Neue Methoden der Munitionsbeseitigung in Nord- und Ostsee
Ergebnisse des Symposiums am 19. Oktober 2007 in Kiel
Im Munitionsversenkungsgebiet Kolberger Heide vor Heidkate / Kieler Außenförde wurden an zwei Stellen insgesamt 130 Großsprengkörper (Torpedosprengköpfe, Grundminen, Ankertauminen) gefunden. 33 sind bereits vom Kampfmittelräumdienst gesprengt worden. Ein Teil der Sprengkörper enthält wahrscheinlich hochbrisante Schießwolle 39, doch liegen dazu keine Einzelanalysen vor. In der Kolberger Heide wurden nach alten Unterlagen u. a. 8.000 Torpedo-Sprengköpfe und 10.000 Seeminen versenkt. Der Verbleib dieser Munition ist unklar. Möglicherweise wurden Teile der Munition später nach dem Krieg und anlässlich der Ausrichtung der Olympischen Spiele 1972 in Kiel beseitigt. Im Gebiet der Kolberger Heide wurde Baggergut verklappt. Darunter kann sich weitere Munition befinden. Es gibt offizielle, urkundliche Hinweise auf die Verklappung chemischer Kampfstoffmunition vor Kiel. Eine umfassende technische Erkundung und historische Aufarbeitung alter Quellen ist dringend erforderlich, um mehr Informationen über die Lagerstätte zu bekommen. Dies gilt für den gesamten Ostseebereich, wo vergleichbare Untersuchungen wie an der niedersächsischen Küste bislang fehlen. Nach Erfahrungen an anderen Orten kann nicht ausgeschlossen werden, dass einige der entdeckten Großkampfmittel bezündert sind, auch wenn der Nachweis dafür bislang fehlt.
Die geplante Verlegung der Schifffahrtsstraße erfordert eine Beseitigung der Munitionsaltlasten, da die Munition eine Gefährdung für Menschen darstellen kann. Nicht auszuschließen ist bislang eine Gefährdung der Natur durch freigesetzte Sprengstoffe und deren Abbauprodukte. Das Umweltministerium MLUR in Kiel hält auf der Basis von Sediment- und Wasserproben außerhalb des Versenkungsgebietes eine Gefährdung für ausgeschlossen. Toxikologen fordern dagegen eine umfassende Untersuchung und ein Monitoring bezüglich des Anreicherungspotentials der Stoffe in der Nahrungskette (z. B. in Miesmuscheln) und im Sediment. Der vom MLUR als Nachweisgrenze von TNT und dessen Abbauprodukten angegebene Wert lässt sich übereinstimmend um den Faktor 1.000 senken.
Die bei Sprengungen entstehende Druckwelle und der hohe Schalldruck können höhere Organismen wie Meeressäugetiere und Fische verletzen oder töten. In einem Radius von vier Kilometern ist eine Sprengung für Schweinswale tödlich. Hörschäden können noch in 30 km Entfernung auftreten. Dieser Sachverhalt wird vom Innenministerium bestätigt und durch eine eigene Abschätzungen zur tödlichen Wirkung auf Taucher und Badende belegt.
Zum Ausspülen der Munition aus dem Sprengkörper und zur Beseitigung von Zündern können vor Ort mittels Wasserstrahlschneidetechnik ferngesteuert Löcher in die Munition gebohrt werden. Die Technik ist ausgereift. Gestapelte Munition kann mit Hilfe von Robotik heute ferngesteuert in eine für die Beseitigung günstige Position gebracht und / oder von einem Unterwasserfahrzeug eingesammelt werden. Dazu müssen keine Taucher eingesetzt werden, d.h. Menschenleben werden beim Einsatz von Robotik nicht gefährdet.
Die Vereisung von Altmunition erleichtert deren Bergung, insbesondere bei stark verrotteten Hüllen. Denkbar ist ein Transport vereister Munition an eine Stelle, an der sie anschließend gefahrlos beseitigt wird.
Sollten Sprengungen unabdingbar notwendig sein, können - ggf. doppelte - Blasenvorhänge den Schalldruck und die Druckwelle mindern. Der Einsatz ist technisch möglich. Probleme mit "Verschlickung" der Düsen sind wegen des Designs nicht zu erwarten. Die erforderliche Druckluft kann zur Verfügung gestellt werden. Wegen der vergleichsweise geringen Kosten fällt auch ein Verlust des Ausblasrings nach der Sprengung nicht ins Gewicht. Die Effektivität bzgl. der Druckminderung ist jedoch mit geeigneten Messungen zu untersuchen. Aufgrund der Erkenntnisse aus Unterwasserrammarbeiten, bei denen eine Schallminderung um 15-20 dB erzielt werden konnte, ist diese Technik vielversprechend. Eine vergleichbare Schallreduktion bei Sprengungen hätte eine Verkleinerung des Gefahrenradius auf etwa 1/10 zur Folge. Eine visuelle und akustische Überwachung des Gefahrenbereichs sowie eine Vergrämung von Schweinswalen aus dieser Zone wäre damit eher möglich. Ein Blasenvorhang verhindert dabei nicht den Eintrag von Schadstoffen aus der unvollständigen Verbrennung des Sprengstoffs in das Meer.
Da in europäischen Küstengewässern wie weltweit große Mengen Altmunition vorhanden sind, ist es an der Zeit, ein ungefährliches, weitgehend von der Saison unabhängiges, unschädliches, Emissionen vollständig vermeidendes und effizientes Verfahren zur Beseitigung von Altmunition zu entwickeln. Die auf dem Symposium vorgestellten Verfahren können situationsabhängig in Kombination miteinander sowohl den sicherheitstechnischen wie umweltrelevanten Erfordernissen gerecht werden. Weitere Innovationen "made in Germany" können Arbeitsplätze schaffen, da in diesem Problemfeld ein international großer Markt besteht. Der bestehende Forschungs- und Entwicklungsbedarf ist finanziell abzusichern.
Das Amt für Katastrophenschutz sagt verbindlich zu, alle Alternativvorschläge sorgfältig zu prüfen. Bis zum Abschluss der Prüfung werden keinen weiteren Sprengungen erfolgen. Die neuen Methoden werden von einem Gremium, dessen Zusammensetzung noch unbekannt ist, seitens des Amtes für Katastrophenschutz geprüft. Laut Amt für Katastrophenschutz bestehen keine finanziellen Hinderungsgründe für die Anwendung neuer Methoden, falls diese den Schutz von Menschen und Umwelt verbessern und sich in der Praxis als anwendbar erweisen.