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Notwendiges, neues Aktionsfeld des Naturschutzes
Leben in ewiger Dunkelheit, ständiger Kälte und unter enormem Druck ist unvorstellbar, und selbst kurze Exkursionen dorthin lassen uns erschaudern. Doch wer mit dem Tauchboot in die Tiefsee, das Abyssal, hinabtaucht, betritt ein einzigartiges Ökosystem ohne jegliche Temperaturänderungen und mehr als vierhundertfachem Umgebungsdruck verglichen mit der Meeresoberfläche. Diese Umweltbedingungen sind vermutlich seit vielen Jahrmillionen unverändert und haben den Tieren dort die Gelegenheit gegeben, ihre Physiologie anzupassen.
Von den notwendigen Veränderungen im Körper unter so ungeheuren Drücken, etwa bei der Reizleitung im Nervensystem, weiß die Wissenschaft bisher nur wenig – von der Ökologie dieser Arten ganz zu schweigen. Der lebensnotwendige Sauerstoff in unserer Atemluft zum Beispiel wird schon in 80 Metern Tiefe für Taucher*innen giftig, weil das Gas unter dem Druck anders in unserem Körper reagiert als an der Oberfläche. Ihre Anpassungen an extreme Umweltbedingungen machen Tiefseetiere aus physiologischer und ökologischer Sicht für uns zu ‚Außerirdischen’, über die wir bisher kaum etwas wissen - und in noch ungeahnter Weise werden profitieren können, wenn wir sie nicht vorher ausrotten.
Unser blauer Planet ist zu knapp drei Vierteln mit Wasser bedeckt. In den küstennahen Teilen der Weltmeere unterliegt die Nutzung den jeweiligen Küstenstaaten. Technisch wird dieser Streifen entlang der jeweiligen Küste als Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) bezeichnet. In den 1960er Jahren wurde er zunächst von einzelnen Staaten von ursprünglich drei auf 200 Seemeilen (etwa 370 km) ausgedehnt, was u.a. mit der durchschnittlichen Breite des Kontinentalsockels begründet wurde.
Diesen Streifen dürfen fremde Schiffe zwar durchfahren, können dort aber nur mit vorheriger Genehmigung wirtschaften, wie z.B. fischen oder Öl fördern. Insbesondere Inselstaaten können so bei vergleichsweise kleiner Landfläche riesige Seegebiete beanspruchen. Kiribatis Inselatolle im tropischen Pazifik beispielsweise bieten nur etwa 800 km2 Platz (entsprechend der Fläche Hamburgs mit ca. 100.000 Einwohnern), haben aber eine AWZ von über 3,5 Mio km2, entsprechend zehnmal der Fläche Deutschlands.
Der küstenferne Teil der Weltmeere hingegen gehört niemandem und war früher ein rechtsfreier Raum. Diese ‘Hohe See’ bedeckt etwa die Hälfte unseres Planeten, und von ihrer Tiefsee – so sagt man – wissen wir weniger als von der Rückseite des Mondes. Inzwischen wissen wir, dass die Tiefsee keineswegs das leblose Gebiet ist, für welches sie früher gehalten wurde. Ganz im Gegenteil: Die Artenvielfalt ist hoch und weitgehend unbekannt, denn geschätzte 90% der Arten sind noch nicht einmal wissenschaftlich beschrieben.
Kurze Rückblende ins Jahr 1982
Nach jahrzehntelangen Verhandlungen hatte sich die Weltgemeinschaft auf eine neue Konvention für ein internationales Meeresgesetz geeinigt. Diese UN Convention for the Law of the Sea (UNCLOS) wurde in Montego Bay auf Jamaika verabschiedet und zum Beitritt ausgelegt. Bis heute sind 167 Staaten und die Europäische Union beigetreten und haben somit die Gültigkeit des Seerechtsübereinkommens anerkannt – nicht jedoch die Vereinigten Staaten von Amerika, Kolumbien und einige kleinere Staaten. Doch warum hatten sich die Vereinten Nationen überhaupt in diesen Prozess eingeschaltet? Letztlich aus zwei Gründen:
- In den vorangegangenen Jahrzehnten der öffentlichen Diskussion über ein internationales Meeresgesetz hatte der maltesische Botschafter Arvid Pardo (1914-1999) das Konzept eines Weltmenschheitserbes (Common Heritage of Mankind) aufgebracht, welches in diesem Zusammenhang sinngemäß besagt, dass der Meeresboden der Weltmeere nicht mehr niemandem, sondern nun allen Menschen gehört (UNCLOS Art. 136).
- Da kein Staat einen Rechtsanspruch auf die Hohe See hat, aber dennoch für alle verbindliche Regeln geschaffen werden sollten, konnte nur eine übergeordnete Organisation wie die Vereinten Nationen den Prozess voranbringen.
Da das neue Meeresgesetz von so enormer Tragweite war und viele Individualinteressen betroffen wurden, bedurfte es auch nach 1982 weiterer 12 Jahre intensive Verhandlungen, bis das ‘Law of the Sea’ endlich 1994 in Kraft trat. In seinen 17 Teilen reguliert es Nutzungen der Weltmeere, wie z.B. Transitverkehr, Bergbau, Umweltschutz, Meeresforschung und Zusammenarbeit bzw. Seegerichtsbarkeit.
Unter anderem enthält das Seerechtsübereinkommen auch ein gesondertes Abkommen zum Schutz und zur Verwaltung wandernder Fischarten. Manche menschlichen Aktivitäten auf den Weltmeeren werden darüber hinaus von anderen Körperschaften reguliert: IMO für Schifffahrt, FAO für Fischerei, IWC für Walfang, ICPC für Seekabelverlegung usw. Für den Bergbau (Teil XI von UNCLOS) musste allerdings 1994 erst ein Zusatzabkommen geschlossen werden.
Die Weltmeere gehören uns allen
Die zentrale Idee eines Weltmenschheitserbes (heute auch Common Heritage of Humanity genannt) mag zwar vielen von uns sympathisch sein, doch ihre genaue Bedeutung ist keineswegs unumstritten. Für manche beinhaltet der Begriff des Erbes auch eine Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen (wie auch Arvid Pardo es vorgesehen hatte), wohingegen sogar versierte Juristen es lediglich für eine Beschreibung des status quo halten (z.B. M.W. Lodge, ISA-Generalsekretär, am 21. März 2017 in Berlin), also für ein (ausbeutbares) Geschenk der Natur ohne weitergehende Verpflichtungen.
Doch selbst wenn der Gedanke des Bewahrens für zukünftige Generationen nicht von allen geteilt wird, so ist man sich doch wenigstens einig, dass auch die ärmsten Staaten an den Reichtümern des Meeresbodens teilhaben sollen. Dazu sollen nicht nur alle Profite aus dem Bergbau mit den Entwicklungsländern geteilt werden, sondern auch wissenschaftliche Erkenntnisse und technisches Knowhow von den Industriestaaten an die Entwicklungsländer weitergegeben werden (UNCLOS Art. 140). Gleichzeitig stellen Teil XI und das Zusatzabkommen von 1994 auch klar, dass der Reichtum der Tiefsee (und somit das Weltmenschheitserbe) nicht nur aus den mineralischen Erzvorkommen, sondern auch aus der belebten Umwelt besteht, die es zu schützen gilt (UNCLOS Art. 145). Die Tiefseetiere werden nicht um ihrer selbst willen geschützt, sondern um zukünftigen Generationen der Menschen z.B. erfolgreiches ‘bio-prospecting’ zu ermöglichen: Es wird erwartet, dass in dem Genom der Tiefseetiere ungeahnte Schätze schlummern, vielleicht sogar Heilmittel gegen unsere schlimmsten Krankheiten.
Tiefseebergbau – wie, wo und durch wen?
Mit dem Seerechtsübereinkommen wurden auch der Seegerichtshof in Hamburg und die Meeresbodenbehörde (International Seabed Authority, ISA) zur Regulierung des Tiefseebergbaus mit einem Sekretariat in Jamaika geschaffen. Um den Bergbau in der Tiefsee jenseits nationaler Rechtsprechung (d.h. außerhalb der AWZ) zu regulieren, verwaltet das Sekretariat u.a. alle angemeldeten Erkundungsverfahren.
Um es gleich vorwegzunehmen: Es gibt bisher keinen kommerziellen Tiefseebergbau auf der Erde, aber es gibt einige gute Gründe, sich darauf vorzubereiten – auch aus der Sicht des Naturschutzes. Zwischen 2001 und 2018 wurden bisher 29 Erkundungsverträge mit sogenannten Kontraktoren für drei verschiedene Minerale abgeschlossen:
Zwischen März 2001 und Juli 2011 wurden neun Verträge für den Abbau von Manganknollen, hauptsächlich im tropischen Pazifik in der sogenannten Clarion-Clipperton Fracture Zone (CCFZ) abgeschlossen, u.a. auch der erste deutsche Vertrag mit der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover. Bis Mai 2017 folgten acht weitere Knollen-Verträge. Die kartoffelartigen Manganknollen wachsen über mehrere Millionen Jahre in Tiefen von 4-6 km und enthalten neben Mangan auch die Metalle Kupfer, Kobalt und Nickel sowie Spuren von sogenannten Seltenen Erden (das sind die chemischen Elemente Scandium, Yttrium und 15 Lanthanoide), Metalle von großer Bedeutung u.a. in der Medizin- und Kommunikationstechnologie, der Energieerzeugung und -speicherung sowie in der Militärtechnik.
Im November 2011 wurde dann der erste Erkundungsvertrag für Massivsulfide abgeschlossen. Ihm folgten bis zum Februar 2018 sechs weitere Verträge für dieses Mineral entlang des Mittelatlantischen Rückens und im Indischen Ozean (darunter auch der zweite deutsche Vertrag). Massivsulfide werden dort abgelagert, wo entlang der Kanten tektonischer Platten sogenannte ‘smoker’ in 1-2 km Tiefe heißes Wasser mit darin gelösten Metallen aus tieferen Gesteinsschichten ausstoßen. Das ausgestoßene Wasser ist über 350° C heiß und hat einen pH-Wert von 2-3, ist also vielmehr eine überhitzte Säure, die hervorragend Metallionen aus dem Gestein lösen kann.
Zwischen Januar 2014 und März 2018 wurden außerdem auch fünf Verträge zum Abbau von Kobaltkrusten geschlossen (meist im NW-Pazifik), welche sich über Jahrmillionen hauptsächlich auf unterseeischen Bergen teils in nur 1 km Wassertiefe ablagerten. Aufgrund der geringeren Wassertiefe und des Gehaltes an Edelmetallen erscheint der Abbau von Sulfiden und Krusten z. Z. etwas wahrscheinlicher, weil wirtschaftlich erfolgversprechender.
Warum ist die Erkundung wichtig?
Jede Explorationslizenz muss von der ISA befürwortet werden und kostet den Kontraktoren eine halbe Million US-Dollar Antragsgebühr. Im Falle einer Genehmigung (bisher wurden alle Anträge genehmigt), hat der Kontraktor genau 15 Jahre Zeit, um einerseits die lokale Verfügbarkeit der Ressourcen zu kartieren, und um andererseits eine sogenannte ‚Baseline’ des Arten- und Individuen-Inventars seines Claims vor Beginn des Abbaus zu erstellen. Nach Ablauf der 15 Jahre bzw. nach Abschluss der Exploration soll der Kontraktor einen Abbauantrag stellen oder alternativ das Claimgebiet an die Meeresbodenbehörde zurückgeben mit allen bis dahin gesammelten Daten oder – nur aushilfsweise – eine Verlängerung der Exploration für weitere fünf Jahre beantragen.
Die Staatengemeinschaft und jeder einzelne Kontraktor haben eine hohe Verantwortung, denn gemäß Artikel 145 des Seerechtsübereinkommens zum Erhalt der Meeresumwelt und zur Schadensvermeidung an Pflanzen und Tieren der Meere sind jegliche Verschmutzung und nachteilige Folgen menschlicher Tiefseeaktivitäten zu vermeiden sowie alle natürlichen Ressourcen zu bewahren. Zur Erstellung der ‚Baseline’ hat die ISA einen Katalog von 100 Umweltforschungsaufgaben erstellt, welche die Kontraktoren während der Explorationsphase (Erkundung) abarbeiten sollen. Versäumnisse bei der Erstellung der ‚Baseline’ erschweren eine spätere Umweltverträglichkeitsprüfung (EIA Environmental Impact Assessment), um mögliche Umweltschäden durch einen Vorher-Nachher-Vergleich (BACI-Design) quantifizieren zu können.
Wie soll der Schutz der Tiefsee trotzdem gewährleistet werden?
Bisher gilt das erfolgreiche Überstehen eines EIA die Voraussetzung für die Erteilung einer Schürflizenz, doch werden die Umweltauflagen im Rahmen des mit Hochdruck erarbeiteten Mining Codes (exploitation regulations oder Ausbeutungsregularien) vermutlich stark verändert, so dass bisher völlig unklar ist, wie das EIA aussehen wird und welche Konsequenzen sie haben kann. Im Rahmen der laufenden Verhandlungen bemüht sich die deutsche Delegation um eine Stärkung des Umweltschutzes, doch scheint die Mehrzahl der Mitgliedsstaaten eher von schnellen finanziellen Erträgen zu träumen. Ähnliches gilt auch für die Überwachung der Tätigkeiten eines jeden Kontraktors schon während der Erkundungsphase. Neben der direkten Überwachung der Kontraktoren sollen regionale Umweltmanagementpläne (sogenannte REMPs) das zweite Standbein des Tiefsee-Umweltschutzes darstellen.
Diese Pläne, von denen bisher nur einer existiert, können auch Hochsee-Schutzgebiete (Areas of Particular Environmental Interest, APEIs) festlegen, die vom Bergbau ausgenommen werden. Jedoch können diese Pläne – und mit ihnen auch die Schutzgebiete – regelmäßig überarbeitet werden. Als bisher letzten Beitrag zum Umweltschutz (und zu ihrem eigenen EIA) soll jeder Kontraktor im eigenen Claimgebiet mindestens zwei Referenzgebiete ausweisen, eine Impact Reference Zone und eine Preservation Reference Zone, wobei letztere als unbeschadetes Vergleichsgebiet für das EIA fungieren soll und somit zum de facto-Schutzgebiet würde. Doch fehlen auch hierfür noch genaue Instruktionen, so dass APEIs und Referenzgebiete schon oft als “paper parks” bezeichnet wurden – also als Feigenblätter, die nur auf dem Papier existieren. Und in der Tat scheinen manche der Autoren des neuen Mining Codes Umweltauflagen eher als unnötiges Hindernis anzusehen.
Hier ist die deutsche Delegation, die aus Mitarbeitern des Bundeswirtschaftsministeriums und des Bundesumweltministeriums gebildet wird, gefordert, darauf zu achten, dass die vergleichsweise hohen Umweltanforderungen Deutschlands und der EU auch Eingang finden in den neuen Mining Code, denn schließlich ist das Seerechtsübereinkommen eines der ganz wenigen Gesetzestexte, in denen der Vorsorgeansatz (precautionary approach) verbindlich vorgeschrieben ist, damit auch unsere Kinder und Kindeskinder noch eine intakte Tiefsee vorfinden.
SB 28. September 2019