Streuobstwiesenförderung des NABU in Schleswig-Holstein
Erfolgsstory: 4.000 Obstbäume gepflanzt!
Kulturhistorisch ist der Begriff „Streuobstwiesen“ für ältere Bestände in Schleswig-Holstein irreführend. Traditionell typische Altbestände in Schleswig-Holstein sind kleinere Gruppen von Obstgehölzen auf landwirtschaftlichen Gehöften, z. B. in Bauerngärten oder auf Hauskoppeln, vereinzelnd als Alleen, z. B. in östlichen Landesteilen, oder sehr vereinzelnd in alten Küchengärten von Gutshöfen. Großflächigere typische Streuobstwiesenbestände in Anlehnung an deren Verbreitungsform etwa in Baden-Württemberg sind erst mit der ab etwa Ende der 1980er Jahre auch in Schleswig-Holstein aktiven Streuobstwiesenbewegung vor dem Hintergrund des Liebhaberobstanbaus entstanden. Diese Neuanlagen von Streuobstwiesen werden aufgrund ihrer besonders hohen ökologischen Wertigkeit in Schleswig-Holstein seit 2016 durch die Förderkonzepte für Streuobstwiesen des NABU Schleswig-Holstein konsequent unterstützt.
Als wichtige Kriterien für den Streuobstbau auf größeren Flächen gilt eine durchmischte Existenz der Obstarten und Obstsorten idealerweise unterschiedlichen Alters. Als Mindestmaß gilt für ältere Hochstamm-Obstbäume im Bestand eine Stammhöhe von 160 cm, bei Neupflanzungen mindestens 180 cm. Aus artenschutzfachlichen Gründen empfiehlt der NABU Bundesfachausschuss Streuobst (BFA Streuobst) im Benehmen mit dem Bund Deutscher Baumschulen (BdB) seit wenigen Jahren eine Stammhöhe von mindestens 200 cm. Charakteristisch für Streuobstwiesen ist die landwirtschaftliche Doppelnutzung der Flächen: Die Fruchternte als Obernutzung der Bäume und deren extensive Unternutzung auf Dauergrünland entweder als Mähwiese zur Heugewinnung oder direkt als Viehweide und in den letzten Jahren auch in Schleswig-Holstein zunehmend als Blühwiese insbesondere im Liebhaberobstanbau. Streuobstwiesen stellen eine extensive Bewirtschaftungsform des Grünlandes dar mit Verzicht auf den Einsatz synthetischer Behandlungsmittel (kein Gebrauch von Pestiziden und Mineraldünger) ohne Spritz-, Schnitt- und Düngepläne.
Bedeutung und Gefährdung der Streuobstwiesen
Für die mitteleuropäische Biodiversität spielen Streuobstbestände mit regional über 5.000 Tier und Pflanzenarten sowie insgesamt über 3.000 Obstsorten eine herausragende Rolle und gelten als Hotspot der Biodiversität. Charakter- bzw. Leitarten der Streuobstwiesen sind Steinkauz, Wendehals und Grünspecht. Dabei sind die Streuobstwiesenbestände selbst bedroht: Nach Schätzung des NABU-Bundesfachausschuss Streuobst gingen die deutschen Streuobstbestände in den Jahren 1950 bis 2010 um bis zu 80 Prozent – von ca. 1,5 Mio. ha auf rund 300 bis 400.000 ha – zurück.
Eine NABU-Analyse in einem schleswig-holsteinischen Untersuchungsgebiet ergab, dass von rund 80 Prozent stark überaltert bzw. abgängiger Bestände auszugehen ist. Die Rückgangsursachen der Bestände sind mannigfaltig: fehlendes Interesse und Kenntnisse bzgl. der Pflege, Rodungsprämien vom Beginn der 1950er Jahre bis 1973, erhebliche zeitliche Pflanzlücken, Rückgänge durch Baugebietsausweisungen, Wegfall der Rentabilität und verändertes Einkaufsverhalten sowie ökologisch minderwertige Nachpflanzungen in Form von Buschbäumen. Hohe Bedeutung erlangen Streuobstwiesen in der stark agrarstrukturierten schleswig-holsteinischen Kulturlandschaft unter anderem deshalb, da sie die einzige Form flächiger Landschaftselemente darstellen.
Rechtlicher Schutzstatus
Die Politik hat mittlerweile den hohen ökologischen Stellenwert von Streuobstwiesen u. a. für den Insektenschutz erkannt und diesem per Gesetzentwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes vom 10. Februar 2021 Rechnung getragen. Der Entwurf sieht – wie bereits mit dem Aktionsprogramm Insektenschutz vereinbart – unter anderem vor, den gesetzlichen Biotopschutz des § 30 BNatSchG auf artenreiches Grünland, Streuobstwiesen, Steinriegel und Trockenmauern als wichtige Biotope vieler Insektenarten auszuweiten. In den derzeitig gütigen Fassungen können die einzelnen Bundesländer in den jeweiligen Landesnaturschutzgesetzen die gesetzlich geschützten Biotope im Sinne des § 30 Abs. 2 Satz 2 BNatSchG festlegen (Kann-Regelung). In der geltenden Fassung des Landesnaturschutzgesetzes Schleswig-Holstein zählen Streuobstwiesen nicht zu den gesetzlich geschützten Biotopen. Sofern der aktuelle Gesetzentwurf in endgültiges Recht überführt werden sollte, müssen sämtliche Bundesländer die Regelung der explizit im BNatSchG als gesetzliches Biotope nach § 30 BNatSchG eingestuften Streuobstwiesen in ihre Landesnaturschutzgesetze übernehmen (Muss-Regelung). Somit wären dann auch in Schleswig-Holstein Streuobstwiesen gesetzlich geschützte Biotope.
Von der Keimzelle zum Großprojekt
In den Jahren 2011 und 2012 wurde in der Störniederung bei Kellinghusen ein kleines, vom Kieler Umweltministerium geförderten Pilotprojekt mit dem Titel „Steinkauzfreundlicher Hof “ umgesetzt. Gefördert wurden kleine Baumgruppen im unmittelbaren Umfeld landwirtschaftlicher Gehöfte oder Resthöfe als Lebensraum aufwertende Maßnahmen zugunsten der in dieser Region beheimatete zweitgrößten Steinkauzpopulation. Dieses Pilotprojekt lieferte wertvolle Erkenntnisse für die kommenden NABU-Streuobstwiesenförderprojekte. Im Jahr 2016 startete das erste Streuobstprojekt des NABU Schleswig-Holstein, gesponsert von REWE. Erstmals wurden in der Störniederung größere typische Streuobstwiesenbestände angelegt. 2016 und 2017 wurden insgesamt 229 Bäume auf acht Streuobstwiesenstandorten gepflanzt. Im Oktober 2017 stellte der NABU Schleswig-Holstein seinen Erstantrag für das von der BINGO! – Projektförderung bewilligte und geförderte Projekt „Schleswig-Holstein blüht auf – Neue Streuobstwiesen braucht das Land!“
Zu Beginn des Jahres 2019 ist es gelungen, die Schwartauer Werke als einen weiteren Sponsor und Kooperationspartner für die Streuobstwiesenförderung zu gewinnen. Aufgrund der sehr erfolgreichen Projektentwicklung wurde die Zusammenarbeit mit den Schwartauer Wer-ken für das Jahr 2021 verlängert. Aufgrund des zweiten, bewilligten BINGO-Förderantrags im Herbst 2021 und der längerfristigen Zusammenarbeit mit den Schwartauer Werken stehen auch in Zukunft ausreichend Mittel für die hohe Nachfrage nach Streuobstwiesenförderungen zur Verfügung.
Von der Planung zur Umsetzung
Die Strategie des NABU Schleswig-Holstein im Rahmen der Förderprojekte ist, motivierte und verlässliche Fördernehmer*innen in Planung, Beratung, Umsetzung und Pflege neuer Streuobstwiesen umfassend, nachhaltig und fachgerecht zu unterstützen. Das aktiv von den Interessierten an den NABU herangetragene Förderinteresse stellt einen wichtigen Baustein des Konzepts dar. Als Hauptkriterien für die Eignungsüberprüfung der Flächen sind Lage, Flächengröße und Bodeneignung ausschlaggebend: Zudem werden Aspekte abgeklärt, die für die korrekte Pflanzausführung der Hochstammobstbäume maßgeblich sind. Gefördert werden sowohl Neuanlagen von Streuobstwiesen als auch Ergänzungspflanzungen auf bereits bestehenden Altbaumanlagen. Die Ergänzungspflanzungen verjüngen den in der Regel stark überalterten Altersmix der Streuobstwiesenbestände und tragen in erheblichem Maße dazu bei, einige der zahlreichen im Niedergang begriffenen alten Streuobstwiesen zu erhalten.
Der NABU Schleswig-Holstein fördert ausschließlich alte, regionale und teils vom Aussterben bedrohte Sorten, so dass deren Genpool bewahrt wird. Im Vorfeld der regional für mehrere Fördernehmer*innen stattfindenden Pflanzaktionen übernimmt der NABU die Koordination und Organisation einschließlich der Warenbestellungen und Warenkommissionierungen. Die Fördernehmer*innen können Wunschsorten mitteilen. Sie erhalten detaillierte Pflanzanleitungen und neben den Pflanzempfehlungen im Vorgriff bereits nachhaltige Pflegeempfehlungen. Die jungen Hochstammobstbäume erhalten durch den Projektleiter des NABU Schleswig-Holstein einen fachgerechten Wurzel und Pflanzschnitt. In pandemiefreier Zeit wurde bzw. wird eine Pflanzvorführung angeboten. Der Projektleiter steht für Rückfragen am Pflanztag zur Verfügung. Einige Pflanzungen werden im Laufe des Pflanzaktionstages aufgesucht und ggf. beratend unterstützt. Die Förderteilnehmer*innen übersenden dem Projektleiter nach Abschluss der Pflanzungen einen Pflanzplan und Fotos bezgl. der Umsetzung. Pressetermine finden in pandemiefreier Zeit entweder am Ort der Lagerstätte oder auf weiteren Pflanzstandorten statt. Die Fördernehmer*innen erhalten nach einem Jahr einen Schnittkurs, welcher nach einigen Jahren erneut angeboten werden soll.
Herausragende Ergebnisse
Mit Abschluss der Frühjahrpflanzungen 2021 wird der NABU Schleswig-Holstein insgesamt 3.901 Hochstämme bzw. 39 ha und rund 160 Streuobstwiesen gefördert haben. Dies entspricht einem durchschnittlichen Baumbesatz pro Streuobstwiese von rund 24 Hochstammobstbäumen. Der Hauptanteil der Förderungen entfällt auf den Zeitraum Herbst 2018 bis Frühjahr 2021. Mittlerweile gibt es Fördernachfragen aus sämtlichen Landesteilen. Bereits frühzeitig stelltensich die Kreise Nordfriesland und Schleswig-Flensburg als die räumlichen Schwerpunkte heraus. Eine Erklärung für die höhere Fördernachfrage nördlich des Nordostseekanals sind größere Flächenverfügbarkeiten und vergleichsweise günstige Grundstückspreise insbesondere im Vergleich zum eher nachfrageschwachen Hamburger Speckgürtel. In der Detailbetrachtung überragt deutlich die Fördernachfrage aus Nordfriesland mit 667 Hochstammobstbäumen und 25 Förderungen, gefolgt vom Kreis Schleswig-Flensburg mit 454 Bäumen und 15 Fördernehmer*innen. Dieser Landkreis weist mit rund 30 Hochstämmen pro Streuobstwiese den größten Baumbesatz aller geförderten Kreise auf. Die Vielzahl an Presseberichterstattungen führten zu einer überwältigenden Anzahl neuer Fördernachfragen. Häufig informierten sich Förderinteressierte auch über die eigens durch den NABU Schleswig-Holstein auf seiner Internetseite eingestellten Informationen zum Thema Streuobstwiesen mit entsprechendem Hinweis auf die Fördermöglichkeit. Mittlerweile erreichen den NABU Förderanfragen auch vermehrt über Mund -zu-Mund-Propaganda. Während des Projektzeitraums entwickelten sich lokale Hotspots, etwa auf der Halbinsel Nordstrand, im nordwestlichen Nordfriesland und in Angeln. Auf Gemeindeebene bilden sich ebenfalls Hotspots heraus. Grundsätzlich scheuen einige Fördernehmer*innen keine Kosten und Mühen, indem sie Flächen nur für den Zweck aufkaufen, um auf diesen eine geförderte Streuobstwiese anzulegen. Besonders erfreulich ist, dass in einigen Fällen Ackerflächen (häufig ehemaliger Maisanbau!) in Grünland umgewandelt und Streuobstwiesen angelegt werden. Ein regelmäßig eingeholtes Meinungsbild ergab, dass die Hauptmotivation für die Förderanfrage die fehlenden Informationen bzw. Kenntnisse hinsichtlich der fachgerechten Umsetzung und Pflege sind und nicht etwa vorrangig finanzielle Aspekte. Dieses Meinungsbild erfährt aufgrund des nachhaltigen Eifers hinsichtlich der Umsetzung und Pflege der Bäume und der beinahe hundertprozentigen Schnittkursteilnahme durch die Fördernehmer*innen seine Bestätigung. Förderinteressierte wenden sich bitte an den NABU-Projektleiter (s. Kontakt oben rechts).
FS, 17. Mai 2021