alle mit Mineraldünger, Gülle oder Festmist verabreichten Nährstoffe von den Pflanzen aufgenommen werden können. Als Nährstoffüberschüsse versickern diese zu einem erheblichen Teil mit dem Niederschlagswasser, werden oberflächlich abgeschwemmt oder (hauptsächlich bei Gülle) entweichen in die Atmosphäre und schlagen sich anderswo nieder.
So wandert Stickstoff in Form von Nitrat ins Grundwasser und bedroht dabei unser Trinkwasser. Welche Gesundheitsgefahren dadurch entstehen, hat sich in den 1980er Jahren beispielhaft z.B. im Bereich um Daldorf, Kreis Segeberg, gezeigt. Aufgrund völlig überhöhter Nitratwerte musste an die Haushalte Mineralwasser verteilt werden, zahlreiche Hausbrunnen wurden geschlossen. Heute meint man das Problem aussitzen zu können, weil die Wasserversorgung zentralisiert wurde und die Versorger über Tiefbrunnen verfügen. Doch selbst diese werden mit der Zeit vom Nitrat erreicht werden. Denn Nitrat wird mit dem Sickerwasser kontinuierlich nach unten in die tieferen Bodenschichten getragen, wobei es nur teilweise abgebaut wird. In Schleswig-Holstein gelten die oberen Grundwasserleiter bereits auf etwa der Hälfte der Landesfläche als nitratbelastet, d.h. der Grenzwert von 50 mg pro Liter ist überschritten oder fast erreicht. Die Nitratbelastung betrifft hauptsächlich die Geest, die mit ihren leichten, oft sehr wasserdurchlässigen Böden Schwerpunkt der Viehhaltung und damit der Güllewirtschaft, aber auch des Maisanbaus für die Biogaserzeugung ist.
Gewässerbelastung durch Nährstoffeinträge
Für die Oberflächengewässer ist dagegen in der Regel Phosphor der kritische Nährstoff. Bereits geringe, von den Feldern bei Regenfällen abgeschwemmte Mengen reichen aus, das Algenwachstum in einem See oder Weiher anzuheizen. Oft entwickelt sich dabei eine 'Wasserblüte', d.h. planktische Algen färben das Wasser grünlich und können es so stark eintrüben, dass Laichkräuter, Tausendblatt und andere Wasserpflanzen nicht genügend Licht zur Entwicklung erhalten. Oder es setzt eine Massenentwicklung von Fadenalgen ein, die die Tauchblattpflanzen überwuchern. Planktonsuppe und bei ihrer Zersetzung stinkende Algenwatten als für jedermann sichtbares Zeichen übermäßiger Gewässereutrophierung verderben nicht nur den Badespaß, sondern führen auch zu massiver Verarmung der Lebensgemeinschaft, zumal der Abbau der Pflanzenmasse mit starker Sauerstoffzehrung und Faulschlammbildung einhergeht.
Aber auch die Meere leiden unter den vor allem über die Flüsse eingebrachten Nährstofffrachten. Im Gegensatz zu den Binnengewässern ist es hier in erster Linie der Stickstoff, der die unnatürlich starke Algenproduktion ankurbelt. Besonders betroffen ist die Ostsee, in der die sauerstofffreien und damit lebensfeindlichen Bereiche kontinuierlich zunehmen.
Bis in die 1970er/80er Jahre waren hauptsächlich unzureichend geklärte Abwässer für die Gewässerbelastung verantwortlich. Das änderte sich mit deutlich verbesserter Abwassereinigung in den Kläranlagen. So gelangen heute nur noch 9 % des Phosphors aus Kläranlagen in die Seen Schleswig-Holsteins. Weitere10 % stammen aus Entwässerung der Straßen und sonstiger versiegelter Flächen. Der weitaus größte Anteil der Phosphoreinträge in die Seen stammt aber mit 57% aus den intensiv bewirtschafteten landwirtschaftlichen Nutzflächen. Hinzu kommen beträchtliche Mengen aus den Einzugsgebieten der Zuflüsse, so dass der insgesamt der Landwirtschaft zuzurechnende Anteil am Phosphoreintrag in die Seen im Durchschnitt bei über 70 % liegt. Ähnliches gilt für die Fließgewässer. Auch beim Stickstoff geht von der Düngung der an die Gewässer grenzenden Flächen mit Abstand die Hauptbelastung aus, seitdem bei der Abwasserbehandlung stark nachgebessert worden ist. Diese Relationen zeigen die dringende Notwendigkeit, bei der Vermeidung weiterer Nährstoffeinträge und der damit verbundenen sehr starken Belastung der Gewässer in erster Linie bei der Landwirtschaft anzusetzen. Die Möglichkeiten zur weiteren Verbesserung der Abwasserreinigung in den Kläranlagen sind hingegen technisch weitgehend ausgereizt.
Stickstoff überall
Nicht nur den aquatischen Ökosystemen setzt die intensive Düngung zu, auch die naturnahen terrestrischen Lebensräume sind erheblich betroffen, hier durch den Stickstoff. Beim Düngerstreuen abgedrifteter Mineraldüngerstaub und über den Feldrand hinaus verspritzte Gülle haben über die Jahre fast allerorts in der Agrarlandschaft die ehemalige blütenreiche Artenfülle der Feldraine und Knicksäume vernichtet. Heute dominieren wenige stickstoffliebender und wüchsiger Arten an Gräsern und krautigen Stauden wie Brennnesseln. Nur am Rande extensiv genutzter Flächen hat sich eine vielseitigere Pflanzengemeinschaft mitsamt den daran lebenden Insekten halten können. Doch auch abseits der gedüngten Äcker und Wiesen gelegene Flächen werden indirekt von der Düngung erfasst. Denn Gülle sowie nur schwach verrotteter Festmist lassen einen Teil ihres Stickstoffs in Form von Ammoniak in die Atmosphäre entweichen. Diese gasförmigen Moleküle reagieren in der Luft mit anderen chemischen Verbindungen zu Ammoniumsalzen, die sich wiederum an winzig kleine Schwebstoffpartikel, die Aerosole, heften. Bei Nebel oder Regen gehen diese auf den Boden nieder und düngen ihn. Das beeinträchtigt vor allem die von Natur aus nährstoffarmen Ökosysteme wie Magerrasen, Heiden und Hochmoore. bei denen Bereits geringe Stickstoffeinträge bewirken dann eine gravierende Änderung der Vegetationszusammensetzung. Obgleich ein großer Teil der Stickstoffdeposition aus der Luft aus Verbrennungsprozessen hauptsächlich des Verkehrssektors (Stichwort Stickoxide) stammt, hat auch hier die Landwirtschaft ihren erheblichen Anteil.
Zusammengefasst betrachtet, greift die landwirtschaftliche Düngung nicht nur exakt flächenbezogen (wie etwa bei der Aufdüngung einer Feuchtwiese), sondern flächendeckend und massiv in alle Ökosysteme ein. Die permanente Nährstoffüberflutung dürfte von allen die Biodiversität belastenden Faktoren die gravierendste Ursache für den Artenrückgang nicht nur in Schleswig-Holstein darstellen.
Nebenbei angemerkt, verstärkt Düngung auch den Treibhauseffekt. Denn zu den Stickoxiden gehört Lachgas, das unter anderem bei der Umsetzung von Stickstoffdünger frei wird, zwar in geringen Mengen, dafür aber fast 300 mal so klimaschädigend wie Kohlendioxid.
Fachgutachten des Landes spricht Klartext
Exakte Daten und Fakten zum Phosphor- und Stickstoffproblem, daraus abgeleitete Aussagen zu Notwendigkeiten sowie die Möglichkeiten, den die Umwelt belastenden Nährstoffeinträgen zu begegnen, hat das Land unlängst in seinem 2. Nährstoffbericht dokumentiert bekommen. Erarbeitet wurde dieser Bericht von einem Wissenschaftlerteam der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und anderer Einrichtungen. Demzufolge haben sich die Nährstoffüberschüsse, d.h. die nicht von den Kulturpflanzen aufgenommen Stickstoff- und Phosphormengen, nicht verringert, sondern sind in Landkreisen mit vielen Intensivtierhaltungsbetrieben sogar leicht gestiegen. Beim Stickstoff sind die diesbezüglich von der Düngeverordnung festgelegten Obergrenzen überschritten worden, erst recht die Vorgaben der EU-Nitratrichtlinie. Es ist nicht nur zu viel Gülle, sondern auch zu viel Mineraldünger aufgebracht worden. Im Nährstoffbericht wird deswegen unter anderem vorgeschlagen, sowohl die Düngergaben allgemein deutlich zu verringern als auch die Tierzahlen herunterzuschrauben, um so das Gülleaufkommen zu reduzieren.
Nicht nur dieser Bericht weist darauf hin, dass die praktizierte Düngung mit ihren hohen Nährstoffausträgen mit verschiedenen EU-rechtlich vorgegebenen Bestimmungen, so der Nitratrichtlinie, der Wasserrahmenrichtlinie, der Meeresstrategierichtlinie und der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie kollidiert. Wegen langjähriger Nichteinhaltung der EU-Nitratrichtlinie ist Deutschland kürzlich vor dem Europäischen Gerichtshof ausgezählt und zur Verschärfung der Düngevorschriften verpflichtet worden. Noch viel mehr Ärger erwartet Deutschland, wenn es 2027 offenlegen muss, die verbindlich fixierten Ziele der Wasserrahmenrichtlinie krachend verfehlt zu haben. Die Verantwortung dafür liegt auch in Schleswig-Holstein, denn nur ein Bruchteil der Gewässer des Landes wird bis dahin den geforderten guten ökologischen Zustand aufweisen.
Problem erkannt, Gefahr gebannt?
Doch wie wird diesem ganzen Strauß an Problemen in der landwirtschaftlichen Praxis begegnet? Die meisten Bauern gehen bei der Gülleausbringung mittlerweile deutlich zurückhaltender vor als noch vor wenigen Jahrzehnten. So werden in der Regel Schleppschläuche eingesetzt, um den Flüssigmist zur Reduzierung der Ammoniakausgasung bodennah auszubringen anstatt ihn über die Pflanzen zu spritzen. Auf unbestellten Äckern wird die Gülle meistens zügig eingearbeitet. Manche Gülletransporter verfügen sogar über eine Technik, mit der die Gülle in den Boden injiziert wird. Die Landwirte müssen den Düngemittelauftrag protokollieren und Nährstoffbilanzen erstellen. Von Spätherbst bis Winter bestehen Ausschlusszeiten. Das Düngerecht begrenzt die zulässigen Stickstoffüberschüsse, hat dies kürzlich noch verschärft. Den Betrieben wird eine fachliche Beratung angeboten, in besonders nitratgefährdeten Bereichen besteht jetzt sogar eine Beratungspflicht. In Lehre und Studium nehmen die umweltbezogenen Aspekte der Düngung immer mehr Raum ein. Inzwischen scheint sich auch die Einsicht durchzusetzen, dass weniger Phosphor ausgebracht werden muss als bislang empfohlen.
Außerdem geben Wasser- und Düngerecht Abstände zu Gewässern vor. So wird generell ein 1 Meter breiter Gewässerrandstreifen verlangt, gemessen ab Böschungsoberkante des Grabens, Bachlaufs oder sonstiger Uferlinie, der nicht gedüngt und beackert werden darf. Nach der jüngst erfolgten Novellierung des Düngerechts ist dieser Abstand zu vergrößern, wenn die Nutzfläche hängig zum Gewässer abfällt, wobei sich die Abstandsbestimmungen nach dem Gefälle richten. Beispielsweise darf bei einer Hangneigung von mehr als 5 % auf einem 3 m breiten Streifen nicht gedüngt werden, bei 10 % Gefälle sind dies 10 m.
Das alles hört sich erst mal gut an. Doch diese und weitere Maßnahmen reichen leider längst nicht aus, die Nährstoffproblematik in den Griff zu bekommen. Zum einen wird nach wie vor grundsätzlich zu viel Dünger aufgebracht, wie es auch der Nährstoffbericht attestiert. In Gebieten mit hoher Konzentration an Rindern und Schweinen haben Bauern Schwierigkeiten, ihre Gülle überhaupt loszuwerden. So wird nicht selten mehr Gülle ausgefahren, als zur Pflanzenernährung angebracht. Ein besonderes Problem stellen Maiskulturen dar. Diese liegen im Winterhalbjahr brach, so dass sie an Hängen voll der Erosion ausgesetzt sind. Da sich Phosphor an feine Bodenpartikel bindet, gelangt er im Wesentlichen durch Bodenabschwemmungen in die Gewässer (ein deutlich geringerer Teil aber auch mit dem Drainagewasser). Zudem gedeiht Mais auch auf stark sandigen Böden, sofern er genügend gedüngt wird. Folge ist ein besonders hoher Stickstoffaustrag in Richtung Grundwasser. Aus diesen Gründen sollten Maisfelder nach der Ernte unbedingt begrünt werden. Futtermittelimporte - vor allem von Soja - verschärfen die Situation, denn schließlich werden damit ja auch Stickstoff und Phosphor importiert, was die Nährstoffbilanz belastet. Hinzu kommt die Biogaswirtschaft, die ebenfalls wesentlich auf Mais, daneben auf gleichermaßen stark mit Stickstoff versorgtem Silograsanbau basiert.
Es muss mehr getan werden!
Was wäre also zu tun? Neben einer allgemein deutlichen Verringerung der Düngeintensität - der Nährstoffbericht gibt hierzu konkrete Anregungen - sind sensible Bereiche, hier insbesondere die Gewässer, durch erheblich erweiterte Abstände zu schützen. Denn selbst ein 10 m breiter, mit dichter Vegetation bestandener Randstreifen am Fuß eines Hangs mit 10 %igem Gefälle nützt bei starken Regenfällen wenig - da fließt das Wasser einfach durch. Die Pufferstreifen sind deutlich breiter anzulegen. Stark erosionsgefährdete Hänge müssen ganz aus der ackerbaulichen Nutzung genommen und sollten auch nach einer Umwandlung zu Grünland nicht gedüngt werden. Periodisch bei Hochwasser überflutete Niederungsflächen am Rand von Seen und Flüssen wären gleichfalls aus der Ackernutzung zu entlassen. Zudem muss man sich den Rohrdrainagen widmen. Denn diese laufen unter den Randstreifen - so breit diese auch sein mögen - hindurch und leiten erhebliche Nährstofffrachten in die Gewässer. Die Drains sollten folglich innerhalb breiter Pufferstreifen auslaufen können, so dass dort das Drainwasser von der Vegetation oder in anzulegenden Retentionsbecken ausgefiltert werden kann.
Der Substratpflanzenanbau für Biogasanlagen vereinnahmt in Schleswig-Holstein etwa 100.000 Hektar, eine Fläche so groß wie der Kreis Plön. Das führt zu erheblichen Nährstoffproblemen vor allem hinsichtlich des Nitrataustrags, ohne dass die Biogaserzeugung einen effektiven Beitrag zum Klimaschutz leisten würde. Die Anlagen nach Ende der garantierten EEG-Einspeisevergütung auslaufen zu lassen, würde nicht unerheblich zur Entspannung beitragen können, zumal dann mehr Fläche für z.B. Gewässerschutzmaßnahmen zur Verfügung stände.
Eines sollte in diesem Zusammenhang allerdings selbstverständlich sein: Sollen von den landwirtschaftlichen Betrieben nennenswerte Flächen für den Gewässerschutz beansprucht werden, indem sie aus der Nutzung genommen oder extensiviert werden, müssen die Bauern den Nutzungsausfall vollständig erstattet bekommen. Gewässerschutz dient der gesamten Gesellschaft und ist deswegen auch von ihr finanziell zu tragen. Das entlässt die Landwirtschaft - wie jedermann anderen auch - aber nicht aus ihrer Verantwortung, im Rahmen des wirtschaftlich Machbaren die Umweltbelange zu berücksichtigen - ohne dafür gleich die Hand aufzuhalten.
Umstritten ist, inwieweit eine überregionale Verteilung von Gülleüberschüssen unter Umweltaspekten sinnvoll sein könnte: Einerseits ließen sich mit Gülle aus den Viehhaltungskonzentrationsgebieten dortige Überschüsse abbauen und in den Ackerbauregionen der östlichen Landesteile Mineraldünger ersetzen, andererseits wären u.a. der erhebliche Energieverbrauch sowie die Emissionen bezüglich der zahlreichen Transporte zu beachten. Das 'Kardinalproblem' bei der Gülle liegt schlichtweg in der Massentierhaltung, in den zu hohen Zahlen an intensiv gehaltenen Rindern und Schweinen. Erfolgt hier keine deutliche Reduzierung, dürften sich die gravierenden Umweltbelastungen durch Phosphor- und Stickstoffeinträge kaum jemals in den Griff bekommen lassen.
Wie steht die Agrarpolitik dazu?
Nur auf den ersten Blick scheint die deutsche Agrarpolitik den Ernst der Lage mit einem ganzen Bündel an Vorschriften erfasst zu haben. Doch schon bei etwas genauerer Betrachtung zeigt sich ein gegenteiliges Bild: Insbesondere das Bundeslandwirtschaftsministerium, aber auch die Ministerien vieler Länder sowie die parlamentarischen Agrarausschüsse haben, gerade bei konservativen Mehrheiten, immer noch nicht die Dimension der Problematik begriffen. Fachlich angemessen reagiert wird - wenn überhaupt - nur auf intensiven Druck z.B. von Seiten der EU oder der Wasserversorgungsunternehmen, dann jedoch mit größtmöglicher Verzögerung. Überdeutlich spürbar ist die massive Einflussnahme der mächtigen Agrarlobby. Wie weit deren Einfluss reicht, lässt sich nicht nur am Regierungshandeln, sondern auch an den Verlautbarungen der Fachbehörden Schleswig-Holsteins beispielsweise während der Regierungszeit von Peter Harry Carstensen (2005 - 2012), selbst Landwirt und übereifriger Protektor seiner bäuerlichen Klientel, ablesen. Da wurde allenfalls hinter vorgehaltener Hand über die Düngeproblematik gesprochen.
Ein Beispiel aus jüngster Zeit: Die Nitratrichtlinie der EU von 1991, in der sich die Mitgliedsstaaten der EU zur flächendeckenden Einhaltung des Nitratwerts von maximal 50 mg / l im Grundwasser verpflichtet haben, hat Deutschland fast 30 Jahre lang ignoriert, versuchte sogar, eine Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof 2018 zu übergehen und passte erst 2020 auf neuerlichen Druck der EU seine Düngeverordnung an, wobei zweifelhaft ist, ob auch diese Änderung den EU-Vorschriften genügt. Den Nitrateintrag ins Grundwasser wird sie vermutlich kaum zu reduzieren vermögen, dazu sind die Bestimmungen zu lasch. Mit einem neuen Bürokratie-Ungetüm, der "Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Ausweisung von mit Nitrat belasteten und eutrophierten Gebieten", hat das Bundesministerium bewirkt, dass erst einmal in deutlich höherer Frequenz als bisher gemessen werden muss, bevor 'rote Gebiete' mit besonderen Auflagen ausgewiesen werden dürfen. Für Schleswig-Holstein bedeutet diese Bundesvorgabe ein vorläufiges Einschmelzen seiner Problemkulisse auf der Geest um rund drei Viertel seiner vom Umweltministerium ursprünglich vorgesehenen und auch gerichtlich bestätigten Fläche. Dafür hat im Übrigen die FDP-Fraktion gesorgt, indem sie eine Enthaltung der Landesregierung bei der Abstimmung im Bundesrat über sogar vom Bund selbst vorgeschlagene Verschärfungen der Düngeverordnung erwirkte. Für eine stringentere Landesdüngeverordnung ist Schleswig-Holstein nun kaum Spielraum geblieben, da der Bund den Rahmen bestimmt. Ergebnis ist ein auch auf Landesebene höchst unzureichendes, im Eilverfahren Ende 2020 erlassenes Düngerecht. Dabei hat Schleswig-Holstein einerseits mit seinen 70 % an Agrarfläche und andererseits mit seinen vielen Binnengewässern und langen Küstenlinien sowie in weiten Gebieten sehr durchlässigen Böden ganz besonders unter den Nährstoffüberschüssen zu leiden.
Insgesamt werden für die Reduzierung der Nährstoffbelastung höchst wichtige Aspekte wie die oben genannten Gewässerschutzmaßnahmen von der Landwirtschaftspolitik Deutschlands weitgehend vernachlässigt. Man gibt lieber den massiven Protesten der Bauernschaft nach - oder gehört selbst zur Agrarlobby. Dabei gäbe es gerade für größerflächige Nutzungsverzichte genügend Geld, wenn man sich nur auf einen grundlegenden Umbau des EU-Agrarsubventionssystems einigen könnte: weg von der allgemeinen, für jeden Acker und jede Koppel gezahlten Flächenprämie, hin zur strikt an Umweltleistungen orientierten Ökoprämie. Aber auch das hat die Bundesregierung im Einklang mit der Agrarwirtschaft bislang immer erfolgreich zu verhindern verstanden. Erst recht nicht angerührt wird das Problem der zumindest regional viel zu hohen Tierbestände.
Das schleswig-holsteinische Umweltministerium hat es auch auf anderem Wege versucht. So wurde mit dem Bauernverband 2013 eine "Allianz für den Gewässerschutz" begründet, die Landwirte dazu bewegen soll, auf freiwilliger Ebene und gegen Erstattung des Nutzungsausfalls Flächen für breitere Puffer als vorgeschrieben zur Verfügung zu stellen. An sich wäre das eine gute Initiative. Doch ist sie in der Praxis bislang kaum von Erfolg gekrönt und weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben - überraschend war das nicht.
Fazit: Auf freiwilliger Basis geschieht zu wenig, auf rechtlicher Ebene soll nur wenig geschehen. Wie soll bei dieser Verantwortungslosigkeit ein wirksamer Schutz unserer Seen, Bäche, Flüsse und Meere überhaupt Chancen haben?
Hey, 20. Januar 2020