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Jetzt Mitglied werden!Gefährdung und Forderungen zum Schutz
Was die Lebensräume der Ostsee belastet
Die Weltmeere sind in einem miserablen Zustand. Nord- und Ostsee vor unserer Haustür bilden da keine Ausnahme. Rund ein Drittel aller Arten in den deutschen Meeren ist bedroht. Die EU hat sich per Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL) 2008 verpflichtet, für unsere Meere bis Sommer 2020 den so genannten „guten Erhaltungszustand“ herzustellen. Die klägliche Bilanz heute zeigt, dass die Richtlinie ohne beherztes und verbindliches politisches Handeln ein Papiertiger bleibt.
Verschlechterungsfaktoren wie Erwärmung, Versauerung, Überdüngung, Sauerstoffmangel und Schadstoffeinträge wirken sich wechselseitig in der nahezu abgeschlossenen „Badewanne Ostsee“ besonders zeitnah und destruktiv aus. Aufgrund der Gegebenheiten ist das Meer seiner Zeit im negativen Sinne voraus und gilt daher als Modell für andere Meere. Die wichtigsten Wechselwirkungen, die es durch Maßnahmen zu mindern gilt, stellen wir hier vor.
Das Gülleproblem
Mehr als 825.000 Tonnen Stickstoff gelangen jährlich in die Ostsee, das entspricht etwa 44.000 LKW-Ladungen zusätzlicher Nährstoffe. Das so „eutrophierte“ – also mit zu vielen Nährstoffen angereicherte – Wasser bewirkt eine überproportional starke Algenblüte, die im weiteren Zersetzungsprozess am Meeresboden hohe Mengen von Sauerstoff verbraucht. In der Folge entstehen sogenannte „Todeszonen“, abgestorbene Flächen auf dem Meeresgrund, auf denen kein Leben mehr möglich ist. Diese Fläche macht in der Ostsee derzeit etwa ein Sechstel aus, 97 Prozent des Ostseewassers gilt bereits als eutrophiert.
Cyanobakterien („Blaualgen“ genannt) gedeihen mit Phosphor und Stickstoff besonders gut und produzieren auf dem Meeresboden Schwefelwasserstoff, ein starkes Zellgift. Je nachdem, wie stark die Kontamination ausfällt, kann es Jahre dauern, bis das Leben hier zurückkehrt. 2016 haben betroffene Flächen in der Flensburger Förde für toxisch verseuchte Miesmuscheln gesorgt, deren Verzehr untersagt wurde.
Die Folgen des Klimawandesl
Das Brackwassermeer Ostsee erwärmt sich im Zuge des Klimawandels schneller als jedes andere Meer. Zum einen beschleunigt dies negative Prozesse wie die Entwicklung der „Todeszonen“, zum anderen sind kühle Temperaturen für viele Tiere ausschlaggebend bezüglich des Bruterfolges. So setzt eine erfolgreiche Larven entwicklung bei Miesmuscheln kühle winterliche Temperaturen voraus. Der starke Rückgang des Herings, der als ein wichtiger Brotfisch gilt, wird neben der Überfischung auch der Erwärmung zugeschrieben, da seine Eiablage an bestimmt Temperaturen gekoppelt ist. Eine weitere entscheidende Problematik besteht in der Meeresversauerung. Das Meer nimmt CO2 auf, das mit dem Meerwasser zu Kohlensäure umgewandelt wird, die das Wasser allmählich saurer werden lässt. Dies wirkt sich negativ auf die Kalkbildung z. B. von Muscheln und Korallen aus. In der ohnehin angeschlagenen Ostsee entwickeln sich die Folgen des Klimawandels derart schnell, dass vielen Arten keine Zeit zur Anpassung bleibt.
Salz und Sauerstoff
Zu den Klimawandelfolgen zählt die Änderung der Windverhältnisse. Diese haben sich in den vergangenen 30 Jahren eklatant verändert. Von 1880 bis in die 1980er Jahre hinein, soweit die Aufzeichnungen reichen, ist insbesondere durch Winterstürme sechs bis sieben Mal pro Jahrzehnt kaltes Salzwasser aus der Nordsee in die Ostsee geströmt.
So wie ein Gartenteich ohne Sauerstoffzufuhr zum stinkenden Tümpel wird, ist auch die Ostsee dringend auf das sauerstoffreiche Nordsee-Wasser angewiesen. Aktuell sind es nur noch ca. drei Einströme in 10 Jahren, als besonders nachhaltig kann man die Flaute von 2004 bis 2014 bezeichnen.
Ein prominentes Opfer des Mangels ist die für die Fischerei wohl wichtigste Art, der Dorsch. Er laicht im freien Wasser, wo seine Eier im Wasser schweben. Ist der Salzgehalt des Wassers jedoch zu gering, so sinken die Eier auf den Meeresboden ab, wo sie aufgrund von Sauerstoffmangel absterben können.
Forderungen des NABU für einen besseren Schutz der Ostsee
- Gülleproblem: Die im Bund nach langer, quälender Auseinandersetzung endlich beschlossenen Änderungen der Düngeverordnung dürfen nicht mehr verschoben werden. Sie reichen wohl gerade, die horrenden Strafzahlungen an die EU zu verhindern, aber nicht, die Gewässerkontamination zeitnaher in den Griff zu bekommen. Hier fordert der NABU weitere Verschärfungen. Insbesondere Schleswig-Holstein sollte hiermit als Agrarland zwischen den Meeren weiterhin mit gutem Beispiel vorangehen. Ein wichtiger Aspekt, der als Ursache des Dilemmas bearbeitet werden muss, ist die intensive Tierhaltung, die dringend verringert werden muss.
- Plastikmüll und Schadstoffe: Es muss ein Nulleintrag von gefährlichen Stoffen gelten. Neue Stoffe, die z. B. in der Landwirtschaft als Biozide und Pestizide Anwendung finden, müssen grundsätzlich als gefährlich eingestuft werden, bis das Gegenteil bewiesen ist. Der Eintrag jeglicher Schadstoffe muss stärker geahndet werden. Im Meer verklappte Munition muss zeitnah und umweltschonend geborgen werden. Die Notwendigkeit von Unterwassersprengungen muss an strenge Minderungsmaßnahmen geknüpft sein; eine vorhergehende Prüfung der Umweltverträglichkeit muss auch für Vorhaben der Bundeswehr Voraussetzung sein. Zur Eindämmung des Plastiks in den Meeren hat der NABU ein großes Maßnahmenpaket vorgestellt (www.tinyurl.com/plastikflut), das darauf abzielt, gesetzliche Vorgaben zu schaffen, die bei Produktion und Verbrauch beginnen.
- Folgen des Klimawandels: Einsparung, Effizienz und Erneuerbare Energien sind die wichtigsten Strategien, um die Reduzierung unseres Ausstoßes an klimaschädlichen Treibhausgasen zu erreichen. Der NABU setzt sich für einen wirksamen Klimaschutz auf allen Ebenen ein und erarbeitet Vorschläge, um die Treibhausgasemissionen zu reduzieren. An erster Stelle steht hier der zügige Kohleausstieg und die damit verbundene Umstrukturierung des Energiebereichs. Zur Energieeinsparung im heimischen Haushalt finden sich auf der NABUWebsite zahlreiche Tipps (www.tinyurl.com/klimahaushalt).
- Großprojekte wie den Bau der festen Fehmarnbelquerung einstellen, deren Nutzen fragwürdig ist und/oder die mit europäischen Naturschutzzielen nicht vereinbar sind.
- Die Notwendigkeit von Unterwassersprengungen / Explosionen ist an strenge Minderungsmaßnahmen geknüpft; eine vorhergehende Prüfung der Umweltverträglichkeit ist auch für Vorhaben der Bundeswehr Voraussetzung.
- Die Fischerei muss nachhaltig sein. Maßnahmen, die dem Artenschutz entgegenstehen (Überfischung, Stellnetzfischerei in Schweinswalgebieten, Schleppnetze, Muschelfischerei müssen eingeschränkt werden), die Entwicklung alternativer und selektiver Fangtechniken Bedarf der Förderung.
- Lärmvermeidung steht über Lärmminderung. Insbesondere in und an Schutzgebieten sowie in vom Schweinswal besonders frequentierten Regionen sind schallintensive Nutzungen auszuschließen. Eine Lärmschutzstrategie für die Ostsee muss erarbeitet werden.
Sand und Kiesabbau
An Sand und Kies besteht ein hoher Bedarf. Allein 2012 wurden aus europäischen Meeren 93,5 Mio. Kubikmeter Sand gefördert. Offenbar wird auch ostseeweit der Sand in den Meeren von vielen als eine Art Allgemeingut begriffen. So kommen zu legalen Baggerarbeiten am Meeresboden auch noch diejenigen, die illegal ausgeführt werden. So geschehen vor wenigen Monaten in der Flensburger Förde, wo offensichtlich Anträge auf die Verbringung von Sand gar nicht erst gestellt wurden, um einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu entgehen. Der NABU erstattete zeitnah Anzeige, um das Ausmaß der Zerstörung noch etwas einzudämmen.
Zum Opfer gefallen ist dem Bagger eine nach EU-Recht geschützte Seegraswiese. Seegraswiesen sind in der Ostsee stark zurückgegangen. Vor allem die Eutrophierung macht ihnen zu schaffen. Sie sind für das Meer ähnlich wichtig wie Wälder für das Land, gelten – wie auch Miesmuschelbänke - als „Kinderstuben der Meere“ und wichtiger Sauerstoffproduzent.
Zehntausende Arten können hier leben. Die Baggerprozedur überleben sie größtenteils nicht. Desweiteren können sich Strömungsverhältnisse verändern, die sich wiederum auf Muschelbänke auswirken können. Auch die Wassertrübung durch einen Schleier von Feinpartikeln macht der durchpflügten Meeresumwelt Probleme. Dieser zusätzlichen Zerstörung des Lebensraums auf dem Meeresboden stehen eine ganze Reihe von geplanten Großprojekten von Offshore-Windanlagen über den Fehmarnbelttunnel bis hin zu einer Pipeline Nord Stream 2, für die 50km Boden auf 80m Breite allein im Meeresschutzgebiet umgegraben werden. Riffe und Seegraswiesen haben keine Chance, sich auch nur mittelfristig von derart tiefgehenden Eingriffen zu erholen.
Plastikmüll und weitere Schadstoffeinträge
Das Plastikmüllproblem ist glücklicherweise auch im Bewusstsein der Bevölkerung angekommen. Zumindest im Schneckentempo werden Verbesserungen erreicht, die die weitere Plastikzufuhr in unsere Meere drosseln sollen. Derzeit fi nden sich durchschnittlich allein 70 Plastikmüllteile auf 100 Meter deutschen Ostseestrandes.
Klein gescheuert in Nanopartikel entlässt der Plastikeintrag gemeinsam mit weiteren Quellen wie z. B. rostender Altmunition, Unkrautvernichtern, Anti-Fouling, Medikamentenrückständen einen unberechenbaren, krebserregenden, toxischen Cocktail in die Meeresumwelt, der nicht zuletzt von Fischen aufgenommen wird.
Wie wenig sensibel man selbst mit schlimmsten Schadstoffeinträgen bisher umging, zeigt sich am Beispiel der Altlastenentsorgung aus einer ehemaligen Teerpappenfabrik in Schleswig. Jahrzehnte dauerte der Streit um Zuständigkeit. Derweil gelangen bis heute stark krebsfördernde Stoffe in die Schlei, die bereits seit den 1980er Jahren verboten sind.
Jetzt handeln!
Es ist fünf vor, für manches vielleicht bereits fünf nach zwölf. So lassen sich eine ganze Reihe von destruktiv wirkenden Klimawandelfolgen kaum mehr stoppen.
Die in der MSRL genannten Handlungsschwerpunkte treffen zwar in der Analyse den Kern der Probleme, lösen diese aber nicht. Der NABU fordert effiziente Maßnahmen für den Meeresschutz ein, damit das verfehlte Ziel des guten Erhaltungszustandes in der Zukunft eine Chance auf Realisierung erhält. Mit gutem Willen könnte die Politik an den richtigen Stellschrauben in eine zukunftsweisende Richtung drehen.
Nord Stream 2 oder die Feste Fehmarnbeltquerung stehen für Projekte, deren Nutzen fragwürdig ist und die zugleich mit europäischen Naturschutzzielen nicht vereinbar sind. Am Beispiel so genannter Meeresschutzgebiete, in denen alles inklusive Fischerei erlaubt ist, wird klar, dass die bisherigen Maßnahmen die Meeresumwelt nicht retten werden. Nur mit einem grundlegenden Umdenken, das vom politischen Willen getragen ist, die EU-Meeresstrategie konsequent umzusetzen, können wir dem Artensterben in unseren Meeren entgegenwirken. Ein passender Start in ein effizienteres Schutzszenario wäre die Deklaration von mindestens 50 Prozent der deutschen Meeresschutzgebiete als Nullnutzungszonen, in denen Natur regenerieren kann.
DS, akt. 22. Mai 2020