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Unsichtbar, aber schädlich für Umwelt und Natur
Toxische Mikroplastikpartikel finden sich heute in beängstigender Anzahl weltweit in Böden, Gewässern und in der Luft. Sie stecken überall in Flora und Fauna unterhalb der arktischen Eisschicht, im Gemüse auf jedem Acker und in jedem Menschen – sogar bereits bevor er das Licht der Welt überhaupt erblickt hat. Die Landwirtschaftsbehörde der Vereinten Nationen (FAO) hält die Plastikverschmutzung in landwirtschaftlichen Böden sowie in den Meeren seit Jahren für eine Bedrohung der Ernährungssicherheit und der menschlichen Gesundheit. Zugleich nimmt die Mehrheit der Bevölkerung solche Studien und Berichte mit erstaunlicher Gelassenheit zur Kenntnis – oder auch einfach gar nicht.
Klimakrise und Naturkrise finden aktuell immerhin langsam Eingang in das Denken der Menschen, meist jedoch nur nach unmittelbarer eigener Betroff enheit durch Extremwetterereignisse, die durch öffentliche Gelder kaum noch zu kompensieren sind oder das Fehlen einst beliebter Fische, die sukzessive von der Speisekarte verschwinden. Die konkrete Bedrohung unserer Gesundheit durch winzigste Mikroplastikpartikel, dem unsichtbaren Nanoplastik, erscheint den Menschen dagegen off enbar noch zu diffus, als dass sie dafür auf die Straße gehen würden.
Die hauptsächlichste Quelle ist nach Untersuchungen des Fraunhofer-Instituts UMSICHT der Abrieb von Autoreifen und Straßenbelägen, der durch den täglichen Verkehr entsteht. Durch Regen oder Wind gelangen die Partikel in Böden und Gewässer. Ein weiteres signifikantes Problem ist die Verwendung von Kunststoffen in der Landwirtschaft, etwa Folien, Verpackungsmaterialien oder Düngemitteln, denen Kunststoffe zugesetzt wurden. Für den Agrarbereich braucht es dringend eine bundesweite Plastik-Strategie. Aus Landwirtschaft und Gartenbau landen jährlich 13.256 Tonnen Kunststoff -Emissionen unwiderruflich in den Böden. Dünge- oder Saatkapseln werden direkt eingetragen, Anderes gelangt z. B. durch Verwehungen oder nachlässig gelagerten Müll in die Erde.
Das Alfred Wegener Institut (AWI) zeigte in zahlreichen Studien, dass sich Plastikpartikel weit über ihre ursprünglichen Quellen hinaus verbreiten, und zwar global. In der Arktis fand man Plastikpartikel aus aller Welt, die neben der Verschmutzung und Kontamination von Ökosystemen zusätzlich die Eisschmelze beschleunigen. Selbst im Nebel entlegener Hochgebirge fanden Forschende der japanischen Waseda-Universität eine Vielzahl zellschädigender und hormonell wirkender Partikel. Jedes Gewässer im globalen Wasserkreislauf ist in der Lage, die Plastikteilchen in alle Himmelsrichtungen zu schicken.
Nanopartikel dringen in Blut und Zellen
Allein über die Atmung und das Trinken von Wasser nimmt der Körper eine Vielzahl von Plastikpartikeln auf, die innerhalb von weniger als einer Stunde im Hirn nachgewiesen werden können, wie eine Tierversuchsstudie zeigte. In den USA bestätigte eine Studie, was lange vermutet wurde: Nanoplastik trägt im Hirn zur Entstehung von Parkinson und anderer neurologischer Krankheiten bei, was den Anstieg dieser Krankheiten erklären könnte. Auch vor anderen Organen machen die zellzerstörenden und hormonell schädigenden Partikel nicht halt. Eine Langzeitstudie der Uni Hawaii wies sie sogar in den Plazentas von Föten und Neugeborenen nach. Weitere Studien stellen den Zusammenhang mit Entzündungen in Darm und Leber her sowie die Entstehung
von Krebs. De facto ist der Mensch durch seinen ungebremsten Plastikkonsum aktiv dabei, sich langfristig selbst zu vergiften.
Die erschreckenden Fakten liegen auf dem Tisch, an bereits jetzt greifbaren Stellschrauben wird jedoch noch kaum gedreht – und wenn, dann nur halbherzig: So gibt es zwar ein Verbot von Mikroplastik in Kosmetik, das jedoch flüssiges Nanoplastik ausspart, oder das Verbot von Einweggeschirr, das von Herstellern und Supermärkten schlicht mit dem Aufdruck „mehrfach verwendbar“ unterlaufen wird. Die bislang von Steuergeldern bestrittene Plastik-Steuer sollte eigentlich ab diesem Jahr auf die Erzeuger übertragen werden, was im Januar jedoch von der Bundesregierung still und leise um ein Jahr verschoben wurde. Zu erwarten ist, dass die Kosten ohnehin durch höhere Preise auf die Verbraucher*innen umgelegt werden.
Deutscher Müll im Negativ-Ranking
Wie auch in der Klimadiskussion ist es keineswegs angebracht, mit dem Finger auf andere zu zeigen, denn der Beitrag Deutschlands am globalen Müllberg ist ebenfalls unverhältnismäßig groß. Pro Kopf liegen wir beim Verbrauch an Verpackungsmüll in der EU weit über dem Durchschnitt – nur die Iren verbrauchen noch mehr. Wird das absolute Müllaufkommen betrachtet, liegt Deutschland innerhalb der EU sogar auf Platz eins mit insgesamt 19,7 Millionen Tonnen im Jahr 2021 und damit auch weltweit auf einem vorderen Platz.
2022 exportierte die Bundesrepublik ca. 734.000 Tonnen Plastikabfälle. Diese gingen viele Jahre vorrangig nach China und, nachdem sich dort die Grenzen schlossen, nach Südostasien. Auch dort wurde inzwischen der Import erschwert, so dass nun ein großer Teil des deutschen Abfalls in der Türkei landet. Dort findet sich – wie auch z. B. in Malaysia – der Müll aus Deutschland u.a. auf wilden Deponien wieder.
Kunststoff e in der Landwirtschaft
Eines der größten Probleme ist der Kunststoff eintrag auf den Feldern. Hierzu gibt es bislang keine Strategie des Bundeslandwirtschaft sministeriums – welches nicht zuletzt auch für die Ernährungssicherheit verantwortlich zeichnet.
Die Partikel, die z. B. durch Klärschlamm, zerfallene Mulchfolien, Kunststoffnetze oder fliegenden Müll vom Straßenrand eingetragen werden, ändern die physikalischen Eigenschaften des Bodens, wie dessen Porosität und Wasserspeicherfähigkeit. Bodenmikroorganismen werden beeinträchtigt, Regenwürmer zeigen Verhaltensänderungen, die für Kompostierung zuständigen Springschwänze gehen ein. Nanoplastik dringt in Ackerpflanzen ein und wird Teil der Nahrungskette. Noch direkter geht es mit Styroporkügelchen, die sich im Handel in der Erde von Kräutertöpfen wiederfinden.
Der NABU fordert eine Gesamtstrategie zur ökologisch verträglichen Nutzung von Kunststoff en in Landwirtschaft und Gartenbau. Hier sind innovative Ansätze gefragt, die sowohl die Effizienz der Produktion als auch den Schutz der Umwelt berücksichtigen. Nicht jeder Plastikverzicht in der Landwirtschaft ist zwangsläufig nachhaltig, etwa in Bezug auf den Wasserverbrauch. Daher müssen die Kunststoffe dort, wo ihr Einsatz sinnvoll ist, durch nachweislich abbaubare Alternativen ersetzt werden. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass selbst als kompostier- und abbaubar deklarierte Bio-Kunststoffe das Material teils lediglich in toxische Nanopartikel zerlegen, was z. B. sogar für einige aus Stärke gefertigte Produkte gilt.
Gleichzeitig müssen politische Entscheidungsträger*innen Maßnahmen ergreifen, um den Eintrag von Mikroplastik in landwirtschaftliche Systeme zu minimieren und strenge Vorschriften für die Verwendung und Entsorgung von Kunststoffen in der Landwirtschaft einzuführen.
Plastik-Politik in Schleswig-Holstein
Im Koalitionsvertrag des Landes werden einige Maßnahmen zum Plastikthema genannt. Der Bereich Landwirtschaft fehlt dort jedoch! Ein Schwerpunkt liegt im Bereich Meeresmüll. Hier wurde z. B. eine Initiative zur Bergung von Geisternetzen auf den Weg gebracht. Eine Untersuchung in Zusammenarbeit mit dem AWI soll klären, wie sich der Mikroplastik-Eintrag in die Binnen- und Küstengewässer verringern lässt und welche sinnvollen Maßnahmen sich dadurch im Umgang mit Ab- sowie Niederschlagswasser ergeben. Die Studie läuft bis 2026 und so ist zu hoffen, dass man in dieser Zeit nicht untätig bleibt.
Eine so genannte vierte Reinigungsstufe, wie sie in den Klärwerken in NRW und BaWü bereits vorgeschrieben ist, filtert den größten Teil des Mikroplastiks aus. Schleswig-Holstein ist hier immerhin auf dem Weg. Eine baldige Umsetzung ist wünschenswert.
Zur Plastikvermeidung gehören viele kleine notwendige Maßnahmen, die am Ende zu einem Ganzen werden. Die Möglichkeit, dass Kund*innen an den Wurst- und Käsetheken des Einzelhandels unkompliziert ein mitgebrachtes Gefäß befüllen lassen können, hängt in SH zum Beispiel von der Auff assung des jeweiligen Kreisgesundheitsamtes ab. Hier muss eine Vereinheitlichung angestrebt werden. Eine öffentliche Förderung von Kunstrasenplätzen mit Plastikgranulat muss grundsätzlich ausgeschlossen werden.
Dass auch einzelne Städte viel bewegen können zeigt das Beispiel Freiburg. Dort hat sich die Stadt dem größten Emittenten gewidmet, dem Reifenabrieb. Die dortige Bundesstraße, die zuvor übermäßigen Mikroplastikeintrag in den Fluss Dreisam verursachte, wurde weitläufig mit Regenwasser-Reinigungsanlagen ausgerüstet.
Umfassender Bewusstseinswandel erforderlich
Insgesamt wirft die Plastikkrise grundsätzlich Fragen nach der Nachhaltigkeit gegenwärtiger Konsum- und Produktionsweisen auf. Das multifaktorielle Problem erfordert koordinierte Anstrengungen auf globaler Ebene bis in den einzelnen Haushalt hinein. Neben der generellen Reduzierung von Plastik ist eine umfassende Aufklärungsarbeit in der Gesamtbevölkerung vom Kindergartenkind an notwendig, um Reflexion und Verhaltensänderungen zu fördern. Vorbildhaft praktiziert dies etwa der Kreis Plön mit den Natur-, Umwelt- und Abfallberatungsstellen, das Bildungszentrum für Natur,Umwelt und ländliche Räume (BNUR) sowie das Kompetenzzentrum für Nachhaltigkeit und Vergabe.
Als Fazit muss man feststellen, dass in Schleswig-Holstein eine effiziente Gesamtstrategie fehlt, die alle notwendigen Handlungsfelder berücksichtigt, Maßnahmenpläne erstellt sowie landesweit Initiativen vernetzt.
Dst, 19.01.2024