'Schnee-Katastrophen' oft hausgemacht

Ausräumung der Landschaft fördert Verwehungen | Auch Sandstürme werden zum Problem

Auch der Winter 2010 / 2011 hatte wie im Vorjahr Schleswig-Holstein wieder fest im Griff. Insbesondere stärkere Schneefälle sorgten dafür, dass die Fahrten zur Arbeit übers Land allmorgendlich nicht nur für Autofahrer, sondern auch für die zahlreichen Nutzer des ÖPNV zu einem Abenteuer wurden, da auch der Bus- und Zugverkehr davon betroffen waren. Doch in einigen Fällen gibt es eine einfache Begründung dafür, dass die Verkehrsteilnehmer immer häufiger in unüberwindlichen Schneebarrieren stecken bleiben: In vielen Landesteilen fehlt es im Vorfeld von Straßen und Schienenwegen an ausreichend dicht gestalteten Hindernissen für die Schneemassen. Die Landschaft ist ausgeräumt und die Knicks, die die Funktion von natürlichen Schneezäunen wahrnehmen könnten, sind vielfach degeneriert.

Auffallend ist etwa, dass gerade der Kreis Ostholstein in den vergangenen Wintern überdurchschnittlich häufig von Schneeverwehungen betroffen war. Zwar hat dieser Kreis eine gewisse Vorprägung durch die alte Gutsstruktur, doch ist hier der vom Bauernverband politisch maßgeblich beförderte Wandel hin zu einer industriellen Landwirtschaft mit großflächigen, offenen Schlägen auch am weitesten voran geschritten.

Dagegen sind Schneeverwehungen in strukturreicher ausgestatteten Landschaften mit ihrem höheren Wald- und Knickanteil eher schwächer ausgeprägt - mit der Folge, dass auch bei stärkeren Schneefällen die Durchgängigkeit der Verkehrstrassen länger erhalten bleibt. Zunehmend negativ wirkt aber auch hier, dass die Funktion der Knicks als natürliche Schneefänger durch ein immer rabiateres Zurückschneiden der Sträucher und der begleitenden, dichten Pflanzendecke am Knickfuß weiter eingeschränkt wird. Schuld daran ist der durch die Landesregierung immer weiter ausgehöhlte gesetzliche Schutz dieser auch für Tiere und Pflanzen wertvollen Bestandsteile unserer Kulturlandschaft.

Zeichen des Klimawandels und der Degeneration der Landschaft
Neuerdings sind auch Sandverwehungen in den Blickpunkt der Öffentlichkeit geraten. Am 8. April 2011 kam es in der Folge starker Winde zu einer Verkehrskatastrophe auf der A 19 in Mecklenburg-Vorpommern, als in einem Sandsturm Dutzende Autos ineinander rasten. Acht Menschen starben, über 130 Personen wurden teils schwer verletzt.

Im Rahmen des INKA BB (Innovationsnetzwerk Klimaanpassung Brandenburg-Berlin) kamen Wissenschaftler nun zu dem Schluss, dass eine ungünstige Kombination aus mehreren Faktoren zu dem Unglück führte, so Dr. Carsten Hoffmann vom INKA BB. Trockenheit, starker Wind und offene Böden sind danach zum einen die Ursache für das Phänomen. Geringe oder vernachlässigte Windschutzhecken und zum Teil übergroße Ackerflächen führen aber ebenfalls dazu, dass Sand und Staub aufgewirbelt wird und verweht. Das Anlegen von Windschutzhecken, die Verringerung der Entwässerung, die Verbesserung der Bodenstruktur und das Verkleinern von Ackerschlägen sind wirkungsvolle, langfristig zu planende Maßnahmen, um dem am effektivsten entgegenzuwirken. Sie würden zu einer Verringerung der Erosionsgefahr beitragen, die aber erst in vielen Jahren greifen, stellen die Wissenschaftler in dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt fest. Die frühere Präsidentin der Deutschen Bodenkundlichen Gesellschaft, Monika Frielinghaus, begründete die Erosionsgefahr entlang der A 19 bei Rostock ebenfalls mit den dort vorhandenen feinsten Sanden, der ebenen Fläche und dem Fehlen von Windhindernissen wie Hecken.

Reaktion des Bauernverbandes: Leugnen
Für den Bauernverband reicht es als Reaktion auf die Kritik in der Öffentlichkeit dabei nicht aus, in Stellungnahmen immer nur auf historische Leistungen der Landwirte bei der Anlage und Pflege der Knicks zu verweisen. Denn fraglich ist, ob ein derartiger Einsatz heute noch zu erwarten wäre. Er muss sich auch damit kritisch auseinandersetzen, dass von dem ursprünglich 68.000 km langen Knicknetz in Schleswig-Holstein nach überschlägigen Berechnungen heute kaum mehr als 45.000 km übrig geblieben sind und diese sich insbesondere in Ackerbaugebieten überwiegend in einem desolaten Zustand befinden.

Gelegentlich wird gar die auch für Laien offensichtliche drastische Verschlechterung der Situation der Knicks schlichtweg geleugnet. Dem Bauernverband kommt dabei entgegen, dass eine Evaluation der erheblichen Einschnitte in den Schutz, wie sie gegenüber den Bestimmungen des LNatSchG von 1993 bzw. 2003 durch die Landesregierung vorgenommen wurden, nie stattfand. Diese Zustandserhebung wurde - obwohl ursprünglich vom Ministerium auf Grund des öffentlichen Drucks angedacht - durch massive Intervention des Bauernverbandes letztlich verhindert. Wohl aus gutem Grund: Wäre doch so der offensichtlich schlechte Zustand eines der die Landschaft prägendsten Elemente der Kulturlandschaft erstmals auch von staatlicher Seite dokumentiert worden.

NABU fordert Re-Inventarisierung
Der NABU fordert, die Landschaft entsprechend ihres ursprünglichen Bildes wieder verstärkt mit natürlichen Strukturen auszustatten - und damit auch das in Teilen hausgemachte Problem der Schneeverwehungen mindestens abzumildern.

Die Bevölkerung erwartet, dass der schleswig-holsteinische Bauernverband für die über 340 Mio. € Direktzahlungen aus der Kasse der EU seine Abwehrhaltung gegen jegliche Auflagen zur Sicherung unserer Kulturlandschaft aufgibt und sich dafür nicht nur auf längst vergangene Leistungen beruft.

ILu, akt. 14. November 2014