Rothalstaucher - Foto: Frank Derer
NABU fordert naturverträglichere Fangmethoden
Stellnetze: Gefahr für Seevögel und Meeressäugetiere
Die Fischerei in der Nord- und Ostsee wird fast ausschließlich durch die gemeinsame Fischereipolitik (GFP) der EU geregelt. Diese wird derzeit überarbeitet. Der Begriff "Nachhaltigkeit" findet sich wiederholt in den Verordnungstexten. Jedoch ist ihre Umsetzung alles andere als nachhaltig. In Stellnetzen verenden unzählige Schweinswale und Seevögel als unbeabsichtigter Beifang der Fischerei. Die gemeinsame Fischereipolitik steht dabei in erheblichem Widerspruch zur Ausweisung von Meeresschutzgebieten speziell für See- und Wasservögel bzw. Meerssäugetiere im Rahmen des Schutzgebietsnetzes Natura 2000. Eine Neuregelung der Fischerei in den Schutzgebieten ist daher dringend erforderlich. Aber auch außerhalb von Schutzgebieten sind den Beifang mindernde Maßnahmen unumgänglich, damit Kleinwale nicht ganz aus der deutschen Ostsee verschwinden. Der NABU Schleswig-Holstein hat daher zusammen mit der Gesellschaft zur Rettung der Delphine (GRD) und der Gesellschaft zum Schutz der Meeressäugetiere (GSM) das Thema 'Beifang von Meeressäugetieren und Seevögeln in der Ostsee' als einen Schwerpunkt seiner Meeresschutzaktivitäten gewählt.
Beifangsituation in der Deutschen Ostseefischerei
In den vergangenen Jahren hat die Zahl der Totfunde von Schweinswalen an der deutschen Ostseeküste eine dramatische Entwicklung genommen. Durch Netzabdrücke auf der Haut, abgeschnittene Flossen und in einem Fall sogar einen angebundenen Ziegelstein an der "Fluke" eines Schweinswals lässt sich bei über 50 % der Strandfunde Beifang als eindeutige Todesursache feststellen. Der durch die Totfunde allein an der deutschen Ostseeküste dokumentierte Schweinswalbeifang übersteigt die natürliche Vermehrungsrate, so dass von einer weiteren Verringerung der Bestände auszugehen ist. Früher war der Schweinswal ostseeweit verbreitet. Heute kommt er nur noch westlich der Danziger Bucht vor. Der Rückzug begann bereits Ende des 19. Jahrhunderts durch die Jagd auf diese Kleinwale. Später führten Schadstoffbelastung und Beifang der Fischerei zu einem weiteren Rückgang. Schätzungen des Bestandes aus den Jahren 1994 und 2005 geben einen Hinweis darauf, dass sich dieser Trend weiter fortsetzt. Vor allem die Lage der eigenständigen östlichen Population ist dramatisch. Wahrscheinlich besteht sie heute nur noch aus weniger als 600 Tieren und ist damit akut vom Aussterben bedroht. Vor Schleswig-Holsteins Ostseeküste können Tiere aus beiden Populationen vorkommen. Obwohl weder Bestandsgröße noch Beifangzahlen exakt bekannt sind, gehen Wissenschaftler davon aus, dass der östliche Ostsee- Schweinswal eine fischereiliche Sterblichkeit von mehr als zwei Tieren pro Jahr nicht mehr verkraften kann. Es kommen aber mindestens elf Tiere in jedem Jahr um.
Nordsee: Kein effektiver Schutz
In der Nordsee gingen allein dänischen Fischern nach einer Untersuchung von 1992 bis 1994 mindestens 7.000 Schweinswale in die Netze, die für Kabeljau, Steinbutt und Seezunge ausgebracht wurden. Mit weiteren Anrainerstaaten zusammen dürfte die Todesrate in der Nordsee bei über 10.000 Tieren liegen und auf Dauer den Kleinen Tümmler auch hier nicht überleben lassen. Die Sterberate wird hier auf 4 - 6 % der Population geschätzt. Der Wissenschaftsausschuss der IWC (2000) hält eine Quote von 1,7 % in einer Population bereits für bedenklich. Zwar existiert mittlerweile im Rahmen des Kleinwal- Abkommens ASCOBANS (Agreement on the Conservation of Small Cetaceans of the Baltic and North Seas) ein "Recovery Plan" für den Ostsee- Schweinswal ("Jastarnia Plan" von 2002), der z. B. die Umrüstung von Treib- und Stellnetzen auf Langleinen, Fischfallen und -reusen fordert. Die Umsetzung steht jedoch weitgehend aus. Für die Nordsee ist ein entsprechender Plan nicht verabschiedet.
Beifang von Seevögeln
Der Beifang von Seevögeln in Grundstellnetzen und Reusen gibt ebenfalls Anlass zu erheblicher Besorgnis. In der Ostsee wird er auf jährlich über 100.000 Seevögel geschätzt. Dabei ist das Risiko für Fisch fressende Arten wie Alken, Seetaucher und Lappentaucher am höchsten. Auch Meeres- und andere Tauchenten, die an Flachgründen bis zum Meeresboden tauchen und dort Muscheln fressen, sind durch Stellnetze am Meeresgrund stark gefährdet. So werden an der südlichen Ostseeküste vor allem Eis-, Samt- und Trauerenten Opfer von Stellnetzen, in der Beltsee vor allem Eider- und Bergenten. Je nach Art und Intensität der Fischerei kann der Beifang einen erheblichen Teil der überwinternden Vögel betreffen. Bei der Trottellumme sind bis zu 50 % der durch Ringfunde belegten Totfunde Netzopfer. In der südlichen und westlichen Ostsee sind Seetaucher in einer prekären Situation. Die allein vor Usedom jährlich gefangenen Sterntaucher machen 2,4% des vor der gesamten deutschen Küste überwinternden Bestandes aus. Dazu kommen noch die Beifänge anderer Regionen in unbekannter Größenordnung. Somit dürften die Beifangraten einen erheblichen negativen Einfluss auf die Bestände haben. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass in manchen Gebieten die Fischerei mit Stellnetzen gerade dort stattfindet, wo erhebliche Ansammlungen von Vögeln auftreten, etwa über Flachgründen, die Muschel fressenden Tauch- und Meeresenten Nahrung bieten. Früher berichteten Fischer oft selbst über Beifang. Heute gibt es fast keinen gemeldeten Beifang mehr, nur noch Strandfunde von Schweinswalen.
Stellnetzfischerei
Etwa 17 verschiedene Fangtechniken werden in europäischen Gewässern zum Fischfang eingesetzt. Unterschieden wird zwischen aktiven und passiven Methoden: Zu ersteren gehören Schleppnetze und Baumkurren, die hinter den Schiffen hergezogen werden. Passive Methoden sind Treibnetze, Stellnetze, Reusen und Langleinen, in denen sich die Fische verfangen.
Stellnetze werden mit Gewichten fest am Boden verankert. An der oberen Netzkante sind sie mit auffälligen Bojen versehen. Beide Enden des Netzes werden am Meeresboden mit Ankern gesichert. Meist bringt man mehrere Netze in einer Reihe an. Die Netze können eine Gesamtlänge von bis zu 15 Kilometern erreichen. Die Fische verfangen sich mit den Kiemendeckeln im Stellnetz und können sich in der Folge daraus nicht mehr befreien. Meeressäuger und Vögel bleiben ebenfalls im dünnen Gewebe hängen und ertrinken. Mit Stellnetzen sollen vor allem Kabeljau (Dorsch), Hering, Meerforelle sowie Plattfische wie Schollen gefangen werden.
Welche Netze sind für den Beifangtod verantwortlich?
Beifang von Schweinswalen und Seevögeln tritt vor allem in grobmaschigen Grundstellnetzen auf. Mit diesen Netzen werden vor allem Dorsch, Steinbutt und Schollen gefangen. Für Verbraucher stellt sich daher die Frage, ob man weiterhin diese Fischarten verzehren möchte und damit den Beifang in Kauf nimmt. Neben der Maschenweite beeinflussen Wassertiefe, Jahreszeit, räumliche Lage, Tageszeit und Stelldauer der Netze den Beifang. Die kilometerlangen Lachs- Treibnetze um Bornholm, an denen auch deutsche Fischer beteiligt waren, sind mittlerweile verboten. Dennoch ist damit zu rechnen, dass illegal weitergefischt wird. Schon während des schrittweisen Verbotes wurden deutlich mehr Netze registriert als erlaubt. Um das Ausmaß von Beifängen von Vogel- und Meeressäugetieren der einzelnen Fischereiformen genau zu bestimmen, ist eine genaue Statistik des Fischereiaufwandes und der Beifänge erforderlich. Gegen die Datenerhebung sträubten sich bislang sowohl Fischer als auch zuständige Behörden.
Schleswig-Holsteinische Küstenfischereiordnung (Auszug, Version vom 11. November 2009) | |
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Rechtlicher Rahmen Die rechtlichen Bedingungen für die Stellnetzfischerei regelt u.a. die Küstenfischereiordnung KüFO. Es gibt Auflagen bzgl. der Aufstellung in Ufernähe und der ordnungsgemässen Markierung (schwarze und rote Fahne) von Stellnetzen. Die Schleswig-Holsteinische Küstenfischereiordnung KüFO regelt u. a. die Stellnetzfischerei: § 14 Stellnetz- und Reusenfischerei (1) In den Küstengewässern der Ostsee ist in einem Streifen, dessen seewärtige Begrenzung in 200 m Abstand von der Uferlinie verläuft, die Fischerei mit Stellnetzen einschließlich Heringsstellnetzen verboten. Satz 1 gilt in der Flensburger Innenförde (westlich des Längengrades 09° 45, 22'') in einem 100 m breiten Streifen. (2) Das Verbot nach Absatz 1 gilt nicht im Gebiet der Schlei sowie in den Gebieten mit Fischereirechten der Hansestadt Lübeck und der Stadt Neustadt. (...) |
(5) Ausgelegte Stellnetze, Hamen, Reusen und Langleinen sind täglich zu überprüfen; Fänge sind unverzüglich zu entnehmen. Im Tidebereich der Nordsee ausliegende Fanggeräte sind bei jedem Trockenfallen zu überprüfen und die Fänge sind zu entnehmen. Schweinswalschutz In dem (...) Walschutzgebiet der Nordsee innerhalb des Nationalparks Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer ist die Schleppnetzfischerei zum Fang von Fischen, die nicht der unmittelbaren menschlichen Ernährung (Konsumfischerei) dienen, verboten. Ebenfalls verboten ist der Fischfang mit Stellnetzen aller Art innerhalb von drei Seemeilen gemessen von der Basislinie. Außerhalb von drei Seemeilen gemessen von der Basislinie ist der Fischfang mit Stellnetzen, deren gestreckter Abstand zwischen Grundtau und Schwimmerleine 1,30 m und deren Maschenöffnung 150 mm übersteigt, verboten; der gestreckte Abstand wird bei einer vertikalen Maschenreihe gemessen, deren obere und untere Masche an Kopf- und Grundtau befestigt sind; bei Spiegelnetzen gilt die Spiegelmasche. |
Wie kann man Beifang verringern?
Für Seevögel und Meeressäugetiere gibt es keine universell wirkende, technische Lösung an den Netzen, die Beifang für beide Tiergruppen verhindern oder zumindest drastisch verringern kann. Einen sofortigen messbaren Erfolg hätten dagegen eine längst überfällige Reduzierung der stark subventionierten Fischereiflotte und das sofortige Verbot gefährlicher Netze in der Nebenerwerbsfischerei. Schonzeiten und Schongebiete für die Fische sind weitere Erfolg versprechende Maßnahmen. Die Einrichtung stellnetzfreier Zonen setzt genaue Kenntnisse über die räumliche und saisonale Verteilung von Vögeln und Meeressäugetieren voraus. Wichtig ist, dass gehäuft von Vögeln und Meeressäugetieren wie Schweinswalen genutzte Gebiete - abhängig von Wassertiefe, Grundbeschaffenheit, Dichte von Nahrungsorganismen - und Zeiten - Jahres- und Tageszeit - großflächig und über einen langen Zeitraum stellnetzfrei bleiben. Das MELUR hat allerdings im Jahr 2013 eine Änderung der Küstenfischereiverordnung abgelehnt und stattdessen nur eine freiwillige Vereinbarung mit den Fischern getroffen.
Durch Stellnetze bedrohte Meeresvögel
Neue Fischereimethoden einzig dauerhaft erfolgreicher Weg
Bereits heute gibt es Fischfangmethoden, die weder Seevögel noch Schweinswale gefährden müssen. Ein Fischereiverbot in Natura-2000-Gebieten könnte dann entfallen. Der NABU Schleswig-Holstein, die GSM und die GRD haben im Jahr 2010 in ihrer Studie „Strategien zur Vermeidung von Beifang von Seevögeln und Meeressäugetieren in der Ostseefischerei“ entsprechende Vorschläge erarbeitet. Die Relevanz dieser Studie wird auch vom internationalen Kleinwalabkommen ASCOBANS anerkannt.
Eine effektive Beifangreduktion ist durch den Ersatz der grobmaschigen Kiemennetze durch andere Methoden der Fischerei wie Langleinen, Fischfallen oder Jigger-Maschinen zu erreichen. Bei Langleinen ist jedoch darauf zu achten, dass die Köder nicht durch Seevögel aufgenommen werden. Dies lässt sich durch Scheucheinrichtungen beim Ausbringen der Leinen oder deren Abschirmung beim Ablaufen gewährleisten. Auch müssen sehr flache Gebiete und oberflächennahe Zonen gemieden werden.
Fischerei und Beifangrisiko (Koschinski 2008) | ||
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Fischereiart | Beifangrisiko für Vögel | Beifangrisiko für Meeressäugetiere |
Schleppnetze | gering | gering |
Langleinen |
Vor allem beim Ausbringen der Langleinen (v. a. Möwen) Im flachen Wasser ausgelegte Langleinen u.U. für Benthos fressende Arten problematisch. An der Oberfläche ausgelegte Langleinen bleiben tauchenden bzw. sammelnden Arten zugänglich. |
gering |
Treibnetze | v. a. für Fisch fressende Vögel (Seetaucher, Lappentaucher, Säger, Kormorane) sehr hoch | sehr hoch |
Grundstellnetze | Für Fisch fressende Vögel (s. o.) und für Benthos fressende Vögel (Enten) sehr hoch | sehr hoch |
"Geisternetze" | sehr hoch | sehr hoch |
Reusen |
Bügelreusen v. a. für Kormorane problematisch, Kammerreuse für flugfähige Vögel unproblematisch (nach oben offen) |
Bügelreuse für junge Kegelrobben problematisch, Kammerreusen unproblematisch |
Fischfallen | gering | gering, größenabhängig |
Alternativen bereits im Einsatz
In der Ostsee werden beköderte Fischfallen bereits in Schweden eingesetzt. Jiggermaschinen, also automatische Angeln, sind eine vielversprechende umweltverträgliche Alternative zur Stellnetzfischerei. Eine im Jahr 2004 verabschiedete Verordnung der EU (812/2004) zum Einsatz von 'Pingern', die Meeressäugetiere durch Lärm von den Netzen abhalten sollen, läuft dagegen ins Leere: So gilt die Verordnung nicht für die schleswig-holsteinische Ostseeküste und im übrigen Gebiet nur für Kutter über 12 m Länge. An der deutschen Ostseeküste sind damit ganze 35 von über 1.300 Fischkuttern betroffen, obwohl alle die gleichen Netze verwenden.
Trotz der in den Jahren 2005 - 2007 stufenweisen Einführung einer Verpflichtung, in bestimmten Seegebieten Pinger einzusetzen, finden diese Geräte kaum Verwendung. Die Fischereiaufsicht ist erst seit Anfang 2008 in der Lage, den Einsatz von Pingern zu kontrollieren. Der NABU lehnt deren Einsatz zudem ab, da die Schweinswale aus ihren angestammten, teils als Schutzgebiete ausgewiesenen Gebieten vertrieben werden und Pinger nicht auf Seevögel wirken.
Die folgende Tabelle gibt einen zahlenmäßigen Überblick über die im Jahr 1982 im Rahmen einer Untersuchung an Schleswig-Holsteins Ostseeküste nachgewiesenen "Beifängen". Früher wurden von Fischern Stellnetze gerade auch zum Zwecke des Fangs von Enten gestellt. Diese wurden dann an Land ebenfalls verkauft. Heute ist der absichtliche Fang und Verkauf der Beifänge gesetzlich verboten.
Daten: Verluste von Meeresvögeln in Stellnetzen (aus: Kirchhoff, 1982) | ||
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Art | Summe an sechs untersuchten Fischerplätzen / %-Anteil | Hochrechnung der Verluste an der Ostseeküste Schleswig-Holsteins |
Eiderente Somateria mollissima | 1.810 / 64 % | ca. 9.400 |
Trauerente Melanitta nigra | 505 / 18 % | ca. 2.600 |
Reiherente Aythya fuligula | 227 / 8 % | ca. 1.200 |
Eisente Clangula hyemalis | 144 / 5 % | ca. 750 |
Bergente Aythya marila | 59 / 2 % | ca. 300 |
Samtente Melanitta fusca | 38 / 1 % | ca. 200 |
Blessralle Fulica atra | 34 / 1 % | ca. 200 |
Schellente Bucepala clangula | 22 / 1 % | ca. 100 |
Summe | 2.839 | ca. 15.800 |