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Interview von Frau Dr. Gabriele Kleb in der Zeitschrift "Reiten und Züchten"


Frau Dr. Gabriele Kleb - Zeitschrift 'Reiten und Züchten':
Wir befinden uns hier am Rande des Speicherkoogs vor Meldorf, wo seit 2004 neben Schafen und Rindern auch Koniks leben. Beginnen wir mit dem Speicherkoog. Herr Denker, Sie sind der Naturschutzbeauftragte des Kreises Dithmarschen und wissen daher, was viele Münsterländer nicht wissen: Was ist ein Speicherkoog und was findet hier statt?
Walter Denker - Kreisnaturschutzbeauftragter Dithmarschen:
Ein Koog ist eine Meeresbucht, die eingedeicht und dann zu Land wurde. Hier an dieser Stelle hat man das aus zwei Gründen gemacht: Nach den schweren Sturmfluten 1956 und 1962 wollte man die Deiche verstärken und gleichzeitig auch die Deichlinie der Dithmarscher Bucht verkürzen. Der zweite Grund für die Entstehung dieses Gebietes war die Ableitung und Speicherung von Wasser aus dem Binnenland. Die Überflutungen, die bei starken Regenfällen dort in den Niederungen regelmäßig zu beobachten waren, finden jetzt hier vorne im Koog, in den Speicherbecken der Miele und anderer Gewässer statt. Und somit hat der Koog seinen Namen von der Funktion, die ganz wichtig ist für diesen Küstenraum.
Reiten und Züchten:
Inzwischen ist aus dem neu gewonnenen Land ein Naturschutzgebiet geworden, in dessen weiter Landschaft sich viele Pflanzen und Vogelarten angesiedelt haben. Darüber hinaus wird das Gebiet von Schafen, frei lebenden Rindern und jetzt auch noch von Pferden bevölkert. Herr Ludwichowski, Sie sind Geschäftsführer des NABU Schleswig-Holstein, dem die Koniks gehören. Welches Konzept liegt dieser Gestaltung zu Grunde, und – das interessiert unsere Leser natürlich besonders – welche Rolle spielen die Pferde dabei?
Ingo Ludwichowski - NABU Schleswig-Holstein:
Wir haben im Speicherkoog zwei Naturschutzgebiete, das Kronenloch und das Wöhrdener Loch, vor dem wir hier stehen. Im Kronenloch lassen wir Natur Natur sein. Dort wächst und lebt, was leben will. Für das Wöhrdener Loch gilt maßgeblich ein anderes Ziel: der Küsten- und Wiesenvogelschutz. Wiesenvögel haben spezielle Ansprüche an ihren Lebensraum. Sie brauchen eine offene Landschaft. Natürlich könnte man die Landschaft durch Mähen oder Umbrechen des Bodens offen halten, aber im Interesse einer möglichst naturnahen Entwicklung haben wir uns für die Beweidung der Flächen entschieden. Dafür werden traditionell Schafe eingesetzt, die aber gegen Büsche und Bäume letztlich nicht ankommen. Deshalb sind jetzt zusätzlich die Konikpferde im Einsatz.
Reiten und Züchten:
Die Koniks sind also nicht Hauptzweck, sondern Mittel zum Zweck, damit bestimmte Vogelarten hier Brutstätten finden können. Ist das richtig?
Ingo Ludwichowski:
Die Konikpferde sind die Managementmaßnahme, die wir ergreifen. Sie haben die Aufgabe, sich um bestimmte Pflanzen zu kümmern, insbesondere um den Gebüsch- und Schilfbewuchs, und ergänzen als Fresser die Schafe.
Reiten und Züchten:
Herr Stecher, Sie betreuen für die Untere Naturschutzbehörde den Speicherkoog und begleiten das Konikprojekt von Anfang an. Als Pferdefreund und Fotograf beobachten Sie die Herde auch in Ihrer Freizeit. Was können Sie erzählen?
Reimer Stecher - Untere Naturschutzbehörde Kreis Dithmarschen:
Im Oktober 2004 kamen acht Stuten und zwei Hengste aus dem Nationalpark Lauwersmeer in Holland hier an. Die Pferde haben sich hier sofort frei und wohl gefühlt. Fast alle Stuten fohlen jährlich ab, so dass inzwischen 38 Tiere hier leben. Aus der Ursprungsherde haben sich vier Gruppen entwickelt, eine Hauptherde von 21 Tieren, eine kleinere Herde mit 13 Tieren sowie zwei Junghengstgruppen. mit jeweils 2 Tieren. Im Sommer halten die Pferde das Reet kurz, im Winter werden seine Rhizome aus dem Boden ausgegraben und begierig gefressen.
Reiten und Züchten:
Was genau ist ein Rhizom, Wurzel der Pflanze?
Reimer Stecher:
Rhizome sind unterirdische Triebe, die der Verbreitung der Pflanze dienen. Das geht bei Reet sehr schnell. Aus einem Samenkorn, das aufgeht, bildet sich ein Rhizomkreis, dessen Durchmesser im Jahr 5-10 Meter zunimmt. Infolgedessen sind Rhizome sehr schwer zu bekämpfen. Zur Zeit läuft hier im Gebiet eine große Entkusselungsmaßnahme ...
Reiten und Züchten:
Entkusselung?
Reimer Stecher:
Das Wort hat sich in der Naturschutzpraxis gebildet und meint das Mähen und Entfernen unerwünschten Weidebewuchses, also das mechanische Zurückdrängen der sogenannten Sukzession. Die Maßnahme wird unterstützt von den Weidetieren, die dann die Jungtriebe wieder fressen. Die Pferde beteiligen sich – das war für alle überraschend – auch sehr effektiv an der Bekämpfung der Rhizome des Reets, die sie sich für die Wintermonate als Futterquelle erschlossen haben: Im nasseren Bereich trampeln sie den Boden gezielt weich, bis sie die energiereichen Rhizome aus der Erde ziehen und fressen können. Auf diese Weise gelangen große Flächen wieder in den Rohbodenzustand und können von nahrhaften Gräsern und Kräutern besiedelt werden. So gründlich arbeiten nicht einmal Wildschweine.
Reiten und Züchten:
Da sind also die Koniks im Wöhrdener Loch am richtigen Platz. Allerdings vermehren sich die Koniks bisher genauso fleißig wie sie fressen, ohne dass der Lebensraum mitwächst. Gibt es schon Planungen für eine langfristige Balance zwischen dem Naturschutzziel und den artspezifischen Bedürfnissen der grasenden ‚Landschaftspfleger’?
Walter Denker:
Die Frage ist ja, wo die Grenzen sind. Diese Frage werden wir demnächst diskutieren. Maßstab dafür ist die Entwicklung des Gebietes. Wie entwickelt sich die Vegetation vor dem Hintergrund der Ziele? Es geht hier nicht nur um ein einfaches Naturschutzgebiet. Das NSG Wöhrdener Loch ist auch Teil des Europäischen Schutzgebietsnetzes Natura 2000. Und für jedes der Teilgebiete in Europa gibt es Erhaltungsziele, so wie es Herr Ludwichowski für das Wöhrdener Loch ja bereits definiert hat.
Reiten und Züchten:
Bitte nennen Sie uns zur Veranschaulichung doch einige der Vogelarten, die mittels einer feuchten offenen Grünlandschaft hier geschützt werden sollen.
Walter Denker:
Da ist zum einen die Gruppe der Watvögel, etwa Kiebitz, Rotschenkel, Bekassine, Uferschnepfe, und zum andern die Gruppe der Singvögel. Ich nenne die Feldlerche als Beispiel für einen Bodenbrüter. Dann kommen Seevögel wie die Küsten- und die Flussseeschwalbe, aber auch Möwenarten wie die Lachmöwe beispielsweise. Alle diese Arten sind angewiesen auf eine weite offene Landschaft. Darum haben wir, dem Vorbild der Holländer folgend, Koniks als Landschaftpfleger eingesetzt.
Reiten und Züchten:
Offenbar mit Erfolg. Herr Ludwichowski, hat der NABU als Eigentümer der Pferde schon Pläne für den Fall, dass es zu viele werden?
Ingo Ludwichowski:
Also ich denke, wir sind von „zu vielen Pferden“ noch weit entfernt. Wer draußen über die Vegetation schaut, der sieht, dass es noch genug zu fressen gibt für die Tiere.
Reiten und Züchten:
Und wie steht es mit dem Verhalten der Weidetiere untereinander?
Reimer Stecher:
Es hat ein paar Friktionen gegeben hier mit zwei Junggesellenhengsten, die sich an einem Schaf geübt haben. Möglicherweise aus Langeweile, denn diese Junghengste lassen sich nicht mehr in die großen Herdenverbände integrieren.
Reiten und Züchten:
In den letzten Jahren sind 28 Pferde geboren worden. Wieviele davon sind Hengste?
Ingo Ludwichowski:
Das Geschlechterverhältnis hält sich ungefähr die Waage.
Reiten und Züchten:
Herr Stecher, welche Folgen hatte und hat dies auf die Gruppendynamik in der Herde?
Reimer Stecher:
Wir haben es jetzt erlebt, dass einer der Junghengste dem alten Leithengst 12 Tiere abspenstig gemacht hat. Bereits seit Jahresbeginn hatte er sich mit dem Leithengst erbitterte Kämpfe geliefert. Das sah schon ziemlich dramatisch aus. Teilweise konnte er anschließend kaum einen Schritt vor den anderen setzen. Aber nach einer Woche ist das in der Regel ausgestanden. Dann bewegt sich das Tier wieder normal. Einmal hat er allerdings im Gefecht eine Bissverletzung hinnehmen müssen, die eine große Wunde verursacht hat. Das sah erschreckend aus, ist aber erstaunlicherweise in wenigen Wochen komplett verheilt. Die Natur hilft sich, und wir sollten nur dann eingreifen, wenn das wirklich zwingend erforderlich ist. Da der Junghengst jetzt Leithengst der zweiten Herde war, hätte sich die ganze Sozialstruktur wieder neu ordnen müssen, wenn wir ihn dort herausgenommen hätten. Deswegen haben wir ihn bei seiner Herde belassen, natürlich unter regelmäßiger Beobachtung.
Reiten und Züchten:
Gibt es Erkenntnisse darüber, wie viele Junghengste das Projekt tolerieren kann, ohne dass es zu ernsten Problemen kommt?
Walter Denker:
Wir müssen natürlich darauf achten, dass das Miteinander hier funktioniert. Die Schäfer sind von Anfang an hier gewesen und machen ihre Aufgabe ja auch ordentlich. Die Schafe sind auch als Landschaftspfleger in dem Gebiet tätig, ebenso wie eine kleine Herde von Galloway- Rindern, die auch den Schäfern gehört. Wir müssen mit dieser neuen Konstellation nachhaltige Erfahrungen erst noch machen. Soweit ich weiß, werden nirgendwo Schafe, Rinder und Koniks zusammen einem begrenzten Gebiet gehalten. Natürlich wollen wir nicht, dass die Schafe hier zum Spielball renitenter Junghengste werden. Dafür hätte wohl auch niemand Verständnis. Wenn sich herausstellen sollte, dass Junghengste die Schafe treiben oder durch den Zaun jagen, müssten wir im Sinne des Gebietsmanagements natürlich geeignete Maßnahmen ergreifen und eine vernünftige Lösung finden.
Reiten und Züchten:
In Dülmen werden die männlichen Jährlinge regelmäßig herausgefangen und versteigert. In dem Alter sind auch wild aufgewachsene Pferde noch gut an menschliche Anforderungen zu gewöhnen. Ist es denkbar, dass der NABU diesem Beispiel eines Tages folgt?
Ingo Ludwichowski:
Unser Ziel war ja zunächst, eine Herde aufzubauen. Wenn die Kapazitätsgrenze erreicht ist, und sie wird irgendwann erreicht sein, dann wird man mit Sicherheit dazu kommen, dass man Tiere herausfängt und diese dann eventuell weiterverkauft. Sei es an andere Naturschutzprojekte – es gibt Nachfragen aus Niedersachsen – sei es aber auch an Privathalter. Das wird sich dann ergeben. Alles, was dem Gebiet nützt und den Koniks nicht schadet, ist möglich. Es gibt ja einen Arbeitskreis zu diesem Projekt, dem auch Veterinäre angehören, so dass die fachwissenschaftliche Perspektive in die Entscheidung einfließen wird.
Reiten und Züchten:
Vielen Dank an Sie alle für dieses offene und informative Gespräch! Wir wünschen dem Projekt weiterhin viel Erfolg, Engagement und alles Gute für die Zukunft. Und den Koniks wünschen wir die richtige Idee, damit sie alle – und sei es als Wallach - als Landschaftspfleger auf Lebenszeit in dieser schönen offenen Landschaft bleiben dürfen.
Bestandsentwicklung Konik-Pferde im Speicherkoog (Jahre 2005-2009 Bestand 31. Dezember d. J.; ab 2010 bis 2012 Bestand 1. September d. J., ab 2013 1. November des Jahres) | ||
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2005 | 2006 | 2007 |
2 Hengste | 3 Hengste | 7 Hengste |
8 Stuten | 14 Stuten | 16 Stuten |
7 Fohlen (1 Hengst, 6 Stuten) | 6 Fohlen (4 Hengste, 2 Stuten) | 7 Fohlen (5 Hengste, 2 Stuten) |
Alttiere aus den Niederlanden erhalten. |
2008 | 2009 | 2010 |
12 Hengste | 9 Hengste | 5 Hengste |
18 Stuten | 21 Stuten | 18 Stuten |
9 Fohlen (3 Hengste, 6 Stuten) | 14 Fohlen (7 Hengste / 7 Stuten) | 10 Fohlen |
6 Hengste und 1 Stute entnommen | 5 Hengste, 9 Stuten und 2 Hengstfohlen im Winter entnommen |
2011 | 2012 | 2013 |
18 Hengste | 24 Hengste | 30 Hengste |
20 Stuten | 23 Stuten | 34 Stuten |
9 Fohlen | 8 Fohlen | 17 Fohlen |
1 Stute entnommen |
Koniks als Landschaftspfleger
Fressen für das Gebietsmanagement
Abhängig von den örtlichen Begebenheiten kann das Offenhalten einer Landschaft durch „große Graser“ dem Schutzziel – etwa dem Erhalt des Lebensraumes von Wiesenvögeln oder der Gestaltung einer „halboffenen Weidelandschaft“ – förderlich sein.
Damit begonnen, derartige Projekte im großen Stil umzusetzen, wurde in den Niederlanden, etwa im Großschutzgebiet „Oostvaardersplassen“ in der Nähe von Amsterdam oder im Nationalpark Lauwersmeer.
Neben verschiedenen Rinderrassen und Rothirschen kommen Konik-Pferde bei der Pflege von Naturschutzflächen zum Einsatz. Koniks, die ursprünglich aus Polen stammen und dem Tarpan-Pferd nahe stehen, sind genügsame Tiere, die gut mit der Haltung als halbwilde Tiere zurechtkommen.
Steckbrief: Konik-Pferde
- Ursprüngliche Verbreitung: Wälder und Steppen Osteuropas
- Abstammung: Tarpan
- Größe: 130 bis 145 Zentimeter
- Beschreibung: Sehr im Wildtyp stehendes, mittelschweres Pony mit kleinem, ausdrucksvollem Kopf und oft kurzem Hals. Graufalbe mit Abweichungen in Brauntöne; Färbung von Jungtieren und Winterfell heller; Aalstrich, Vorderbeinstreifen und Schulterkreuz sind typisch; Mähne meliert bis dunkel; Kopf meist dunkler als der Körper.
- Sonstiges: Koniks sind extrem langlebige, fruchtbare und widerstandsfähige Ponys. Sie galten in Polen bis 1798 als jagdbares Wild. In früheren Jahren wurden sie in der privaten Landwirtschaft und im Gartenbau eingesetzt. Heute werden Koniks zunehmend in den Niederlanden, Polen und Deutschland wegen ihrer anspruchslosen Haltung auch zur Landschaftspflege eingesetzt.