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NABU zum Ergebnis der schleswig-holsteinischen Biotopkartierung
Anfang Juli 2023 wurde eine Studie italienischer Forscher veröffentlicht, bei der die Ausweisung streng geschützter Naturschutzgebiete in der EU überprüft wurde. Deutschland belegt dabei mit einem Anteil von 0,6 % der Bundesfläche den drittletzten Platz in der EU. Im Dezember letzten Jahres hat sich die Bundesregierung den Zielen der UN-Biodiversitätskonferenz in Montreal bekannt. Doch die aktuelle Biotopkartierung unseres Landes zeigt, wie schlecht es um den Zustand der Natur bestellt ist.
Die Bundesumweltministerin berichtete sogleich, dass Deutschland bereits heute die Ziele, 30 % des Landes unter Schutz zu stellen, davon 10 % streng geschützt, erreichen würde. Doch die Realität entspricht nicht den Ankündigungen: Lediglich 0,6 % der Bundesfläche sind streng geschützt, bspw. in Nationalparken wie dem Wattenmeer oder dem Bayrischen Wald. Damit hinkt Deutschland in der Kategorie der streng geschützten Areale dem Standard hinterher, zu dem sich die Bundesregierung in Montreal verpflichtete.
Die Umsetzung des NATURA 2000 Schutzes, also u.a. der FFH-Richtlinie, wird in Deutschland und in Schleswig-Holstein von wohlklingenden Worten begleitet, die einem Faktencheck nicht standhalten. Die Ziele der schon im Jahr 1993 beschlossenen, jedoch erst 1999 national umgesetzten FFH-Richtlinie werden bisher mit großer Regelmäßigkeit für fast alle geschützten Lebensraumtypen verfehlt. Selbst die Aufstellung der Managementpläne erfolgte schleppend und inhaltlich oberflächlich. Die EU-Kommission hatte daraufhin 2019 Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof wegen der unzureichenden Umsetzung der FFH-Richtlinie verklagt. Die begründete Stellungnahme der Kommission gegenüber dem Gericht liest sich für Schleswig-Holstein wie die Begründung zu einer durchgefallenen Abiturklausur. Die Kommission stellte fest, dass die Erhaltungsziele nicht bindend festgelegt sind und das Land kein Beispiel anführen konnte für ein Schutzgebiet, in dem die Erhaltungsziele quantifiziert, messbar und berichtsfähig sind. Abschließend blieb der Kommission nur die Feststellung, Schleswig-Holstein würde sich zu sehr auf den Zustandserhalt, auch wenn dieser ungünstig sei, konzentrieren.
Ziel verfehlt, NATURA 2000 als wohlklingende Worthülse ohne Konsequenzen
Schleswig-Holstein hat bereits Anfang der 1970er Jahre mit dem Aufkommen ernsthafter Umweltbestrebungen einen gesetzlichen Schutzrahmen für Natur und Landschaft das Landschaftspflegegesetz von 1974 im Parlament verabschiedet. Seit dieser Zeit sind Moore, Sümpfe, Brüche und Heiden gesetzlich geschützte Biotope, die nicht zerstört werden dürfen. Handlungen, die den Verlust des Biotopstatus zur Folge haben, sind seit dieser Zeit verboten. Der gesetzliche Biotopschutz ist seit 2010 bundeseinheitlich auch im Bundesnaturschutzgesetz verankert, ist Bestandteil des aktuell geltenden Landesnaturschutzgesetzes und in der Landesverordnung über gesetzlich geschützte Biotope geregelt.
Um den Zustand der Natur in Schleswig-Holstein festzustellen, führte das Land seit 2014 eine neue, landesweite Biotopkartierung durch. Im Januar 2023 legte nunmehr das Landesamt für Umwelt LfU den Ergebnisbericht vor, der einem Offenbarungseid gleichkommt. Fazit: Eigentlich klare Regelungen in verbindlichen Gesetzen reichen offensichtlich nicht aus, um in der Landschaft eine Wirkung zu erzielen. Schwer erträglich sind einige Aussagen in diesem Bericht, denn die Veröffentlichung des LfU liest sich wie eine Ansammlung von Verlusten. Die pflegeabhängigen, jedoch überdurchschnittlich artenreichen Biotope wie artenreiches Feuchtgrünland, Heiden, Trockenrasen, Magerrasen, Binnendünen und Niedermoore sind auf kleinste Areale zurückgedrängt. Vielfach sind die kartierten Flächengrößen mittlerweile unterhalb einer Flächenausdehnung von 1 ha.
Versuche, das Drama sprachlich zu umschiffen, wirken hilflos. Zu den Knicks wird ausgeführt, man können von einer ‚Trendwende‘ sprechen, da sich die Knicklänge in Schleswig-Holstein partiell erhöht. Damit einher geht aber keine qualitative Aussage über den gestutzten, geschlegelten und übermäßig eutrophierten Zustand der Knicks. Ein reiner Längenzuwachs ist sicher begrüßenswert und dabei v. a. auf Kompensationsverpflichtungen ausgelöst durch Eingriffe zurückzuführen, ändert jedoch nichts an der schlechten Qualität vieler Bestandsknicks in der Landschaft.
Sumpfdottrerblume ade
Artenreiches Feuchtgrünland ging in der Summe um 87% verloren. Eine seiner charakteristischen Pflanzenarten ist die Sumpfdotterblume, die wie kaum eine andere Pflanze mit unserem Land der Wiesen und Niederungen in Verbindung gebracht werden konnte. Ihre Blüte ist eine Identifikation mit Heimat. Ende der 1980er Jahre galten 10.553 ha als Sumpfdotterblumenkulisse – gesetzlich geschützt nach dem Landschaftspflegegesetz. Zu dieser Zeit gab es in Schleswig-Holstein im April noch weithin leuchtende Wiesen mit Hunderten und tausenden Sumpfdotterblumen. Zwar wurden für 873 ha Extensivierungsverträge unterzeichnet, doch dies reichte nicht aus, um die Sumpfdotterblumenwiesen zu schützen. Heute existieren nahezu ausschließlich in einigen wenigen Schutzgebieten noch artenreiche Reste. Das Landesamt muss aktuell einräumen, dass lediglich 51 ha, dazu noch verteilt auf 80 Einzelflächen, vorhanden sind. Diese Zahl bedeutet einen Rückgang von 99,5 % für diese Pflanzengesellschaften in 35 Jahren – im Zeitraum von 1987 bis 2022!
Trotz ihres gesetzlichen Schutzes sind große Teile der artenreichen Biotope in Nadelforste, Intensivgrünland und Ackerflächen umgewandelt worden. Verantwortlich für den Rückgang von artenreichen und gesetzlich geschützten Biotopen ist auch die Zunahme der Versiegelung durch Siedlungsbau und Verkehrsflächen. Auch hier zeigt sich, dass in Rahmen der Abwägungen in Planungsprozesses viel zu oft zu Lasten der Natur abgewogen wird und für die entstehenden Verluste keine qualitativ und quantitativ gleichwertige Kompensation erfolgt.
Binnendünen, immerhin seit 1982 gesetzlich geschützt, wurden seit über 40 Jahren faktisch nicht geschützt. Halbwegs naturnahe, artenreiche Vegetation beherbergen nur noch 450 ha der ursprünglich rund 3.500 ha. 2.923 ha wurden aufgeforstet und 30 ha sogar in Intensivgrünland umgewandelt – klare, nicht verfolgte Rechtsverstöße.
Trauerspiel Heideflächen
Ein einziges Trauerspiel ist aber auch der Umgang mit Heideflächen. Der Naturschutz beklagt bereits seit Jahrzehnten ein mangelndes Engagement des behördlichen Naturschutzes in der Heidepflege. Es fehlen Konzepte, Gelder und der Wille. In Heidenaturschutzgebieten mussten auch mit Naturschutzbehörden immer wieder Diskussionen geführt werden, ob Maßnahmen zur Offenhaltung und Regeneration 'denn wirklich nötig' seien. Maßnahmen wurden entsprechend der Anforderungen an Heidebiotope viel zu wenig ergriffen, die Heidepflege sorgte nicht für Verjüngung, Ausbreitung und Standortdiversifizierung. Das Aussterben von Heidearten ist deshalb die logische Konsequenz auch in Schutzgebieten. Jetzt dokumentiert der Bericht des LfU das Versagen: von den im Jahr 1990 immerhin noch rd. 0,5 % der Landesfläche umfassenden Heiden existieren heute noch 0,057 %. Diese Angabe lässt sich leichter verstehen, wenn sie die Flächengröße benennt: Im Jahr 1990 lag die Fläche der Heiden in Schleswig-Holstein bei 7.900 ha. Davon wurden im Rahmen der Biotopkartierung 900 ha wiedergefunden: Ein Rückgang von 82 % oder 7.000 ha.
An dieser notwendigen Klarheit mangelt es in dem Bericht vom LfU des Öfteren. Bedenkt man die Ausgangssituation im historischen Schleswig-Holstein mit 17 % Landesanteil von Heideflächen, so existieren heute nur noch 0,34 % der früheren Heideflächen. Die Darstellung dieser katastrophalen Entwicklung bleibt aber auch mit der Flächenangabe immer noch zu abstrakt, da ein Bezug zu deren Qualität fehlt. Da hilft ein Blick Biotopflächengrößen: Die typischen Sand- und Feuchtheiden weisen eine mittlere Flächengröße von nur noch 0,5 ha auf. Überhaupt konnten nur 211 ha typisch ausgeprägter Heide kartiert werde, jedoch 447 ha vergraste oder verbuschte, und damit degenerierte, Flächen. Diesen Umstand gilt es in der Betrachtung der Biotoptypenkartierung eben auch zu beachten: Die reine Angabe einer Flächengröße eines Biotoptyps reicht für eine Beurteilung, ob diese Fläche für anspruchsvolle Arten des Lebensraumes wirklich zur Verfügung steht, nicht aus. Die verschwindend geringen Flächenanteile von „typischen“ Heiden, also Flächen in einem adäquaten Pflegezustand mit junger oder regenerierender Heide und Offenbodenanteilen, sind so klein, dass schon aufgrund der geringen Flächengrößen charakteristische Arten aussterben: Um zu überleben benötigen typische Tagfalter, Nachtfalter und Laufkäfer der Heiden Mindestflächengrößen, die im zweistelligen Hektar-Bereich liegen.
Gute Voraussetzungen für biologischen Klimaschutz? - Moore weitgehend degeneriert
Einer Selbstkasteiung gleich kommt das Lesen der Auswertung der Moor-, und hier speziell der Hochmoorkartierung. Es sei daran erinnert, dass Moore seit 1974 einem gesetzlichen Schutz unterliegen. Das LfU ermittelt rund 30.000 ha zur Hochmoorbodenkulisse, wobei nur noch 12.471,2 ha „Hochmoorbiotope“ existieren (= 42 % von 30.000). Im Umkehrschluss bedeutet dies, 17.528,8 ha (= 58 %) Hochmoorbodenfläche werden so genutzt, dass sie als Hochmoor nicht wiederzuerkennen sind. Vor dem Hintergrund aktueller Klimaschutzdiskussionen, dem landeseigenen Programm zum biologischen Klimaschutz, dem Bundes-Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz (ANK) ist die Entwässerung und der intensiven Nutzung von mehr als der Hälfte aller Hochmoorböden ein deutliches Zeichen dafür, dass das Erreichen der Klimaschutzziele aus heutiger Sicht erst weit in der Zukunft realistisch erscheint. Dabei weicht der Bericht hinsichtlich Nachvollziehbarkeit und Transparenz in einzelnen Kapiteln in den Größenangaben ab. Die Biotopflächen auf Hochmoorboden werden nur noch mit 9.306 ha angegeben, in den 12.471 ha verbergen sich auch allgemein Moorstandorte. Bezogen auf die Hochmoorbodenkulisse entspricht dies einem noch weitreichenderen Rückgang an Hochmoorbiotopen. Der (geringe) derzeitige Anstieg von Regenerationsflächen aufgrund von Wiedervernässung kann über den katastrophalen Zustand der Moore nicht hinwegtäuschen. Bis diese wieder Torf bilden, also eine von Torfmoosen geprägte, torfbildende Vegetation neu entwickelt haben, können viele Jahrzehnte vergehen. In dieser Zeit muss dann auch noch die Klimabilanz über Niederschläge und Verdunstung positiv sein, also genügend Wasser in den Mooren verbleiben. Davon kann in Schleswig-Holstein keine Rede sein, da es kaum lenkende Maßnahmen nach Wiedervernässung gibt und aufkommende Gehölze mittelfristig über ihre Blattoberflächenverdunstung wieder zur oberflächlichen Austrocknung beitragen. Es ist also keineswegs gesichert, dass Moore nach ihrer Wiedervernässung wieder in ein aktives Moorwachstum eintreten.
Die Biodiversität der Hochmoore spielt in dieser Betrachtung ohnehin nur eine untergeordnete Rolle, denn die aus Artenschutzsicht besonders wertvollen Flächen, naturnahe Bult-Schlenkenkomplexe und Moorheiden, nehmen in Schleswig-Holstein zusammen nur noch 685,3 ha ein. Nur noch 351 ha gelten aktuell als naturnahes Hochmoor im Bult-Schlenkenstadium. Hochmoortypische Insekten bewohnen zum weit überwiegenden Teil diese naturnahen Hochmoorstadien. Es ist bei dieser zu kleinen Flächenkulisse nicht überraschend, dass so viele Moorarten vom Aussterben bedroht sind. Dazu tragen auch in der Vergangenheit falsch verstandene Vorstellungen über die Wirkung von Wiedervernässungen bei, die nur in wenigen Einzelfällen offen-sonnige, stabile Hochmoorstadien zur Entwicklung bringt, allzu oft aber eine an eutrophe Bedingungen angepasste Vegetation aufweisen oder verbuschen.
Allein die Tatsache, dass 50 Jahre nach dem ersten Landschaftspflegegesetz rund 2.100 ha nun degenerierte Hochmoorflächen mit trockenen Pfeifengrasstadien und fast 5.000 ha trockener Moorbirkenwald existieren, von denen auch noch bemerkenswert große Anteile innerhalb von Schutzgebieten liegen, ist ein Armutszeugnis schleswig-holsteinischer Naturschutzpolitik. Bis heute ist es nicht gelungen ein gemeinsames Verständnis in der Gesellschaft für die Vernässung und für den Wasserrückhalt in den Hochmooren zu entwickeln. Umgekehrt ist es so, dass die Umweltverwaltung trotz Schutzgebietsverordnungen davor zurückschrecken, Duldungsverfügungen auszusprechen, die eine Tolerierung der Wiedervernässung durchsetzen.
Letzte Hoffnung: Biodiversitätsstrategie
Es bleibt zu hoffen, dass mit der Biodiversitätsstrategie des Landes nun auch hier das Ruder endlich umgelegt wird – die dringende Notwendigkeit dazu besteht, wenn nicht auch noch die kläglichen Reste dem endgültigen Untergang zustreben sollen!
TB, 9. August 2023