Nationalparkhaus 'Wattwurm' im Meldorfer Speicherkoog - NABU / Daniel Achenbach
Ein Jahr im Speicherkoog
Als Bundesfreiwilliger im Einsatz


Wie sehr so ein Jahr im Speicherkoog prägt, stelle ich immer mehr fest, wenn ich mich hier zuhause mit meinen Freunden unterhalte. Dieser Tage war ich an der Ruhr-Universität Bochum, um mich einzuschreiben. Auf dem Campus angelangt, musste ich erst noch das richtige Gebäude finden. Hier und dort standen ein paar Bäume und mein Kumpel klärte mich gerade über sein Studium auf, als ich etwas an einem Baum hochhuschen sah.
Ich konnte mein Glück gar nicht richtig fassen. Ungläubig und stolz teilte ich es zu laut mit: „Gartenbaumläufer! Eine neue Art!“ Stille. Ich deutete mit meinem Zeigefinger auf die Stelle. Mein Ausruf war wohl etwas lauter als gewollt und das Gesicht meines Kumpels war von Unverständnis geprägt. Ich hatte das Gefühl, dass manche Leute in der Nähe mich anblickten und dann erst wieder allmählich ihre Gespräche aufgriffen.
Ähnliches erlebte ich, als ich im Spanien-Urlaub mehr Augen für die Vogelwelt als für die eigentlich so schöne Landschaft hatte. So konnte ich allerdings Schlangenadler, Bienenfresser und Wiedehopf beobachten. Und ich denke nicht, dass diese Begeisterung in den nächsten Urlauben so rapide abnimmt, dass ich lieber am Strand liege, als die Natur zu genießen.
Wenn ich so zurückblicke, erwische ich mich manchmal, wie ich mit dem Kopf nicke und dabei anfange zu träumen. Besonders gern denke ich dabei an die Stürme zurück. Dann, wenn man der Natur ausgesetzt war. Aber auch die einsamen Abende im Herbst und Winter im NABU Nationalparkhaus ‚Wattwurm‘ hatten ein ganz besonderes Flair. Dann nämlich, wenn man merkt, dass man im Umkreis von acht Kilometern wahrscheinlich der einzige Mensch ist. Dann kann man in so eine unfassbar tolle Stille eintauchen, aus der man am liebsten gar nicht mehr rauskommen möchte.
Um mein Empfinden möglichst authentisch darzulegen, erinnere ich mich nun an eine Wattwanderung, die ich in meinen letzten Wochen des BFD gehalten habe. Natürlich stellt man sich zu Beginn der Wanderung vor, nennt sein Alter und sagt, wo man herkommt. In Kurzform: Daniel Achenbach, 19, Ruhrgebiet - genauer: Hattingen. Zur damaligen Führung kam bloß eine Familie, was die ganze Führung sehr viel persönlicher gemacht hat. „Wie? Und Sie wohnen dort?“, fragte der Vater.
„Ja“, strahlte ich. „Dann muss das ja eine riesige Umstellung für Sie gewesen sein, oder? Wenn man sonst doch nur Rauch und Schornsteine kennt“, fügte der Vater mit einem Au-genzwinkern hinzu. „Aber wissen Sie“, antwortete ich, „genau das macht es ja aus. Im Ruhrgebiet kann man 10 Minuten geradeaus fahren, war dabei in 5 verschiedenen Städten und hat’s nicht gemerkt. Hier ist es aber so, wenn man bei schlechtem Wetter mit dem Fahrrad fährt, dass man sich über jedes Haus freut, das man sieht. Wenn man nämlich weiß, dass man stattdessen soviel Natur um sich herum hat, ist man glücklich“. Wir lachten und ich setzte die Führung fort. Schon da merkte ich, dass das wohl einer der Momente sein könnte, die ich vermissen werde.
Und so ist es auch. Über Silvester werde ich für zwei Tage zurückkehren. Zurück in den Norden, zurück in den Wattwurm! Seit ich meinen BFD Mitte August beendet habe, hatte ich noch nicht die Gelegenheit, ‚meinen‘ Speicherkoog zu besuchen. Und ich frage mich jetzt, was sich wohl bei mir im Kopf abspielen wird, wenn ich aus Meldorf herausfahre, links abbiege und dann der Hafenstraße folge. Praktisch an jeder Ecke hängen Erinnerungen. Sicherlich werde ich an die Amphibienwanderung zurückdenken, bei der wir bis nachts um zwei Uhr die Kröten und Frösche retteten. Aber um sie retten zu können, mussten wir erstmal wissen, wo sie überhaupt vermehrt anzufinden sind und wohin sie wollten. Ich werde mich daran zurückerinnern, wie der Wecker um 4:30 Uhr klingelte und man schlaftrunken mit dem Kanu auf dem Kronenloch das einmalige Privileg hatte, die Brutvogelkartierung durchzuführen. Und immer dann, wenn man sich gefragt hat, warum man das Ganze eigentlich macht und, ob man nicht lieber schlafen könnte, war da ein ganz besonderer Moment. Zum Beispiel ein glühender Sonnenaufgang oder die erste Sichtung von Küken.
Jetzt gerade, wenn ich meine Eindrücke aufs Papier bringe, schaue ich mit ganz viel Dankbarkeit auf diese Zeit zurück. Und mit Stolz. Trotzdem fällt es mir schwer, einzelne schöne Momente hervorzuheben, damit ich Ihnen und euch diese berichten kann. Es gab einfach zu viele. Trotzdem, und das ist auch der Grund, warum ich mit ein bisschen Stolz auf das Jahr zurückblicke, hat es mit mir etwas gemacht. Nicht alles war immer einfach und kunterbunt. Aber an den Aufgaben bin ich gewachsen und ich habe sie immer irgendwie bewältigt.
Abschließend möchte ich eine kleine Anekdote erzählen, die ich, wenn ich nicht selbst dabei gewesen wäre, als zu kitschig für die Wahrheit befunden hätte. Es war das Abschlußseminar auf Helgoland im Juni. Den ganzen Tag über waren wir unterwegs gewesen. Dementsprechend müde waren wir abends auch, so dass wir eher die Ruhe suchten. So saß ich mit dreißig Freiwilligen im Kreis und es machte sich eine bedrückte Stimmung breit. Jeder dachte an den bevorstehenden Abschied von der Station. Es war mittlerweile dunkel. Der Wind hatte sich gelegt, aber trotzdem war es kalt, weil der Himmel sehr klar über uns stand. Da packte ein Mädchen gegenüber von mir ihre Gitarre aus und stimmte ein ruhiges Lied mit fröhlicher Melodie und traurigem Text an. Wir sangen alle mit. Ich schaute dabei in den Himmel, sang mit und ließ dabei das Jahr Revue passieren. Es war ein besonderer Moment. Und dann am Ende des Lieds blitzte der Himmel kurz auf. Dutzende Augenpaare verfolgten den Lichtschweif über uns. Eine Sternschnuppe. „Wow - was für ein magischer Moment!“
DB 17. März 2019